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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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der Freiherr von Closen, einer der Führer der Opposition, mit dem Titel eines
Kammerherrn beehrt. Die drei Universitäten haben natürlich drei Professoren ge¬
sandt, davon sind, wie vorhin schon angegeben, zwölf katholische und sechs prote¬
stantische Pfarrer Mitglieder der Kammer, was grade nicht dazu beiträgt die
Verhandlungen derselben kurz zu machen, indem wir aus vielfältiger Erfahrung
gefunden haben, daß sowohl Geistliche wie Professoren als Abgeordnete einer
Kammer fast immer einen gewissen Hang zur Weitschweifigkeit in ihren Reden
haben. Unter den 35 Abgeordneten der Städte mit mehr als 500 Familien, sind
neun Großhändler oder Banquiers, unter denen einer, (Herr v. Schätzler) auch die
Kammerherrnwürde besitzt, drei Apotheker, welche Bürgermeister sind, außerdem
noch ein bloßer Apotheker, ein rechtskundiger Bürgermeister, zwei Müllermeister,
zwei Brauer, vier Kaufleute, zwei Fabrikanten, sechs Gutsbesitzer, zwei Advoka¬
ten, ein Negierungsdirektor. Unter den sieben Vertretern der Landeigenthümer
ohne Gerichtsbarkeit, befinden sich drei Advokaten, zwei Regiernngsräthe, ein Ap¬
pellationsrath, die alle Territorialbesitzungen haben, weil sie sonst nicht gewählt
werden konnten, fünf PostHalter, 24 Gutsbesitzer und Oekonomen, fünf Fabri¬
kanten, 22 Bierbrauer und Gastwirthe. Man sieht, es sind in der bairischen
Kammer so ziemlich alle Elemente des Volkslebens vertreten, und sie zählt im
Verhältniß der Zahl ihrer Mitglieder mehr unabhängige Bürger, als irgend eine
andere in Süddeutschland.

Diese verschiedenen Zusammensetzungen, vereint mit dem mehr oder minder
vorgeschrittenen politischen Leben der Länder, haben natürlich auch den vier Kam¬
mern einen untereinander oft stark abweichenden Charakter verliehen. Für den
bloßen Zuhörer die interessanteste ist entschieden die badische. Es herrscht in
Baden viel geistiges Leben und politische Regsamkeit unter allen Klassen des Vol¬
kes, und kein zweites Land in Deutschland hat bisher in dieser Beziehung eine
gleiche Stufe erreicht. Der Badenser ist lebhast, für neue Eindrücke leicht em¬
pfänglich, aber auch mehr zum Wankelmnthe geneigt wie mancher andere deutsche
Volksstamm. Er hat hierin schon viel Aehnlichkeit mit seinem Nachbar, dem
Franzosen. Die freie Wahlverfassung gab allen Bürgern Anrecht am Ge¬
schäft des Wählers selbst, hob aber nicht mit Einemmale wie durch eine"
Zauberschlag ihre geistige Bildung so hoch, daß sie solches Ehrengeschäft
auch mit Bewußtsein verrichten konnten. Sie wurden daher bald unbewußte
Werkzeuge der Parteien, die sich nach dem Beispiele Frankreichs bald in die¬
ser zweiten Kammer in hohem Grade bildeten. Diese benutzten sie nun auf alle
Weise. Bei einer Wahlperiode z. B. wählt ein Wahlbezirk mit lautem Geschrei
und Jubel einen v. Itzstein oder Hecker oder einen andern Matadoren der libera¬
len Seite zum Abgeordneten, bekränzt bei seiner Bereisung des Wahlbezirkes dessen
Wagen mit Blumen, baut Ehrenpforten, begrüßt ihn als Erretter des Vaterlan¬
des, kurz zeigt sich so als sei er vollkommen dein Liberalismus ergeben, und wird


der Freiherr von Closen, einer der Führer der Opposition, mit dem Titel eines
Kammerherrn beehrt. Die drei Universitäten haben natürlich drei Professoren ge¬
sandt, davon sind, wie vorhin schon angegeben, zwölf katholische und sechs prote¬
stantische Pfarrer Mitglieder der Kammer, was grade nicht dazu beiträgt die
Verhandlungen derselben kurz zu machen, indem wir aus vielfältiger Erfahrung
gefunden haben, daß sowohl Geistliche wie Professoren als Abgeordnete einer
Kammer fast immer einen gewissen Hang zur Weitschweifigkeit in ihren Reden
haben. Unter den 35 Abgeordneten der Städte mit mehr als 500 Familien, sind
neun Großhändler oder Banquiers, unter denen einer, (Herr v. Schätzler) auch die
Kammerherrnwürde besitzt, drei Apotheker, welche Bürgermeister sind, außerdem
noch ein bloßer Apotheker, ein rechtskundiger Bürgermeister, zwei Müllermeister,
zwei Brauer, vier Kaufleute, zwei Fabrikanten, sechs Gutsbesitzer, zwei Advoka¬
ten, ein Negierungsdirektor. Unter den sieben Vertretern der Landeigenthümer
ohne Gerichtsbarkeit, befinden sich drei Advokaten, zwei Regiernngsräthe, ein Ap¬
pellationsrath, die alle Territorialbesitzungen haben, weil sie sonst nicht gewählt
werden konnten, fünf PostHalter, 24 Gutsbesitzer und Oekonomen, fünf Fabri¬
kanten, 22 Bierbrauer und Gastwirthe. Man sieht, es sind in der bairischen
Kammer so ziemlich alle Elemente des Volkslebens vertreten, und sie zählt im
Verhältniß der Zahl ihrer Mitglieder mehr unabhängige Bürger, als irgend eine
andere in Süddeutschland.

Diese verschiedenen Zusammensetzungen, vereint mit dem mehr oder minder
vorgeschrittenen politischen Leben der Länder, haben natürlich auch den vier Kam¬
mern einen untereinander oft stark abweichenden Charakter verliehen. Für den
bloßen Zuhörer die interessanteste ist entschieden die badische. Es herrscht in
Baden viel geistiges Leben und politische Regsamkeit unter allen Klassen des Vol¬
kes, und kein zweites Land in Deutschland hat bisher in dieser Beziehung eine
gleiche Stufe erreicht. Der Badenser ist lebhast, für neue Eindrücke leicht em¬
pfänglich, aber auch mehr zum Wankelmnthe geneigt wie mancher andere deutsche
Volksstamm. Er hat hierin schon viel Aehnlichkeit mit seinem Nachbar, dem
Franzosen. Die freie Wahlverfassung gab allen Bürgern Anrecht am Ge¬
schäft des Wählers selbst, hob aber nicht mit Einemmale wie durch eine»
Zauberschlag ihre geistige Bildung so hoch, daß sie solches Ehrengeschäft
auch mit Bewußtsein verrichten konnten. Sie wurden daher bald unbewußte
Werkzeuge der Parteien, die sich nach dem Beispiele Frankreichs bald in die¬
ser zweiten Kammer in hohem Grade bildeten. Diese benutzten sie nun auf alle
Weise. Bei einer Wahlperiode z. B. wählt ein Wahlbezirk mit lautem Geschrei
und Jubel einen v. Itzstein oder Hecker oder einen andern Matadoren der libera¬
len Seite zum Abgeordneten, bekränzt bei seiner Bereisung des Wahlbezirkes dessen
Wagen mit Blumen, baut Ehrenpforten, begrüßt ihn als Erretter des Vaterlan¬
des, kurz zeigt sich so als sei er vollkommen dein Liberalismus ergeben, und wird


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[0199] der Freiherr von Closen, einer der Führer der Opposition, mit dem Titel eines Kammerherrn beehrt. Die drei Universitäten haben natürlich drei Professoren ge¬ sandt, davon sind, wie vorhin schon angegeben, zwölf katholische und sechs prote¬ stantische Pfarrer Mitglieder der Kammer, was grade nicht dazu beiträgt die Verhandlungen derselben kurz zu machen, indem wir aus vielfältiger Erfahrung gefunden haben, daß sowohl Geistliche wie Professoren als Abgeordnete einer Kammer fast immer einen gewissen Hang zur Weitschweifigkeit in ihren Reden haben. Unter den 35 Abgeordneten der Städte mit mehr als 500 Familien, sind neun Großhändler oder Banquiers, unter denen einer, (Herr v. Schätzler) auch die Kammerherrnwürde besitzt, drei Apotheker, welche Bürgermeister sind, außerdem noch ein bloßer Apotheker, ein rechtskundiger Bürgermeister, zwei Müllermeister, zwei Brauer, vier Kaufleute, zwei Fabrikanten, sechs Gutsbesitzer, zwei Advoka¬ ten, ein Negierungsdirektor. Unter den sieben Vertretern der Landeigenthümer ohne Gerichtsbarkeit, befinden sich drei Advokaten, zwei Regiernngsräthe, ein Ap¬ pellationsrath, die alle Territorialbesitzungen haben, weil sie sonst nicht gewählt werden konnten, fünf PostHalter, 24 Gutsbesitzer und Oekonomen, fünf Fabri¬ kanten, 22 Bierbrauer und Gastwirthe. Man sieht, es sind in der bairischen Kammer so ziemlich alle Elemente des Volkslebens vertreten, und sie zählt im Verhältniß der Zahl ihrer Mitglieder mehr unabhängige Bürger, als irgend eine andere in Süddeutschland. Diese verschiedenen Zusammensetzungen, vereint mit dem mehr oder minder vorgeschrittenen politischen Leben der Länder, haben natürlich auch den vier Kam¬ mern einen untereinander oft stark abweichenden Charakter verliehen. Für den bloßen Zuhörer die interessanteste ist entschieden die badische. Es herrscht in Baden viel geistiges Leben und politische Regsamkeit unter allen Klassen des Vol¬ kes, und kein zweites Land in Deutschland hat bisher in dieser Beziehung eine gleiche Stufe erreicht. Der Badenser ist lebhast, für neue Eindrücke leicht em¬ pfänglich, aber auch mehr zum Wankelmnthe geneigt wie mancher andere deutsche Volksstamm. Er hat hierin schon viel Aehnlichkeit mit seinem Nachbar, dem Franzosen. Die freie Wahlverfassung gab allen Bürgern Anrecht am Ge¬ schäft des Wählers selbst, hob aber nicht mit Einemmale wie durch eine» Zauberschlag ihre geistige Bildung so hoch, daß sie solches Ehrengeschäft auch mit Bewußtsein verrichten konnten. Sie wurden daher bald unbewußte Werkzeuge der Parteien, die sich nach dem Beispiele Frankreichs bald in die¬ ser zweiten Kammer in hohem Grade bildeten. Diese benutzten sie nun auf alle Weise. Bei einer Wahlperiode z. B. wählt ein Wahlbezirk mit lautem Geschrei und Jubel einen v. Itzstein oder Hecker oder einen andern Matadoren der libera¬ len Seite zum Abgeordneten, bekränzt bei seiner Bereisung des Wahlbezirkes dessen Wagen mit Blumen, baut Ehrenpforten, begrüßt ihn als Erretter des Vaterlan¬ des, kurz zeigt sich so als sei er vollkommen dein Liberalismus ergeben, und wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/199>, abgerufen am 24.08.2024.