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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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und das Verhältniß schwindet mit dem Rausch der Jngend. Zwar dauert die ge¬
genseitige Theilnahme fort, und führt noch kurz vor Goethe's Tod zu einem Ver¬
such der Annäherung, aber dieser schlägt fehl, weil das Verhältniß nur ein
extatisches gewesen war, weil die Bildung des wirklichen Lebens beide nach
ganz verschiedenen Richtungen geführt hatte. In dem Verhältniß zu Bettinen
ist Goethe lediglich receptiv; der bejahrte Mann ergötzt sich zwar an der
schwärmerischen Huldigung des jungen Mädchens, er wird auch einigermaßen
geschmeichelt, aber sein eigentliches Geschäft ist doch diese leidenschaftlichen
Ausbrüche, die bei aller Poesie etwas Krankhaftes und Unnatürliches haben, ge¬
linde abzuwehren, oder wenigstens zu mäßigen. Ist hier künstlich gereizte Leiden¬
schaft das wesentliche Motiv, so ist es in dem Briefwechsel Nadel's mit Genz die
Reflexion, die bei aller geistigen Tiefe, die wir an Rahel bewundern, und bei der
genialen Leichtfertigkeit des Diplomaten uns doch hin und wieder mit einem ge¬
wissen Schauer durchfröstelt. Unendlich edler und sittlicher ist das Freundschafts-
verhältniß zwischen Humboldt und der Unbekannten; es ist durchaus gegenseitig,
frei von aller krankhaften Ueberspannung, heimlich und doch gesund. Es beruht
auf gegenseitiger Achtung, und, wie billig, ist es der Mann, dem nicht nnr die ei¬
gentliche Productivität, sondern auch das Maaß zukommt. Es liegt Keinem von bei¬
den daran, seine unmittelbaren Stimmungen dem Andern aufzuzwingen, ebensowenig
spinnt sich das Verhältniß im Paraphrasen eines und desselben Gefühls weiter
fort; das Weib wird gebildet durch die liebevolle Theilnahme des reiferen Man¬
nes, und ihre innige, hingebende, gehorsame Liebe verleiht ihr höhern sittlichen
Adel; der Mann wird sich selber klarer, indem er einer schönen Individualität ge¬
genüber fördernd, belehrend, mäßigend eingreifen kann, indem er zugleich mit Frei¬
heit, aber stets in unmittelbarer Beziehung auf seine Freundin, den Schatz seiner
Lebenserfahrungen zu einem vollständigen, heitern Gemälde abrundet. Darum
dauert das Verhältniß ununterbrochen und ungetrübt bis an seinen Tod; seine
letzten Bemühungen sind, die Freundin auf seinen Tod vorzubereiten, und ihr die
Bitterkeit desselben zu nehmen. Bis auf die kleinsten Züge herab -- z. B. die Deut¬
lichkeit seiner Handschrist -- erstreckt sich seine Sorgfalt für sie, und das in einer
Zeit, wo er müde war der äußern Eindrücke, und sich selbst vor seinen ältesten
Freunden in die Einsamkeit zurück zog.

Mit dem wohlthuenden Gefühl des Friedens, der nicht Quietismus, sondern
erfülltes Strebe" ist, legen wir dieses werthe Buch aus der Hand.


und das Verhältniß schwindet mit dem Rausch der Jngend. Zwar dauert die ge¬
genseitige Theilnahme fort, und führt noch kurz vor Goethe's Tod zu einem Ver¬
such der Annäherung, aber dieser schlägt fehl, weil das Verhältniß nur ein
extatisches gewesen war, weil die Bildung des wirklichen Lebens beide nach
ganz verschiedenen Richtungen geführt hatte. In dem Verhältniß zu Bettinen
ist Goethe lediglich receptiv; der bejahrte Mann ergötzt sich zwar an der
schwärmerischen Huldigung des jungen Mädchens, er wird auch einigermaßen
geschmeichelt, aber sein eigentliches Geschäft ist doch diese leidenschaftlichen
Ausbrüche, die bei aller Poesie etwas Krankhaftes und Unnatürliches haben, ge¬
linde abzuwehren, oder wenigstens zu mäßigen. Ist hier künstlich gereizte Leiden¬
schaft das wesentliche Motiv, so ist es in dem Briefwechsel Nadel's mit Genz die
Reflexion, die bei aller geistigen Tiefe, die wir an Rahel bewundern, und bei der
genialen Leichtfertigkeit des Diplomaten uns doch hin und wieder mit einem ge¬
wissen Schauer durchfröstelt. Unendlich edler und sittlicher ist das Freundschafts-
verhältniß zwischen Humboldt und der Unbekannten; es ist durchaus gegenseitig,
frei von aller krankhaften Ueberspannung, heimlich und doch gesund. Es beruht
auf gegenseitiger Achtung, und, wie billig, ist es der Mann, dem nicht nnr die ei¬
gentliche Productivität, sondern auch das Maaß zukommt. Es liegt Keinem von bei¬
den daran, seine unmittelbaren Stimmungen dem Andern aufzuzwingen, ebensowenig
spinnt sich das Verhältniß im Paraphrasen eines und desselben Gefühls weiter
fort; das Weib wird gebildet durch die liebevolle Theilnahme des reiferen Man¬
nes, und ihre innige, hingebende, gehorsame Liebe verleiht ihr höhern sittlichen
Adel; der Mann wird sich selber klarer, indem er einer schönen Individualität ge¬
genüber fördernd, belehrend, mäßigend eingreifen kann, indem er zugleich mit Frei¬
heit, aber stets in unmittelbarer Beziehung auf seine Freundin, den Schatz seiner
Lebenserfahrungen zu einem vollständigen, heitern Gemälde abrundet. Darum
dauert das Verhältniß ununterbrochen und ungetrübt bis an seinen Tod; seine
letzten Bemühungen sind, die Freundin auf seinen Tod vorzubereiten, und ihr die
Bitterkeit desselben zu nehmen. Bis auf die kleinsten Züge herab — z. B. die Deut¬
lichkeit seiner Handschrist — erstreckt sich seine Sorgfalt für sie, und das in einer
Zeit, wo er müde war der äußern Eindrücke, und sich selbst vor seinen ältesten
Freunden in die Einsamkeit zurück zog.

Mit dem wohlthuenden Gefühl des Friedens, der nicht Quietismus, sondern
erfülltes Strebe» ist, legen wir dieses werthe Buch aus der Hand.


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[0159] und das Verhältniß schwindet mit dem Rausch der Jngend. Zwar dauert die ge¬ genseitige Theilnahme fort, und führt noch kurz vor Goethe's Tod zu einem Ver¬ such der Annäherung, aber dieser schlägt fehl, weil das Verhältniß nur ein extatisches gewesen war, weil die Bildung des wirklichen Lebens beide nach ganz verschiedenen Richtungen geführt hatte. In dem Verhältniß zu Bettinen ist Goethe lediglich receptiv; der bejahrte Mann ergötzt sich zwar an der schwärmerischen Huldigung des jungen Mädchens, er wird auch einigermaßen geschmeichelt, aber sein eigentliches Geschäft ist doch diese leidenschaftlichen Ausbrüche, die bei aller Poesie etwas Krankhaftes und Unnatürliches haben, ge¬ linde abzuwehren, oder wenigstens zu mäßigen. Ist hier künstlich gereizte Leiden¬ schaft das wesentliche Motiv, so ist es in dem Briefwechsel Nadel's mit Genz die Reflexion, die bei aller geistigen Tiefe, die wir an Rahel bewundern, und bei der genialen Leichtfertigkeit des Diplomaten uns doch hin und wieder mit einem ge¬ wissen Schauer durchfröstelt. Unendlich edler und sittlicher ist das Freundschafts- verhältniß zwischen Humboldt und der Unbekannten; es ist durchaus gegenseitig, frei von aller krankhaften Ueberspannung, heimlich und doch gesund. Es beruht auf gegenseitiger Achtung, und, wie billig, ist es der Mann, dem nicht nnr die ei¬ gentliche Productivität, sondern auch das Maaß zukommt. Es liegt Keinem von bei¬ den daran, seine unmittelbaren Stimmungen dem Andern aufzuzwingen, ebensowenig spinnt sich das Verhältniß im Paraphrasen eines und desselben Gefühls weiter fort; das Weib wird gebildet durch die liebevolle Theilnahme des reiferen Man¬ nes, und ihre innige, hingebende, gehorsame Liebe verleiht ihr höhern sittlichen Adel; der Mann wird sich selber klarer, indem er einer schönen Individualität ge¬ genüber fördernd, belehrend, mäßigend eingreifen kann, indem er zugleich mit Frei¬ heit, aber stets in unmittelbarer Beziehung auf seine Freundin, den Schatz seiner Lebenserfahrungen zu einem vollständigen, heitern Gemälde abrundet. Darum dauert das Verhältniß ununterbrochen und ungetrübt bis an seinen Tod; seine letzten Bemühungen sind, die Freundin auf seinen Tod vorzubereiten, und ihr die Bitterkeit desselben zu nehmen. Bis auf die kleinsten Züge herab — z. B. die Deut¬ lichkeit seiner Handschrist — erstreckt sich seine Sorgfalt für sie, und das in einer Zeit, wo er müde war der äußern Eindrücke, und sich selbst vor seinen ältesten Freunden in die Einsamkeit zurück zog. Mit dem wohlthuenden Gefühl des Friedens, der nicht Quietismus, sondern erfülltes Strebe» ist, legen wir dieses werthe Buch aus der Hand.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/159>, abgerufen am 11.12.2024.