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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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-- Eine Vormundschaft dulden-ist lange nicht so schimpflich als sie
verdienen.

-- Die Fehler mancher Schriftstellerin sind ihre Vorzüge als Weib.

-- In der Politik werden eben so wenig, wie in der Medicin, alle
Recepte der Aerzte auch von den Patienten wirklich eingenommen.

-- Wir haben keine Tarpejische Felsen, die Volksverräther hinabzu¬
stürzen, wir haben nur Fenster, sie hinauszuwerfen; aber diese Todes¬
art ist gar zu prosaisch -- man muß auf eine andere Strafe bedacht
sein. Die zweckmäßigste Züchtigung für einen treulosen Beamten wäre
wohl die, daß man ihn in die Lage setzte, von einem Beamten, der
ihm gleicht, selbst amtirt zu werden.

Ein alter griechischer Dichter, den Plutarch im Leben des De-
mosthenes anführt, sagte: das Nothwendigste zum Glücke eines
Menschen ist, in einer berühmten Stadt geboren zu sein.
Mir ist das Buch jetzt nicht zur Hand, ich kann mich nicht überzeugen,
in welchem Sinne Plutarch diesen Spruch aufgefaßt, wie er ihn ge¬
deutet und angewendet hat. Aber, wenn ich mich recht erinnere, war
es so geschehen: daß, um es in Freistaaten weit zu bringen, es förder¬
lich sei, eine berühmte Vaterstadt zu haben, weil dieses als eine Art
adelige Geburt angesehen wird, welche die Bahn der Ehren kürzer und
leichter macht. Dieser Satz des griechischen Dichters gilt auch uns
noch, wenn auch mit verschiedener Anwendung. Wer im alten Grie-
chenlande nach bürgerlicher Auszeichnung strebte, der mußte alle seine
körperlichen und geistigen Kräfte gleichmäßig ausbilden und sie zur
möglichst vollkommenen Entwicklung zu bringen suchen. Wer aber in
unsern Tagen fortkommen will, der muß ganz entgegengesetzt verfahren;
er darf sich nur einseitig, mir diese oder jene Kraft ausbilden und muß
alle übrigen schönen Anlagen, die ihm die Natur gegeben, zerstören
oder sie in schmachvoller Unterdrückung halten. Da aber glücklich sein
und sein Glück machen so sehr verschiedene Dinge sind, daß gewöhn¬
lich Eines das Andere ausschließt, und da, wo Lohn mit dem Ve"
dienste sich nicht vereinigen läßt, kein edler Mann sich bedenkt, ob er
den Lohn oder das Verdienst aufopfern soll, so bleibt es auch für un¬
sere Zeit wahr, daß man, um glücklich zu sein, in einer großen Stadt
leben müsse, weil man nur da allein seine Kräfte musikalisch ausbilden
kann und sie concertirend gebrauchen darf.


Grcnzbvte". IV. ?A

— Eine Vormundschaft dulden-ist lange nicht so schimpflich als sie
verdienen.

— Die Fehler mancher Schriftstellerin sind ihre Vorzüge als Weib.

— In der Politik werden eben so wenig, wie in der Medicin, alle
Recepte der Aerzte auch von den Patienten wirklich eingenommen.

— Wir haben keine Tarpejische Felsen, die Volksverräther hinabzu¬
stürzen, wir haben nur Fenster, sie hinauszuwerfen; aber diese Todes¬
art ist gar zu prosaisch — man muß auf eine andere Strafe bedacht
sein. Die zweckmäßigste Züchtigung für einen treulosen Beamten wäre
wohl die, daß man ihn in die Lage setzte, von einem Beamten, der
ihm gleicht, selbst amtirt zu werden.

Ein alter griechischer Dichter, den Plutarch im Leben des De-
mosthenes anführt, sagte: das Nothwendigste zum Glücke eines
Menschen ist, in einer berühmten Stadt geboren zu sein.
Mir ist das Buch jetzt nicht zur Hand, ich kann mich nicht überzeugen,
in welchem Sinne Plutarch diesen Spruch aufgefaßt, wie er ihn ge¬
deutet und angewendet hat. Aber, wenn ich mich recht erinnere, war
es so geschehen: daß, um es in Freistaaten weit zu bringen, es förder¬
lich sei, eine berühmte Vaterstadt zu haben, weil dieses als eine Art
adelige Geburt angesehen wird, welche die Bahn der Ehren kürzer und
leichter macht. Dieser Satz des griechischen Dichters gilt auch uns
noch, wenn auch mit verschiedener Anwendung. Wer im alten Grie-
chenlande nach bürgerlicher Auszeichnung strebte, der mußte alle seine
körperlichen und geistigen Kräfte gleichmäßig ausbilden und sie zur
möglichst vollkommenen Entwicklung zu bringen suchen. Wer aber in
unsern Tagen fortkommen will, der muß ganz entgegengesetzt verfahren;
er darf sich nur einseitig, mir diese oder jene Kraft ausbilden und muß
alle übrigen schönen Anlagen, die ihm die Natur gegeben, zerstören
oder sie in schmachvoller Unterdrückung halten. Da aber glücklich sein
und sein Glück machen so sehr verschiedene Dinge sind, daß gewöhn¬
lich Eines das Andere ausschließt, und da, wo Lohn mit dem Ve»
dienste sich nicht vereinigen läßt, kein edler Mann sich bedenkt, ob er
den Lohn oder das Verdienst aufopfern soll, so bleibt es auch für un¬
sere Zeit wahr, daß man, um glücklich zu sein, in einer großen Stadt
leben müsse, weil man nur da allein seine Kräfte musikalisch ausbilden
kann und sie concertirend gebrauchen darf.


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[0553] — Eine Vormundschaft dulden-ist lange nicht so schimpflich als sie verdienen. — Die Fehler mancher Schriftstellerin sind ihre Vorzüge als Weib. — In der Politik werden eben so wenig, wie in der Medicin, alle Recepte der Aerzte auch von den Patienten wirklich eingenommen. — Wir haben keine Tarpejische Felsen, die Volksverräther hinabzu¬ stürzen, wir haben nur Fenster, sie hinauszuwerfen; aber diese Todes¬ art ist gar zu prosaisch — man muß auf eine andere Strafe bedacht sein. Die zweckmäßigste Züchtigung für einen treulosen Beamten wäre wohl die, daß man ihn in die Lage setzte, von einem Beamten, der ihm gleicht, selbst amtirt zu werden. Ein alter griechischer Dichter, den Plutarch im Leben des De- mosthenes anführt, sagte: das Nothwendigste zum Glücke eines Menschen ist, in einer berühmten Stadt geboren zu sein. Mir ist das Buch jetzt nicht zur Hand, ich kann mich nicht überzeugen, in welchem Sinne Plutarch diesen Spruch aufgefaßt, wie er ihn ge¬ deutet und angewendet hat. Aber, wenn ich mich recht erinnere, war es so geschehen: daß, um es in Freistaaten weit zu bringen, es förder¬ lich sei, eine berühmte Vaterstadt zu haben, weil dieses als eine Art adelige Geburt angesehen wird, welche die Bahn der Ehren kürzer und leichter macht. Dieser Satz des griechischen Dichters gilt auch uns noch, wenn auch mit verschiedener Anwendung. Wer im alten Grie- chenlande nach bürgerlicher Auszeichnung strebte, der mußte alle seine körperlichen und geistigen Kräfte gleichmäßig ausbilden und sie zur möglichst vollkommenen Entwicklung zu bringen suchen. Wer aber in unsern Tagen fortkommen will, der muß ganz entgegengesetzt verfahren; er darf sich nur einseitig, mir diese oder jene Kraft ausbilden und muß alle übrigen schönen Anlagen, die ihm die Natur gegeben, zerstören oder sie in schmachvoller Unterdrückung halten. Da aber glücklich sein und sein Glück machen so sehr verschiedene Dinge sind, daß gewöhn¬ lich Eines das Andere ausschließt, und da, wo Lohn mit dem Ve» dienste sich nicht vereinigen läßt, kein edler Mann sich bedenkt, ob er den Lohn oder das Verdienst aufopfern soll, so bleibt es auch für un¬ sere Zeit wahr, daß man, um glücklich zu sein, in einer großen Stadt leben müsse, weil man nur da allein seine Kräfte musikalisch ausbilden kann und sie concertirend gebrauchen darf. Grcnzbvte». IV. ?A

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/553>, abgerufen am 23.07.2024.