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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Sancho Pansa verglichen worden, und diese Vergleichung enthält in¬
sofern etwas Richtiges, als die Corps trotz des realistischen Verstan¬
des, den sie gegen die Burschenschaft geltend machten, um deren Aus¬
schweifungen zu belächeln, sich doch mit dem naivsten Ernste in For¬
men und Vorstellungen bewegten, deren Sinn vollständig abhanden
gekommen war, und sich nur in einzelnen Ausnahmen zur Ironie ih¬
res eigenen Treibens erhoben. Freilich wollten sie nichts weniger als
Schildknappen der Burschenschaft sein, und haben deren utopische
Hoffnungen nie getheilt.

In ihrer Entwicklung ging die Burschenschaft von einem Ertrem
in das andere über. Nachdem sie lange das romantisch-liberale, aus
den Freiheitskriegen erwachsene Pathos in sich gehegt und es theil¬
weise in Sitten und Leben ausgeprägt hatte, zerschlug sie plötzlich,
während sich die Julirevolution vorbereitete und ausbrach, den selbst¬
gemachten Götzen der Volkstümlichkeit, bildete mit Fichte'scher Ener¬
gie und Consequenz die Grundgedanken des Liberalismus durch, und
wollte von ihnen aus das Volk bearbeiten und hinreißen. Die Ger¬
manen nahmen die Tendenz der Zeit nach zunächst formellen Selbst¬
bestimmung des Volkes in sich auf, aber sie faßten dieselbe so abstract,
daß sie glauben konnten, das Volk unmittelbar zu bestimmen und mit
sich fortzuziehen. Indem sie eine politische Parteiverbindung wurden,
stellten sie sich allerdings in die Gegenwart des Volkes hinein, aber
in dem Aufgeben der idealistischen Abgeschlossenheit des Studenten-
thums traten sie sogleich über den eigenthümlichen Lebenskreis desselben
hinaus, und wollten auf das Volk einwirkend die Theorie unmittelbar
zur Praris umsetzen. Nachdem die germanischen Verbindungen, die
fast alle geistbegabten und dabei leidenschaftlichen und energischen Per¬
sönlichkeiten des damaligen Studentenlebens an sich gezogen hatten,
durch das Frankfurter Attentat bloßgestellt und durch die strengsten
Maßregeln zersprengt waren, bedürfte es einiger Zeit, ehe sich unter
dem Einfluß der alten gemüthlichen Uriniren neue Burschenschafter zu
bilden vermochten. Diese nahmen die frühern burschenschaftlichen For¬
men wieder auf, reflecttrten über das Wesen der Burschenschaft und
waren sich bewußt, nur eine Partei im Studentenleben zu sein und
sein zu können, welches Bewußtsein jedoch für sie ein aristokratisches
Behagen war. Sie glaubten ein Studentenleben darzustellen, wie es
als ein allgemeines zwar wünschenswert!), aber nicht möglich sei, und
wie dadurch ihr Selbstgefühl einen sentimentalen Anflug erhielt, so
gab der unvermeidliche Umstand, daß über das burschenschaftliche Pa-


Sancho Pansa verglichen worden, und diese Vergleichung enthält in¬
sofern etwas Richtiges, als die Corps trotz des realistischen Verstan¬
des, den sie gegen die Burschenschaft geltend machten, um deren Aus¬
schweifungen zu belächeln, sich doch mit dem naivsten Ernste in For¬
men und Vorstellungen bewegten, deren Sinn vollständig abhanden
gekommen war, und sich nur in einzelnen Ausnahmen zur Ironie ih¬
res eigenen Treibens erhoben. Freilich wollten sie nichts weniger als
Schildknappen der Burschenschaft sein, und haben deren utopische
Hoffnungen nie getheilt.

In ihrer Entwicklung ging die Burschenschaft von einem Ertrem
in das andere über. Nachdem sie lange das romantisch-liberale, aus
den Freiheitskriegen erwachsene Pathos in sich gehegt und es theil¬
weise in Sitten und Leben ausgeprägt hatte, zerschlug sie plötzlich,
während sich die Julirevolution vorbereitete und ausbrach, den selbst¬
gemachten Götzen der Volkstümlichkeit, bildete mit Fichte'scher Ener¬
gie und Consequenz die Grundgedanken des Liberalismus durch, und
wollte von ihnen aus das Volk bearbeiten und hinreißen. Die Ger¬
manen nahmen die Tendenz der Zeit nach zunächst formellen Selbst¬
bestimmung des Volkes in sich auf, aber sie faßten dieselbe so abstract,
daß sie glauben konnten, das Volk unmittelbar zu bestimmen und mit
sich fortzuziehen. Indem sie eine politische Parteiverbindung wurden,
stellten sie sich allerdings in die Gegenwart des Volkes hinein, aber
in dem Aufgeben der idealistischen Abgeschlossenheit des Studenten-
thums traten sie sogleich über den eigenthümlichen Lebenskreis desselben
hinaus, und wollten auf das Volk einwirkend die Theorie unmittelbar
zur Praris umsetzen. Nachdem die germanischen Verbindungen, die
fast alle geistbegabten und dabei leidenschaftlichen und energischen Per¬
sönlichkeiten des damaligen Studentenlebens an sich gezogen hatten,
durch das Frankfurter Attentat bloßgestellt und durch die strengsten
Maßregeln zersprengt waren, bedürfte es einiger Zeit, ehe sich unter
dem Einfluß der alten gemüthlichen Uriniren neue Burschenschafter zu
bilden vermochten. Diese nahmen die frühern burschenschaftlichen For¬
men wieder auf, reflecttrten über das Wesen der Burschenschaft und
waren sich bewußt, nur eine Partei im Studentenleben zu sein und
sein zu können, welches Bewußtsein jedoch für sie ein aristokratisches
Behagen war. Sie glaubten ein Studentenleben darzustellen, wie es
als ein allgemeines zwar wünschenswert!), aber nicht möglich sei, und
wie dadurch ihr Selbstgefühl einen sentimentalen Anflug erhielt, so
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[0542] Sancho Pansa verglichen worden, und diese Vergleichung enthält in¬ sofern etwas Richtiges, als die Corps trotz des realistischen Verstan¬ des, den sie gegen die Burschenschaft geltend machten, um deren Aus¬ schweifungen zu belächeln, sich doch mit dem naivsten Ernste in For¬ men und Vorstellungen bewegten, deren Sinn vollständig abhanden gekommen war, und sich nur in einzelnen Ausnahmen zur Ironie ih¬ res eigenen Treibens erhoben. Freilich wollten sie nichts weniger als Schildknappen der Burschenschaft sein, und haben deren utopische Hoffnungen nie getheilt. In ihrer Entwicklung ging die Burschenschaft von einem Ertrem in das andere über. Nachdem sie lange das romantisch-liberale, aus den Freiheitskriegen erwachsene Pathos in sich gehegt und es theil¬ weise in Sitten und Leben ausgeprägt hatte, zerschlug sie plötzlich, während sich die Julirevolution vorbereitete und ausbrach, den selbst¬ gemachten Götzen der Volkstümlichkeit, bildete mit Fichte'scher Ener¬ gie und Consequenz die Grundgedanken des Liberalismus durch, und wollte von ihnen aus das Volk bearbeiten und hinreißen. Die Ger¬ manen nahmen die Tendenz der Zeit nach zunächst formellen Selbst¬ bestimmung des Volkes in sich auf, aber sie faßten dieselbe so abstract, daß sie glauben konnten, das Volk unmittelbar zu bestimmen und mit sich fortzuziehen. Indem sie eine politische Parteiverbindung wurden, stellten sie sich allerdings in die Gegenwart des Volkes hinein, aber in dem Aufgeben der idealistischen Abgeschlossenheit des Studenten- thums traten sie sogleich über den eigenthümlichen Lebenskreis desselben hinaus, und wollten auf das Volk einwirkend die Theorie unmittelbar zur Praris umsetzen. Nachdem die germanischen Verbindungen, die fast alle geistbegabten und dabei leidenschaftlichen und energischen Per¬ sönlichkeiten des damaligen Studentenlebens an sich gezogen hatten, durch das Frankfurter Attentat bloßgestellt und durch die strengsten Maßregeln zersprengt waren, bedürfte es einiger Zeit, ehe sich unter dem Einfluß der alten gemüthlichen Uriniren neue Burschenschafter zu bilden vermochten. Diese nahmen die frühern burschenschaftlichen For¬ men wieder auf, reflecttrten über das Wesen der Burschenschaft und waren sich bewußt, nur eine Partei im Studentenleben zu sein und sein zu können, welches Bewußtsein jedoch für sie ein aristokratisches Behagen war. Sie glaubten ein Studentenleben darzustellen, wie es als ein allgemeines zwar wünschenswert!), aber nicht möglich sei, und wie dadurch ihr Selbstgefühl einen sentimentalen Anflug erhielt, so gab der unvermeidliche Umstand, daß über das burschenschaftliche Pa-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/542>, abgerufen am 23.07.2024.