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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ein schlichter Landmann, (der einzige in der Kammer!) der mit natür¬
lichem Verstand oft den Nagel ans den Kopf zu treffen und seine
hohlen Gegner mit treffenden Bonmots abzuweisen versteht. -- Von
den Rednern gegen die Civilehe sind die namhaftesten: Weiland t,
(auch Mitglied der Gesetzgebungscommission!) welcher klar und deut¬
lich den Gegenstand nach seiner Auffassung zu entwickeln und Hypo¬
thesen statt Wahrheiten geltend zu machen suchte; Graf Lehrbach,
Mann des Hoff und der Welt, welcher, nicht ohne mancherlei Zuge¬
ständnisse für Rheinhessen, ebenfalls unhaltbare Gründe in die Wag¬
schale legte, und Professor sah mittheiln er, dessen glänzende Rede¬
gabe einem schönen, klaren Wasser ohne Tiefe gleicht, dessen kleine
Wellchen verrathen, woher der lose Wind bläst. Andre sprachen, wenn
auch gut, doch nicht besonders beachtenswerth. Unerfreulich war es,
Zu gewahren, wie die liebe Eitelkeit, welche sich hören und gehört sein
wollte, so oft und immer wieder dasselbe, längst Gesagte und Erörterte,
und weiter nichts vorbrachte. Warum doch die Redner sich nicht, wie
anderwärts, vor den Sitzungen über ihre Aufgabe verständigen? Der
erste Präsident der zweiten Kammer, Ober-Appellations-Gerichts-Rath
Hesse, etwas breit, etwas der gehörigen Energie ermangelnd, muß
sich in sein schwieriges, subtiles Amt nach und nach besser einschießen.
Der landständische Commissär der Regierung, Ministerialrath Brer¬
den b ach, ist als talentvoller Rechtsgelehrter bekannt, mehr aber noch
dadurch, daß er gar oft sich dazu brauchen ließ, die Tintenflecken aus¬
zumerzen, welche die Regierung hier lind da in den ber-- Unter¬
suchungen der politischen Umtriebe auf die weiße juclici"!""
schütten und tröpfeln ließ, ohne sie eher bemerken zu wollen, als bis
scharfe Augen sie ohne Brille entdeckten. Der bekannte Nöllner in
Gießen gab dabei öfters den Gehülfen ab, welcher mit Streusand
die Schwärze und die guten Augen zu überdecken suchte. Aber wir
wollen heute uicht den Jüngling von Sais nachahmen! Breitenbach
ist ein ziemlich geübter Redner, welcher es trefflich versteht, einen vor¬
gebrachten Einwand in "allerlei Brimborium" so einzuwickeln, daß
man dessen ursprüngliches Wesen gar nicht mehr erkennen kann. Da¬
neben scheint er das große Talent zu besitzen, über Dinge mit dem Tone der
Ueberzeugung zu reden, von welchen er unmöglich überzeugt sein kann.

Die zweite Kammer der dess.-darmstädtischen Landstände hat einen
Januskopf; das zeigte sie neuerdings, als sie, dem Gesetzesentwurf
entgegen, für die Ehe zwischen Christen und Nichtchristen stimmte. Das ist
in der That doch ein Anschluß an die Lokomotive des Jahrhunderts!


Grenzbott". IV. 1S40,

ein schlichter Landmann, (der einzige in der Kammer!) der mit natür¬
lichem Verstand oft den Nagel ans den Kopf zu treffen und seine
hohlen Gegner mit treffenden Bonmots abzuweisen versteht. — Von
den Rednern gegen die Civilehe sind die namhaftesten: Weiland t,
(auch Mitglied der Gesetzgebungscommission!) welcher klar und deut¬
lich den Gegenstand nach seiner Auffassung zu entwickeln und Hypo¬
thesen statt Wahrheiten geltend zu machen suchte; Graf Lehrbach,
Mann des Hoff und der Welt, welcher, nicht ohne mancherlei Zuge¬
ständnisse für Rheinhessen, ebenfalls unhaltbare Gründe in die Wag¬
schale legte, und Professor sah mittheiln er, dessen glänzende Rede¬
gabe einem schönen, klaren Wasser ohne Tiefe gleicht, dessen kleine
Wellchen verrathen, woher der lose Wind bläst. Andre sprachen, wenn
auch gut, doch nicht besonders beachtenswerth. Unerfreulich war es,
Zu gewahren, wie die liebe Eitelkeit, welche sich hören und gehört sein
wollte, so oft und immer wieder dasselbe, längst Gesagte und Erörterte,
und weiter nichts vorbrachte. Warum doch die Redner sich nicht, wie
anderwärts, vor den Sitzungen über ihre Aufgabe verständigen? Der
erste Präsident der zweiten Kammer, Ober-Appellations-Gerichts-Rath
Hesse, etwas breit, etwas der gehörigen Energie ermangelnd, muß
sich in sein schwieriges, subtiles Amt nach und nach besser einschießen.
Der landständische Commissär der Regierung, Ministerialrath Brer¬
den b ach, ist als talentvoller Rechtsgelehrter bekannt, mehr aber noch
dadurch, daß er gar oft sich dazu brauchen ließ, die Tintenflecken aus¬
zumerzen, welche die Regierung hier lind da in den ber— Unter¬
suchungen der politischen Umtriebe auf die weiße juclici»!»«
schütten und tröpfeln ließ, ohne sie eher bemerken zu wollen, als bis
scharfe Augen sie ohne Brille entdeckten. Der bekannte Nöllner in
Gießen gab dabei öfters den Gehülfen ab, welcher mit Streusand
die Schwärze und die guten Augen zu überdecken suchte. Aber wir
wollen heute uicht den Jüngling von Sais nachahmen! Breitenbach
ist ein ziemlich geübter Redner, welcher es trefflich versteht, einen vor¬
gebrachten Einwand in „allerlei Brimborium" so einzuwickeln, daß
man dessen ursprüngliches Wesen gar nicht mehr erkennen kann. Da¬
neben scheint er das große Talent zu besitzen, über Dinge mit dem Tone der
Ueberzeugung zu reden, von welchen er unmöglich überzeugt sein kann.

Die zweite Kammer der dess.-darmstädtischen Landstände hat einen
Januskopf; das zeigte sie neuerdings, als sie, dem Gesetzesentwurf
entgegen, für die Ehe zwischen Christen und Nichtchristen stimmte. Das ist
in der That doch ein Anschluß an die Lokomotive des Jahrhunderts!


Grenzbott». IV. 1S40,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/505>, abgerufen am 23.07.2024.