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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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und bat ihn um das Buch. Verwundert fragte der Schullehrer, ob
er denn die Braut von Messina nicht im Hause habe. Ganz erstaunt
sahen wir uns an -- aber es war so, der Mann hatte die ganze
Braut von Messtna componirt. Dabei hatte er etwas so Treuher¬
ziges, Unbefangenes in seinem ganzen Wesen, daß wir ihn nicht ohne
Weiteres abweisen konnten, so unausführbar auch sein Begehren war.
Wir ließen die Oper heraufschaffen und den Musikdirector rufen, um
sie anzusehen. Mittlerweile machte sich der Schullehrer an die Frau
des Direktors und versprach ihr zwei Stücke schone Leinwand, wenn
eeine Oper au die Bünebeörderte.

Der Musikdirektor kam und sah die Partitur durch. Das ganze
Stück war beinahe im Sechsachteltact componirt und war auch nicht ein
Flinken schöpferischen Geistes darin, es war völlig unbrauchbar. Al¬
lein die Stimmen waren alle mit einer Sauberkeit, einem Fleiße aus¬
geschrieben, daß man meinte, gestochene Noten zu sehen. Wie der Di-
rector mit dem armen Künstler fertig geworden ist, ob er ihn von der
Unmöglichkeit, die Oper aufzuführen, überzeugt hat, weiß ich nicht,
denn ich entfernte mich bald. Für mich hatte die Sache etwas unend¬
lich Rührendes. Ich sah den Mann vor mir, der einige Jahre in ee-
ner großen Stadt seinen Studien obgelegen und dort die Genüsse der
Kunst kennen und schätzen gelernt hatte, und nun auf ein einsames
Dorf verbannt ist, abgeschnitten von alle dem, was dereinst seine ju¬
gendliche Einbildungskraft entflammte. Doch vergessen kann er es nicht.
Und weil das einförmige Leben außer ihm keine Befriedigung ihm ge¬
wahrt, flüchtet er sich auf sein einsames Stübchen, um seinem innern
Drange durch Selbstschaffen zu genügen. Eine Oper will er schreiben.
Dunkel steigt bei diesem Entschlüsse der Gedanke dereinstigen Erfolges,
Ruhmes auf -- er wird wärmer, sein Stübchen dehnt sich ihm zu ei¬
ner Welt aus. Doch er hat kein Buch, das er componiren könnte.
Allein ist die Braut von Messina nicht opernartig? Die herrlichen
Chöre, sollen sie nicht singbar sein? Klingen die Verse nicht schon
wie Musik? Läßt die herrliche Lyrik der Dichtung nicht den Ausdruck
durch den Ton zu? Er componirt die Braut von Messina. Ein un¬
geheures Unternehmen! Jahre lang sitzt er in seinem Stübchen, mit
unermüdetem Fleiße reiht er Ton an Ton, Note an Note -- endlich
ist er fertig! Doch nun muß es aufgeführt werden, sonst bleibt es
todtes Werk. Allein er hat von den Schwierigkeiten gehört, die neuen
Werken entgegenstehen, ehe sie auf die Bühne kommen. Er beschließt,
die Schwierigkeiten zu überwinden, so weit er könne, er will die Oper


Wrmzbotm. IV. I"4". gz

und bat ihn um das Buch. Verwundert fragte der Schullehrer, ob
er denn die Braut von Messina nicht im Hause habe. Ganz erstaunt
sahen wir uns an — aber es war so, der Mann hatte die ganze
Braut von Messtna componirt. Dabei hatte er etwas so Treuher¬
ziges, Unbefangenes in seinem ganzen Wesen, daß wir ihn nicht ohne
Weiteres abweisen konnten, so unausführbar auch sein Begehren war.
Wir ließen die Oper heraufschaffen und den Musikdirector rufen, um
sie anzusehen. Mittlerweile machte sich der Schullehrer an die Frau
des Direktors und versprach ihr zwei Stücke schone Leinwand, wenn
eeine Oper au die Bünebeörderte.

Der Musikdirektor kam und sah die Partitur durch. Das ganze
Stück war beinahe im Sechsachteltact componirt und war auch nicht ein
Flinken schöpferischen Geistes darin, es war völlig unbrauchbar. Al¬
lein die Stimmen waren alle mit einer Sauberkeit, einem Fleiße aus¬
geschrieben, daß man meinte, gestochene Noten zu sehen. Wie der Di-
rector mit dem armen Künstler fertig geworden ist, ob er ihn von der
Unmöglichkeit, die Oper aufzuführen, überzeugt hat, weiß ich nicht,
denn ich entfernte mich bald. Für mich hatte die Sache etwas unend¬
lich Rührendes. Ich sah den Mann vor mir, der einige Jahre in ee-
ner großen Stadt seinen Studien obgelegen und dort die Genüsse der
Kunst kennen und schätzen gelernt hatte, und nun auf ein einsames
Dorf verbannt ist, abgeschnitten von alle dem, was dereinst seine ju¬
gendliche Einbildungskraft entflammte. Doch vergessen kann er es nicht.
Und weil das einförmige Leben außer ihm keine Befriedigung ihm ge¬
wahrt, flüchtet er sich auf sein einsames Stübchen, um seinem innern
Drange durch Selbstschaffen zu genügen. Eine Oper will er schreiben.
Dunkel steigt bei diesem Entschlüsse der Gedanke dereinstigen Erfolges,
Ruhmes auf — er wird wärmer, sein Stübchen dehnt sich ihm zu ei¬
ner Welt aus. Doch er hat kein Buch, das er componiren könnte.
Allein ist die Braut von Messina nicht opernartig? Die herrlichen
Chöre, sollen sie nicht singbar sein? Klingen die Verse nicht schon
wie Musik? Läßt die herrliche Lyrik der Dichtung nicht den Ausdruck
durch den Ton zu? Er componirt die Braut von Messina. Ein un¬
geheures Unternehmen! Jahre lang sitzt er in seinem Stübchen, mit
unermüdetem Fleiße reiht er Ton an Ton, Note an Note — endlich
ist er fertig! Doch nun muß es aufgeführt werden, sonst bleibt es
todtes Werk. Allein er hat von den Schwierigkeiten gehört, die neuen
Werken entgegenstehen, ehe sie auf die Bühne kommen. Er beschließt,
die Schwierigkeiten zu überwinden, so weit er könne, er will die Oper


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/477>, abgerufen am 23.07.2024.