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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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einer halben Stunde weckte ich ihn und rief ihm zu, es sei Zeit in
daS Theater zu gehen. Wie von einem elektrischen Schlage getroffen
fuhr er bei diesem Worte auf, rief: "Ja, ja -- kommen Sie " und
eilte mir voran. Doch bald ward sein Schritt langsamer, er schleppte
sich nur mit Mühe fort. Vor dem Thore stand ein Wirthshaus. Er
blieb stehen und sagte leise, mit niedergeschlagenen Augen: "nur einen
Schnaps." Mir ward klar, daß er ohne etwas zu trinken keine Spann"
kraft habe -- ich willfahrte ihm. Mit ven Trunke kehrten seine Le-
bensgeister zurück, er ward höflich, gesprächig, ein anderer Mensch.
Wir kamen in das Theater. Mit der höchsten Sorgfalt zog er sich
an und schminkte sich. Als das Stück beginnen sollte, meinte ich, in
seinem Auge wieder einen stieren Glanz zu erblicken. Der Vorhang
hob sich, er spielte ausgezeichnet, doch bemerkte ich hier und da Pausen,
die mir auffielen, es war, als müsse er sich besinnen. Im Zwischen¬
acte endlich sah ich, wie er verstohlen aus einer Flasche trank, die er
zwischen seinen Kleidern versteckt hatte. Wahrscheinlich hatte er irgend
einen Dienstfertigen gefunden, der ihm Schnaps geholt hatte. Schon
wankte er, und in der Mitte des zweiten Auszugs war er so betrun¬
ken, daß er nicht weiter spielen konnte. Da ward mir klar: "hier war
keine Rettung mehr." Er konnte eben so wenig ohne zu trinken leben,
als er im Trinken Maß zu halten vermochte. Von einem fernern
Auftreten konnte natürlich nicht die Rede sein. Er wanderte so arm¬
selig fort, als er zu uns gekommen war, wahrscheinlich anderwärts
erzählend, wie schlecht er bei uns behandelt worden" Nach einem hal¬
ben Jahre las ich, daß er, als Landstreicher von der Gensd'armerie
aufgegriffen, in einem öffentlichen Krankenhause gestorben sei. So
endete ein Mann, der, mit den herrlichsten Talenten begabt, eine der
schönsten Stellungen in der menschlichen Gesellschaft eingenommen
hatte, in dem jämmerlichen Elend der Gemeinheit. Nie habe ich die
dämonische Macht des Lasters in der Art gesehen, wie bei Panther.
Er war ihr unrettbar verfallen. Denn Körper und Geist waren bei
ihm so abgestumpft, daß sie in der That nicht lebten, wenn der Geist
deö Branntweins ihre Kraft nicht anfachte, und war dieser erst zu
seinem Rechte gelangt, so besaß ver Aermste keine Willenskraft mehr,
seinen Lockungen zu widerstehen, bis der elende Körper eben so unfähig
war, das Uebermaß zu ertragen, wie vorher den Mangel. In dem
Zustande seiner letzten Lebensjahre, also für sein gänzliches Versinken
war Panther nicht mehr zurechnungsfähig, aber von der Schuld, über¬
haupt dahin gekommen zu sein, kann ihn Niemand freisprechen. Oder


einer halben Stunde weckte ich ihn und rief ihm zu, es sei Zeit in
daS Theater zu gehen. Wie von einem elektrischen Schlage getroffen
fuhr er bei diesem Worte auf, rief: „Ja, ja — kommen Sie " und
eilte mir voran. Doch bald ward sein Schritt langsamer, er schleppte
sich nur mit Mühe fort. Vor dem Thore stand ein Wirthshaus. Er
blieb stehen und sagte leise, mit niedergeschlagenen Augen: „nur einen
Schnaps." Mir ward klar, daß er ohne etwas zu trinken keine Spann»
kraft habe — ich willfahrte ihm. Mit ven Trunke kehrten seine Le-
bensgeister zurück, er ward höflich, gesprächig, ein anderer Mensch.
Wir kamen in das Theater. Mit der höchsten Sorgfalt zog er sich
an und schminkte sich. Als das Stück beginnen sollte, meinte ich, in
seinem Auge wieder einen stieren Glanz zu erblicken. Der Vorhang
hob sich, er spielte ausgezeichnet, doch bemerkte ich hier und da Pausen,
die mir auffielen, es war, als müsse er sich besinnen. Im Zwischen¬
acte endlich sah ich, wie er verstohlen aus einer Flasche trank, die er
zwischen seinen Kleidern versteckt hatte. Wahrscheinlich hatte er irgend
einen Dienstfertigen gefunden, der ihm Schnaps geholt hatte. Schon
wankte er, und in der Mitte des zweiten Auszugs war er so betrun¬
ken, daß er nicht weiter spielen konnte. Da ward mir klar: „hier war
keine Rettung mehr." Er konnte eben so wenig ohne zu trinken leben,
als er im Trinken Maß zu halten vermochte. Von einem fernern
Auftreten konnte natürlich nicht die Rede sein. Er wanderte so arm¬
selig fort, als er zu uns gekommen war, wahrscheinlich anderwärts
erzählend, wie schlecht er bei uns behandelt worden» Nach einem hal¬
ben Jahre las ich, daß er, als Landstreicher von der Gensd'armerie
aufgegriffen, in einem öffentlichen Krankenhause gestorben sei. So
endete ein Mann, der, mit den herrlichsten Talenten begabt, eine der
schönsten Stellungen in der menschlichen Gesellschaft eingenommen
hatte, in dem jämmerlichen Elend der Gemeinheit. Nie habe ich die
dämonische Macht des Lasters in der Art gesehen, wie bei Panther.
Er war ihr unrettbar verfallen. Denn Körper und Geist waren bei
ihm so abgestumpft, daß sie in der That nicht lebten, wenn der Geist
deö Branntweins ihre Kraft nicht anfachte, und war dieser erst zu
seinem Rechte gelangt, so besaß ver Aermste keine Willenskraft mehr,
seinen Lockungen zu widerstehen, bis der elende Körper eben so unfähig
war, das Uebermaß zu ertragen, wie vorher den Mangel. In dem
Zustande seiner letzten Lebensjahre, also für sein gänzliches Versinken
war Panther nicht mehr zurechnungsfähig, aber von der Schuld, über¬
haupt dahin gekommen zu sein, kann ihn Niemand freisprechen. Oder


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[0474] einer halben Stunde weckte ich ihn und rief ihm zu, es sei Zeit in daS Theater zu gehen. Wie von einem elektrischen Schlage getroffen fuhr er bei diesem Worte auf, rief: „Ja, ja — kommen Sie " und eilte mir voran. Doch bald ward sein Schritt langsamer, er schleppte sich nur mit Mühe fort. Vor dem Thore stand ein Wirthshaus. Er blieb stehen und sagte leise, mit niedergeschlagenen Augen: „nur einen Schnaps." Mir ward klar, daß er ohne etwas zu trinken keine Spann» kraft habe — ich willfahrte ihm. Mit ven Trunke kehrten seine Le- bensgeister zurück, er ward höflich, gesprächig, ein anderer Mensch. Wir kamen in das Theater. Mit der höchsten Sorgfalt zog er sich an und schminkte sich. Als das Stück beginnen sollte, meinte ich, in seinem Auge wieder einen stieren Glanz zu erblicken. Der Vorhang hob sich, er spielte ausgezeichnet, doch bemerkte ich hier und da Pausen, die mir auffielen, es war, als müsse er sich besinnen. Im Zwischen¬ acte endlich sah ich, wie er verstohlen aus einer Flasche trank, die er zwischen seinen Kleidern versteckt hatte. Wahrscheinlich hatte er irgend einen Dienstfertigen gefunden, der ihm Schnaps geholt hatte. Schon wankte er, und in der Mitte des zweiten Auszugs war er so betrun¬ ken, daß er nicht weiter spielen konnte. Da ward mir klar: „hier war keine Rettung mehr." Er konnte eben so wenig ohne zu trinken leben, als er im Trinken Maß zu halten vermochte. Von einem fernern Auftreten konnte natürlich nicht die Rede sein. Er wanderte so arm¬ selig fort, als er zu uns gekommen war, wahrscheinlich anderwärts erzählend, wie schlecht er bei uns behandelt worden» Nach einem hal¬ ben Jahre las ich, daß er, als Landstreicher von der Gensd'armerie aufgegriffen, in einem öffentlichen Krankenhause gestorben sei. So endete ein Mann, der, mit den herrlichsten Talenten begabt, eine der schönsten Stellungen in der menschlichen Gesellschaft eingenommen hatte, in dem jämmerlichen Elend der Gemeinheit. Nie habe ich die dämonische Macht des Lasters in der Art gesehen, wie bei Panther. Er war ihr unrettbar verfallen. Denn Körper und Geist waren bei ihm so abgestumpft, daß sie in der That nicht lebten, wenn der Geist deö Branntweins ihre Kraft nicht anfachte, und war dieser erst zu seinem Rechte gelangt, so besaß ver Aermste keine Willenskraft mehr, seinen Lockungen zu widerstehen, bis der elende Körper eben so unfähig war, das Uebermaß zu ertragen, wie vorher den Mangel. In dem Zustande seiner letzten Lebensjahre, also für sein gänzliches Versinken war Panther nicht mehr zurechnungsfähig, aber von der Schuld, über¬ haupt dahin gekommen zu sein, kann ihn Niemand freisprechen. Oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/474>, abgerufen am 23.07.2024.