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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Wirthshaus er forderte Rum. Ich erschrak, denn ich hatte be¬
merkt, daß er schon vor der Probe etwas getrunken haben mußte.
Doch wir konnten ihn nicht hindern. Wie änderte sich der Mann
nach dem ersten Glase! Er stieß einen tiefen Athemzug aus, wie ein
von schweren Träumen Erwachter, und begann uns seine letzten Fahr¬
ten zu erzählen. Während der Erzählung trank er immer mehr und
immer mehr kam eine bodenlose Gemeinheit zum Vorschein. Er war
überall mit seinen Bitten um Gastspiel und Anstellung abgewiesen wor¬
den -- wir konnten uns jetzt wohl erklären, aus welchen Gründen --
und ergoß sich nun in den lebhaftesten Schimpfreden über die Direk¬
tionen, über die Jämmerlichkeit der Welt, die einen Mann von seinen
Verdiensten nicht zu würdigen wisse. In buntem Gemisch kamen
Bruchstücke aus seinem Leben zum Vorschein, die Namen der berühm¬
testen Männer, der hochgestelltesten Personen waren ihm geläufig. --
Er hatte ein reiches Leben genossen und war jetzt so tief gesunken, daß
er erbittert nach der Hohe zurückblickte, auf der er einst gestanden, von
der er doch durch eigne Schuld gestürzt war. Allein diese Einsicht
war bei ihm nicht zum Durchbruch gekommen. Er glaubte sich ge¬
mißhandelt, glaubte unverschuldetes Elend zu tragen -- und diese Mi¬
schung von Stolz und Anmaßung, die sich in den gemeinsten Aus¬
drücken aussprach, machte einen widerlichen Eindruck. Endlich fing er
an, Zoten zu erzählen; wir versuchten, ihn zum Fortgehen zu bewe¬
gen, es war unmöglich. Unser Zureden erwiderte er mit Schimpfen,
er war zuletzt gärylich betrunken, legte den Kopf auf den Tisch und
schlief ein. Wir mußten ihn da lassen. Zwei Stunden vor Anfang
des Theaters ging ich wieder in das Wirthshaus. Er war eben er¬
wacht und saß mit stierem Blicke am Tische. Das große, schöne Auge
war matt und trübe, die Gesichtszüge schlaff, sein ganzes Aussehen
matt. Ich wollte ihm Kaffee bringen lassen, er aber schlug das aus,
meinte, ihm sei unwohl von der langen Fußreise und bat um ein Glas
Rum. Ich stellte ihm vor, daß dies seinen Zustand verschlimmern
müsse und bat ihn, jetzt nichts zu trinken. Er sah mich mit unge¬
wissem Blick an und sagte: "Wenn Sie meinen -- der Rum ist ohne¬
hin schlecht." Ich forderte ihn auf, mit mir zu gehen, er erhob sich
schwerfällig und folgte mir ohne Widerspruch. Ich meinte ihm einen
Dienst zu leisten, wenn ich ihn in die frische Lust führte und wir gin¬
gen nach dem Walde zu, doch klagte er bald über Müdigkeit, setzte
sich nieder und lehnte sich mit dem Rücken an einen Baumstamm. Ich
setzte mich zu ihm, sprach mit ihm, doch er schlief wieder ein. Nach


Wirthshaus er forderte Rum. Ich erschrak, denn ich hatte be¬
merkt, daß er schon vor der Probe etwas getrunken haben mußte.
Doch wir konnten ihn nicht hindern. Wie änderte sich der Mann
nach dem ersten Glase! Er stieß einen tiefen Athemzug aus, wie ein
von schweren Träumen Erwachter, und begann uns seine letzten Fahr¬
ten zu erzählen. Während der Erzählung trank er immer mehr und
immer mehr kam eine bodenlose Gemeinheit zum Vorschein. Er war
überall mit seinen Bitten um Gastspiel und Anstellung abgewiesen wor¬
den — wir konnten uns jetzt wohl erklären, aus welchen Gründen —
und ergoß sich nun in den lebhaftesten Schimpfreden über die Direk¬
tionen, über die Jämmerlichkeit der Welt, die einen Mann von seinen
Verdiensten nicht zu würdigen wisse. In buntem Gemisch kamen
Bruchstücke aus seinem Leben zum Vorschein, die Namen der berühm¬
testen Männer, der hochgestelltesten Personen waren ihm geläufig. —
Er hatte ein reiches Leben genossen und war jetzt so tief gesunken, daß
er erbittert nach der Hohe zurückblickte, auf der er einst gestanden, von
der er doch durch eigne Schuld gestürzt war. Allein diese Einsicht
war bei ihm nicht zum Durchbruch gekommen. Er glaubte sich ge¬
mißhandelt, glaubte unverschuldetes Elend zu tragen — und diese Mi¬
schung von Stolz und Anmaßung, die sich in den gemeinsten Aus¬
drücken aussprach, machte einen widerlichen Eindruck. Endlich fing er
an, Zoten zu erzählen; wir versuchten, ihn zum Fortgehen zu bewe¬
gen, es war unmöglich. Unser Zureden erwiderte er mit Schimpfen,
er war zuletzt gärylich betrunken, legte den Kopf auf den Tisch und
schlief ein. Wir mußten ihn da lassen. Zwei Stunden vor Anfang
des Theaters ging ich wieder in das Wirthshaus. Er war eben er¬
wacht und saß mit stierem Blicke am Tische. Das große, schöne Auge
war matt und trübe, die Gesichtszüge schlaff, sein ganzes Aussehen
matt. Ich wollte ihm Kaffee bringen lassen, er aber schlug das aus,
meinte, ihm sei unwohl von der langen Fußreise und bat um ein Glas
Rum. Ich stellte ihm vor, daß dies seinen Zustand verschlimmern
müsse und bat ihn, jetzt nichts zu trinken. Er sah mich mit unge¬
wissem Blick an und sagte: „Wenn Sie meinen — der Rum ist ohne¬
hin schlecht." Ich forderte ihn auf, mit mir zu gehen, er erhob sich
schwerfällig und folgte mir ohne Widerspruch. Ich meinte ihm einen
Dienst zu leisten, wenn ich ihn in die frische Lust führte und wir gin¬
gen nach dem Walde zu, doch klagte er bald über Müdigkeit, setzte
sich nieder und lehnte sich mit dem Rücken an einen Baumstamm. Ich
setzte mich zu ihm, sprach mit ihm, doch er schlief wieder ein. Nach


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[0473] Wirthshaus er forderte Rum. Ich erschrak, denn ich hatte be¬ merkt, daß er schon vor der Probe etwas getrunken haben mußte. Doch wir konnten ihn nicht hindern. Wie änderte sich der Mann nach dem ersten Glase! Er stieß einen tiefen Athemzug aus, wie ein von schweren Träumen Erwachter, und begann uns seine letzten Fahr¬ ten zu erzählen. Während der Erzählung trank er immer mehr und immer mehr kam eine bodenlose Gemeinheit zum Vorschein. Er war überall mit seinen Bitten um Gastspiel und Anstellung abgewiesen wor¬ den — wir konnten uns jetzt wohl erklären, aus welchen Gründen — und ergoß sich nun in den lebhaftesten Schimpfreden über die Direk¬ tionen, über die Jämmerlichkeit der Welt, die einen Mann von seinen Verdiensten nicht zu würdigen wisse. In buntem Gemisch kamen Bruchstücke aus seinem Leben zum Vorschein, die Namen der berühm¬ testen Männer, der hochgestelltesten Personen waren ihm geläufig. — Er hatte ein reiches Leben genossen und war jetzt so tief gesunken, daß er erbittert nach der Hohe zurückblickte, auf der er einst gestanden, von der er doch durch eigne Schuld gestürzt war. Allein diese Einsicht war bei ihm nicht zum Durchbruch gekommen. Er glaubte sich ge¬ mißhandelt, glaubte unverschuldetes Elend zu tragen — und diese Mi¬ schung von Stolz und Anmaßung, die sich in den gemeinsten Aus¬ drücken aussprach, machte einen widerlichen Eindruck. Endlich fing er an, Zoten zu erzählen; wir versuchten, ihn zum Fortgehen zu bewe¬ gen, es war unmöglich. Unser Zureden erwiderte er mit Schimpfen, er war zuletzt gärylich betrunken, legte den Kopf auf den Tisch und schlief ein. Wir mußten ihn da lassen. Zwei Stunden vor Anfang des Theaters ging ich wieder in das Wirthshaus. Er war eben er¬ wacht und saß mit stierem Blicke am Tische. Das große, schöne Auge war matt und trübe, die Gesichtszüge schlaff, sein ganzes Aussehen matt. Ich wollte ihm Kaffee bringen lassen, er aber schlug das aus, meinte, ihm sei unwohl von der langen Fußreise und bat um ein Glas Rum. Ich stellte ihm vor, daß dies seinen Zustand verschlimmern müsse und bat ihn, jetzt nichts zu trinken. Er sah mich mit unge¬ wissem Blick an und sagte: „Wenn Sie meinen — der Rum ist ohne¬ hin schlecht." Ich forderte ihn auf, mit mir zu gehen, er erhob sich schwerfällig und folgte mir ohne Widerspruch. Ich meinte ihm einen Dienst zu leisten, wenn ich ihn in die frische Lust führte und wir gin¬ gen nach dem Walde zu, doch klagte er bald über Müdigkeit, setzte sich nieder und lehnte sich mit dem Rücken an einen Baumstamm. Ich setzte mich zu ihm, sprach mit ihm, doch er schlief wieder ein. Nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/473>, abgerufen am 23.07.2024.