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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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bürgerliche Leben einzutreten, war er verdammt, sein Leben lang in den
erbärmlichen Verhältnissen kleiner Bühnen zuzubringen, ein Loos, daS
viele, wenn nicht die meisten Kinder von Schauspielern trifft. Selten
haben Schauspieler, wenn sie nicht Jahre lang an einem Orte bleiben,
Gelegenheit, ihren Kindern eine gute Erziehung zu geben. Der öftere
Wechsel des Aufenthalts reißt die Kinder immer wieder aus ihrer Schul-
laufbahn heraus, sie müssen fast überall von vorn anfangen. Dabei
vermeiden es die meisten Schauspieler nicht, ihre Kinder das Theater
besuchen zu lassen und das wirkt nachtheilig auf dieselben ein. Denn
die bunten, wechselvollen Bilder, welche die Bühne zeigt, beschäftigt
vorzugsweise die Einbildungskraft der Kinder, regt diese mehr an, als
die andern geistigen Fähigkeiten und bringt letztere natürlich in eine
Unterordnung. Diese Kinder kennen daher von Jugend auf auch kei¬
nen andern Lebenszweck, als selbst Schauspieler z" werden', eS fällt
ihnen meistens nicht ein, etwas Anderes zu ergreifen und, begabt oder
nicht, widmen sie sich der Bühne. Dazu kommt, daß sie von Jugend
auf den Schimpfnamen Komödiant hören müssen -- denn das Vorur¬
theil der Welt, das sich bei Erwachsenen aus Höflichkeit oft nicht äußert,
spricht sich bei Kindern unverhohlen aus -- und Sie mögen jedes
Schauspiclerkind fragen, ob es nicht von seinen Schulkameraden fort¬
während mit jenem Spitznamen genannt worden ist. Dies Alles zu¬
sammengenommen scheidet die Schauspielerkinder gewissermaßen vom
bürgerlichen Leben, erweckt eine Abneigung gegen dasselbe, macht sie
unfähig, dasselbe lieb zu gewinnen oder darein einzutreten, und so wer¬
den Sie leicht die eigenthümliche Richtung, die eigenthümlichen Grund¬
sätze vieler Schauspieler sich erklären können, die im Leben selbst eine
gewisse Vereinzelung einnehmen, aus der sie weder heraustreten können
noch wollen, und in die sie von dem Vorurtheile der Welt immer wie¬
der zurückgewiesen werden.

Hirsch war der Einzige, dessen Umgang mir behagte; er war ein
guter sitilicher Mensch, und seine Lernbegierde gab uns viel Gelegen¬
heit zu gegenseitigem Austausche. Ich war einst mit ihm spazieren
gegangen, als uns ein Mensch mit blauem Kittel und zugleich zerrisse¬
nem Schuhwerk begegnete, der uns nach dem Theater in Espenwalde
fragte. Seine reine deutsche Aussprache fiel uns auf, da wir gewohnt
waren, überall nur die Mundart des Landes zu hören; er hatte einen
schönen Kopf, mit hervorstechend edler Nase und langes, ihn gut klei¬
dendes Haar -- seine Frage nach dem Theater machte uns noch mehr
stutzig -- da schoß es wie ein Blitz durch meine Seele, -- Panther


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bürgerliche Leben einzutreten, war er verdammt, sein Leben lang in den
erbärmlichen Verhältnissen kleiner Bühnen zuzubringen, ein Loos, daS
viele, wenn nicht die meisten Kinder von Schauspielern trifft. Selten
haben Schauspieler, wenn sie nicht Jahre lang an einem Orte bleiben,
Gelegenheit, ihren Kindern eine gute Erziehung zu geben. Der öftere
Wechsel des Aufenthalts reißt die Kinder immer wieder aus ihrer Schul-
laufbahn heraus, sie müssen fast überall von vorn anfangen. Dabei
vermeiden es die meisten Schauspieler nicht, ihre Kinder das Theater
besuchen zu lassen und das wirkt nachtheilig auf dieselben ein. Denn
die bunten, wechselvollen Bilder, welche die Bühne zeigt, beschäftigt
vorzugsweise die Einbildungskraft der Kinder, regt diese mehr an, als
die andern geistigen Fähigkeiten und bringt letztere natürlich in eine
Unterordnung. Diese Kinder kennen daher von Jugend auf auch kei¬
nen andern Lebenszweck, als selbst Schauspieler z» werden', eS fällt
ihnen meistens nicht ein, etwas Anderes zu ergreifen und, begabt oder
nicht, widmen sie sich der Bühne. Dazu kommt, daß sie von Jugend
auf den Schimpfnamen Komödiant hören müssen — denn das Vorur¬
theil der Welt, das sich bei Erwachsenen aus Höflichkeit oft nicht äußert,
spricht sich bei Kindern unverhohlen aus — und Sie mögen jedes
Schauspiclerkind fragen, ob es nicht von seinen Schulkameraden fort¬
während mit jenem Spitznamen genannt worden ist. Dies Alles zu¬
sammengenommen scheidet die Schauspielerkinder gewissermaßen vom
bürgerlichen Leben, erweckt eine Abneigung gegen dasselbe, macht sie
unfähig, dasselbe lieb zu gewinnen oder darein einzutreten, und so wer¬
den Sie leicht die eigenthümliche Richtung, die eigenthümlichen Grund¬
sätze vieler Schauspieler sich erklären können, die im Leben selbst eine
gewisse Vereinzelung einnehmen, aus der sie weder heraustreten können
noch wollen, und in die sie von dem Vorurtheile der Welt immer wie¬
der zurückgewiesen werden.

Hirsch war der Einzige, dessen Umgang mir behagte; er war ein
guter sitilicher Mensch, und seine Lernbegierde gab uns viel Gelegen¬
heit zu gegenseitigem Austausche. Ich war einst mit ihm spazieren
gegangen, als uns ein Mensch mit blauem Kittel und zugleich zerrisse¬
nem Schuhwerk begegnete, der uns nach dem Theater in Espenwalde
fragte. Seine reine deutsche Aussprache fiel uns auf, da wir gewohnt
waren, überall nur die Mundart des Landes zu hören; er hatte einen
schönen Kopf, mit hervorstechend edler Nase und langes, ihn gut klei¬
dendes Haar — seine Frage nach dem Theater machte uns noch mehr
stutzig — da schoß es wie ein Blitz durch meine Seele, — Panther


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[0471] bürgerliche Leben einzutreten, war er verdammt, sein Leben lang in den erbärmlichen Verhältnissen kleiner Bühnen zuzubringen, ein Loos, daS viele, wenn nicht die meisten Kinder von Schauspielern trifft. Selten haben Schauspieler, wenn sie nicht Jahre lang an einem Orte bleiben, Gelegenheit, ihren Kindern eine gute Erziehung zu geben. Der öftere Wechsel des Aufenthalts reißt die Kinder immer wieder aus ihrer Schul- laufbahn heraus, sie müssen fast überall von vorn anfangen. Dabei vermeiden es die meisten Schauspieler nicht, ihre Kinder das Theater besuchen zu lassen und das wirkt nachtheilig auf dieselben ein. Denn die bunten, wechselvollen Bilder, welche die Bühne zeigt, beschäftigt vorzugsweise die Einbildungskraft der Kinder, regt diese mehr an, als die andern geistigen Fähigkeiten und bringt letztere natürlich in eine Unterordnung. Diese Kinder kennen daher von Jugend auf auch kei¬ nen andern Lebenszweck, als selbst Schauspieler z» werden', eS fällt ihnen meistens nicht ein, etwas Anderes zu ergreifen und, begabt oder nicht, widmen sie sich der Bühne. Dazu kommt, daß sie von Jugend auf den Schimpfnamen Komödiant hören müssen — denn das Vorur¬ theil der Welt, das sich bei Erwachsenen aus Höflichkeit oft nicht äußert, spricht sich bei Kindern unverhohlen aus — und Sie mögen jedes Schauspiclerkind fragen, ob es nicht von seinen Schulkameraden fort¬ während mit jenem Spitznamen genannt worden ist. Dies Alles zu¬ sammengenommen scheidet die Schauspielerkinder gewissermaßen vom bürgerlichen Leben, erweckt eine Abneigung gegen dasselbe, macht sie unfähig, dasselbe lieb zu gewinnen oder darein einzutreten, und so wer¬ den Sie leicht die eigenthümliche Richtung, die eigenthümlichen Grund¬ sätze vieler Schauspieler sich erklären können, die im Leben selbst eine gewisse Vereinzelung einnehmen, aus der sie weder heraustreten können noch wollen, und in die sie von dem Vorurtheile der Welt immer wie¬ der zurückgewiesen werden. Hirsch war der Einzige, dessen Umgang mir behagte; er war ein guter sitilicher Mensch, und seine Lernbegierde gab uns viel Gelegen¬ heit zu gegenseitigem Austausche. Ich war einst mit ihm spazieren gegangen, als uns ein Mensch mit blauem Kittel und zugleich zerrisse¬ nem Schuhwerk begegnete, der uns nach dem Theater in Espenwalde fragte. Seine reine deutsche Aussprache fiel uns auf, da wir gewohnt waren, überall nur die Mundart des Landes zu hören; er hatte einen schönen Kopf, mit hervorstechend edler Nase und langes, ihn gut klei¬ dendes Haar — seine Frage nach dem Theater machte uns noch mehr stutzig — da schoß es wie ein Blitz durch meine Seele, — Panther 62»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/471>, abgerufen am 23.07.2024.