Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eher Karl Moor sich selbst vor Gericht stellt, wobei ein edler Fürst
unerkannt mit zu Gericht sitzt und den großen Räuber zuletzt für eine
edle, verkannte Tugend erklärt und ihn zu hohen Ehren bringt. Am
Meisten aber hielt er auf eine Fortsetzung der Kreuzfahrer von Kotzebue,
die er auch aller Orten zur Aufführung brachte. In dieser kam Alles
um. Ritter Balduin von Eichenhorst und seine Emma wurden bei der
Rückkehr von Räubern erschlagen und der treue Walter und Konrad
gingen wieder nach dem gelobten Lande, um als fromme Einsiedler
ihr Leben zu beschließen und das schwergeprüfte Liebespaar zu beweinen.
Dabei trafen sie den allen Emir der Seldschucken, der auf dem Grabe
seiner Tochter Faune, die vor Liebeskummer gestorben war, rührende
Klagetöne von sich gab. Wir führten das Stück auf. Hengst spielte
den alten Emir. Die Scene war das Grab Fatimen's. Langsamer
Schrittes tritt Hengst auf, das Gesicht verhüllt mit den Händen. Er
bleibt stehen, nimmt die Hände vom Gesicht, wirft einen bangen, schmerz¬
lichen Blick nach oben, dann einen nach unten auf das Grab Fatimen's,
sein Gesicht verzieht sich zum Weinen, er verhüllt es wieder mit den
Händen. Große Pause. Drei Schritte vor. Mit winselnder Stimme
spricht er dann zu zwei mit ihm gekommenen Seldschucken: "Laßt mich
allein." Die Kerle gehen. Er sieht ihnen lange nach und spricht
salbungsvoll: "Vaterschmerz verträgt keine Zeugen." Dann wendet er
sich gegen das Grab, seufzt dreimal und spricht: "Seit fünf Jahren
komme ich täglich hierher und täglich leere ich auf'ö Neue den Kelch
des Schmerzes." Große Pause. Er macht das just wie Jemand, der
eine versiegelte Flasche mühsam entpfropft und dann trinken will --
umständlich kam er nach und nach auf den Punkt, wo er in Schmerz
ausbrechen wollte. Jetzt trat er dicht an das Grab, wischte eine Thräne
aus dem Auge, warf sich mit aller Gewalt über den Hügel und rief
mit heulender Donnerstimme: "Fatime, Fatime, hast du mich auf ewig
verlassen!?" In diesem Augenblick ließ ein Kater auf dem Boden ein
zärtliches Miau erschallen. Den Kopf halb abgewandt, rief er "Phe"
in die Coulisse, und 5amie kein Wort seiner Dichtung verloren gehe,
begann er von neuem nach gehöriger Vorbereitung: "Fatime, Fatime,
hast du mich auf ewig verlassen!?" "Miau" war die Antwort von
oben. Jetzt ward er böse -- halbuntcrdrückt rief er in die Coulisse.-
"Schaffr den verfluchten Kater fort!" -- und begann zum dritten Male
seine schmerzlichen Vorbereitungen und rief zum dritten Male: "Fatime,
Fatime hast du mich auf ewig verlassen!?" Da erhob sich ein Poltern
auf dem Boden; Dienstfertige wollten den Kater verjagen und das


eher Karl Moor sich selbst vor Gericht stellt, wobei ein edler Fürst
unerkannt mit zu Gericht sitzt und den großen Räuber zuletzt für eine
edle, verkannte Tugend erklärt und ihn zu hohen Ehren bringt. Am
Meisten aber hielt er auf eine Fortsetzung der Kreuzfahrer von Kotzebue,
die er auch aller Orten zur Aufführung brachte. In dieser kam Alles
um. Ritter Balduin von Eichenhorst und seine Emma wurden bei der
Rückkehr von Räubern erschlagen und der treue Walter und Konrad
gingen wieder nach dem gelobten Lande, um als fromme Einsiedler
ihr Leben zu beschließen und das schwergeprüfte Liebespaar zu beweinen.
Dabei trafen sie den allen Emir der Seldschucken, der auf dem Grabe
seiner Tochter Faune, die vor Liebeskummer gestorben war, rührende
Klagetöne von sich gab. Wir führten das Stück auf. Hengst spielte
den alten Emir. Die Scene war das Grab Fatimen's. Langsamer
Schrittes tritt Hengst auf, das Gesicht verhüllt mit den Händen. Er
bleibt stehen, nimmt die Hände vom Gesicht, wirft einen bangen, schmerz¬
lichen Blick nach oben, dann einen nach unten auf das Grab Fatimen's,
sein Gesicht verzieht sich zum Weinen, er verhüllt es wieder mit den
Händen. Große Pause. Drei Schritte vor. Mit winselnder Stimme
spricht er dann zu zwei mit ihm gekommenen Seldschucken: „Laßt mich
allein." Die Kerle gehen. Er sieht ihnen lange nach und spricht
salbungsvoll: „Vaterschmerz verträgt keine Zeugen." Dann wendet er
sich gegen das Grab, seufzt dreimal und spricht: „Seit fünf Jahren
komme ich täglich hierher und täglich leere ich auf'ö Neue den Kelch
des Schmerzes." Große Pause. Er macht das just wie Jemand, der
eine versiegelte Flasche mühsam entpfropft und dann trinken will —
umständlich kam er nach und nach auf den Punkt, wo er in Schmerz
ausbrechen wollte. Jetzt trat er dicht an das Grab, wischte eine Thräne
aus dem Auge, warf sich mit aller Gewalt über den Hügel und rief
mit heulender Donnerstimme: „Fatime, Fatime, hast du mich auf ewig
verlassen!?" In diesem Augenblick ließ ein Kater auf dem Boden ein
zärtliches Miau erschallen. Den Kopf halb abgewandt, rief er „Phe"
in die Coulisse, und 5amie kein Wort seiner Dichtung verloren gehe,
begann er von neuem nach gehöriger Vorbereitung: „Fatime, Fatime,
hast du mich auf ewig verlassen!?" „Miau" war die Antwort von
oben. Jetzt ward er böse — halbuntcrdrückt rief er in die Coulisse.-
„Schaffr den verfluchten Kater fort!" — und begann zum dritten Male
seine schmerzlichen Vorbereitungen und rief zum dritten Male: „Fatime,
Fatime hast du mich auf ewig verlassen!?" Da erhob sich ein Poltern
auf dem Boden; Dienstfertige wollten den Kater verjagen und das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184048"/>
            <p xml:id="ID_1334" prev="#ID_1333" next="#ID_1335"> eher Karl Moor sich selbst vor Gericht stellt, wobei ein edler Fürst<lb/>
unerkannt mit zu Gericht sitzt und den großen Räuber zuletzt für eine<lb/>
edle, verkannte Tugend erklärt und ihn zu hohen Ehren bringt. Am<lb/>
Meisten aber hielt er auf eine Fortsetzung der Kreuzfahrer von Kotzebue,<lb/>
die er auch aller Orten zur Aufführung brachte. In dieser kam Alles<lb/>
um. Ritter Balduin von Eichenhorst und seine Emma wurden bei der<lb/>
Rückkehr von Räubern erschlagen und der treue Walter und Konrad<lb/>
gingen wieder nach dem gelobten Lande, um als fromme Einsiedler<lb/>
ihr Leben zu beschließen und das schwergeprüfte Liebespaar zu beweinen.<lb/>
Dabei trafen sie den allen Emir der Seldschucken, der auf dem Grabe<lb/>
seiner Tochter Faune, die vor Liebeskummer gestorben war, rührende<lb/>
Klagetöne von sich gab. Wir führten das Stück auf. Hengst spielte<lb/>
den alten Emir. Die Scene war das Grab Fatimen's. Langsamer<lb/>
Schrittes tritt Hengst auf, das Gesicht verhüllt mit den Händen. Er<lb/>
bleibt stehen, nimmt die Hände vom Gesicht, wirft einen bangen, schmerz¬<lb/>
lichen Blick nach oben, dann einen nach unten auf das Grab Fatimen's,<lb/>
sein Gesicht verzieht sich zum Weinen, er verhüllt es wieder mit den<lb/>
Händen. Große Pause. Drei Schritte vor. Mit winselnder Stimme<lb/>
spricht er dann zu zwei mit ihm gekommenen Seldschucken: &#x201E;Laßt mich<lb/>
allein." Die Kerle gehen. Er sieht ihnen lange nach und spricht<lb/>
salbungsvoll: &#x201E;Vaterschmerz verträgt keine Zeugen." Dann wendet er<lb/>
sich gegen das Grab, seufzt dreimal und spricht: &#x201E;Seit fünf Jahren<lb/>
komme ich täglich hierher und täglich leere ich auf'ö Neue den Kelch<lb/>
des Schmerzes." Große Pause. Er macht das just wie Jemand, der<lb/>
eine versiegelte Flasche mühsam entpfropft und dann trinken will &#x2014;<lb/>
umständlich kam er nach und nach auf den Punkt, wo er in Schmerz<lb/>
ausbrechen wollte. Jetzt trat er dicht an das Grab, wischte eine Thräne<lb/>
aus dem Auge, warf sich mit aller Gewalt über den Hügel und rief<lb/>
mit heulender Donnerstimme: &#x201E;Fatime, Fatime, hast du mich auf ewig<lb/>
verlassen!?" In diesem Augenblick ließ ein Kater auf dem Boden ein<lb/>
zärtliches Miau erschallen. Den Kopf halb abgewandt, rief er &#x201E;Phe"<lb/>
in die Coulisse, und 5amie kein Wort seiner Dichtung verloren gehe,<lb/>
begann er von neuem nach gehöriger Vorbereitung: &#x201E;Fatime, Fatime,<lb/>
hast du mich auf ewig verlassen!?" &#x201E;Miau" war die Antwort von<lb/>
oben. Jetzt ward er böse &#x2014; halbuntcrdrückt rief er in die Coulisse.-<lb/>
&#x201E;Schaffr den verfluchten Kater fort!" &#x2014; und begann zum dritten Male<lb/>
seine schmerzlichen Vorbereitungen und rief zum dritten Male: &#x201E;Fatime,<lb/>
Fatime hast du mich auf ewig verlassen!?" Da erhob sich ein Poltern<lb/>
auf dem Boden; Dienstfertige wollten den Kater verjagen und das</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0466] eher Karl Moor sich selbst vor Gericht stellt, wobei ein edler Fürst unerkannt mit zu Gericht sitzt und den großen Räuber zuletzt für eine edle, verkannte Tugend erklärt und ihn zu hohen Ehren bringt. Am Meisten aber hielt er auf eine Fortsetzung der Kreuzfahrer von Kotzebue, die er auch aller Orten zur Aufführung brachte. In dieser kam Alles um. Ritter Balduin von Eichenhorst und seine Emma wurden bei der Rückkehr von Räubern erschlagen und der treue Walter und Konrad gingen wieder nach dem gelobten Lande, um als fromme Einsiedler ihr Leben zu beschließen und das schwergeprüfte Liebespaar zu beweinen. Dabei trafen sie den allen Emir der Seldschucken, der auf dem Grabe seiner Tochter Faune, die vor Liebeskummer gestorben war, rührende Klagetöne von sich gab. Wir führten das Stück auf. Hengst spielte den alten Emir. Die Scene war das Grab Fatimen's. Langsamer Schrittes tritt Hengst auf, das Gesicht verhüllt mit den Händen. Er bleibt stehen, nimmt die Hände vom Gesicht, wirft einen bangen, schmerz¬ lichen Blick nach oben, dann einen nach unten auf das Grab Fatimen's, sein Gesicht verzieht sich zum Weinen, er verhüllt es wieder mit den Händen. Große Pause. Drei Schritte vor. Mit winselnder Stimme spricht er dann zu zwei mit ihm gekommenen Seldschucken: „Laßt mich allein." Die Kerle gehen. Er sieht ihnen lange nach und spricht salbungsvoll: „Vaterschmerz verträgt keine Zeugen." Dann wendet er sich gegen das Grab, seufzt dreimal und spricht: „Seit fünf Jahren komme ich täglich hierher und täglich leere ich auf'ö Neue den Kelch des Schmerzes." Große Pause. Er macht das just wie Jemand, der eine versiegelte Flasche mühsam entpfropft und dann trinken will — umständlich kam er nach und nach auf den Punkt, wo er in Schmerz ausbrechen wollte. Jetzt trat er dicht an das Grab, wischte eine Thräne aus dem Auge, warf sich mit aller Gewalt über den Hügel und rief mit heulender Donnerstimme: „Fatime, Fatime, hast du mich auf ewig verlassen!?" In diesem Augenblick ließ ein Kater auf dem Boden ein zärtliches Miau erschallen. Den Kopf halb abgewandt, rief er „Phe" in die Coulisse, und 5amie kein Wort seiner Dichtung verloren gehe, begann er von neuem nach gehöriger Vorbereitung: „Fatime, Fatime, hast du mich auf ewig verlassen!?" „Miau" war die Antwort von oben. Jetzt ward er böse — halbuntcrdrückt rief er in die Coulisse.- „Schaffr den verfluchten Kater fort!" — und begann zum dritten Male seine schmerzlichen Vorbereitungen und rief zum dritten Male: „Fatime, Fatime hast du mich auf ewig verlassen!?" Da erhob sich ein Poltern auf dem Boden; Dienstfertige wollten den Kater verjagen und das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/466
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/466>, abgerufen am 23.07.2024.