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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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lichen Leiden hilft, gegen Hunger und Ermüdung hilft es nichts. Endlich
sahen wir den langen, spitzen Thurm von Ulmhain -- aber noch zwei
lange, endlose Stunden mußten wir gehen, ehe wir das Thor erreichten.
Es war Sonntag Nachmittags, die Spaziergänger strömten uns aus dem
Thore entgegen, überall frohe, fröhliche Menschen, die auszogen, sich
zu freuen, und wir schlichen langsam in die Stadt, ermüdet, unbekannt,
von Niemandem willkommen geheißen, auch unsere gute Laune war
gebrochen. Das war ein trauriger Sonntag Nachmittag. Wir wandten
uns am andern Tage wegen einer Abendunterhaltung an die Leute,
die dem Publicum in solchen Fällen gewöhnlich zu Führern dienen,
und deren man in jeder Stadt findet -- sie riechen uns alle ab, etwas
zu versuchen. Vielleicht wäre es doch gegangen, allein unser erster
mißglückter Versuch hatte uns etwas muthlos gemacht, zudem war
Zebra nicht der Mann, der etwas durchsetzte, kurz, wir gaben es auf.
Wir konnten jedoch unsere Reise nicht fortsetzen, ohne etwas zu ver¬
dienen. Zum Glück für uns befand sich zwei Stunden von Ulmhain
in einem kleinen Städtchen eine kleine Gesellschaft, die uns mit Ver¬
gnügen als Gäste begrüßte und wo wir auch einige Thaler verdienten.
Der Schaufpieldirector hieß Hengst und war ein närrischer Kauz.
Ohne alles innere Talent zum Theater besaß er doch eine glühende
Leidenschaft für das Komödienspielen. Die eigentliche Kunst setzte er
darein, immer anders wie vernünftige Menschen zu sprechen. Er ging
in seiner Rede und seinem Wesen immer auf Stelzen, sprach die ein¬
fachsten Dinge mit großem Aufwande von Ton und Geberden und
bei rührenden Stellen begann er ein förmliches Heulen. Sie werden
übrigens die Bemerkung öfter machen, daß völlig talentlose Schau-,
spielet in der Unnatur die Kunst suchen. Ob dies, ein Ueberbleibsel
jener alten Zeit des deutschen Theaters ist, wo die sogenannten Haupt-
und Staatsactionen gang und gebe waren, oder ob dies eine Eigen¬
schaft der Talentlosigkeit überhaupt ist, die sich immer wiederholt,
mag ich nicht entscheiden. Doch möchte ich indeß das Letzte glauben,
denn Sie finden diesen für Kunst allsgegebenen Schwulst auch in an¬
dern Künsten wieder, z. B. in der Dichtkunst. Neben der Wuth, immer
gerührt oder zornig oder erhaben zu spielen, hatte Hengst noch die --
Stücke zu schreiben. Namentlich liebte er es, Fortsetzungen, zu andern
Stücken zu liefern. So hatte er eine Fortsetzung von Kabale und
Liebe gemacht, in welcher der Prozeß Wurm's und des Präsidenten
verhandelt wurde und die beiden Bösewichter in scheußlichster Gestalt
dastanden. Auch eine Fortsetzung von den Räubern besaß er, in wei-


lichen Leiden hilft, gegen Hunger und Ermüdung hilft es nichts. Endlich
sahen wir den langen, spitzen Thurm von Ulmhain — aber noch zwei
lange, endlose Stunden mußten wir gehen, ehe wir das Thor erreichten.
Es war Sonntag Nachmittags, die Spaziergänger strömten uns aus dem
Thore entgegen, überall frohe, fröhliche Menschen, die auszogen, sich
zu freuen, und wir schlichen langsam in die Stadt, ermüdet, unbekannt,
von Niemandem willkommen geheißen, auch unsere gute Laune war
gebrochen. Das war ein trauriger Sonntag Nachmittag. Wir wandten
uns am andern Tage wegen einer Abendunterhaltung an die Leute,
die dem Publicum in solchen Fällen gewöhnlich zu Führern dienen,
und deren man in jeder Stadt findet — sie riechen uns alle ab, etwas
zu versuchen. Vielleicht wäre es doch gegangen, allein unser erster
mißglückter Versuch hatte uns etwas muthlos gemacht, zudem war
Zebra nicht der Mann, der etwas durchsetzte, kurz, wir gaben es auf.
Wir konnten jedoch unsere Reise nicht fortsetzen, ohne etwas zu ver¬
dienen. Zum Glück für uns befand sich zwei Stunden von Ulmhain
in einem kleinen Städtchen eine kleine Gesellschaft, die uns mit Ver¬
gnügen als Gäste begrüßte und wo wir auch einige Thaler verdienten.
Der Schaufpieldirector hieß Hengst und war ein närrischer Kauz.
Ohne alles innere Talent zum Theater besaß er doch eine glühende
Leidenschaft für das Komödienspielen. Die eigentliche Kunst setzte er
darein, immer anders wie vernünftige Menschen zu sprechen. Er ging
in seiner Rede und seinem Wesen immer auf Stelzen, sprach die ein¬
fachsten Dinge mit großem Aufwande von Ton und Geberden und
bei rührenden Stellen begann er ein förmliches Heulen. Sie werden
übrigens die Bemerkung öfter machen, daß völlig talentlose Schau-,
spielet in der Unnatur die Kunst suchen. Ob dies, ein Ueberbleibsel
jener alten Zeit des deutschen Theaters ist, wo die sogenannten Haupt-
und Staatsactionen gang und gebe waren, oder ob dies eine Eigen¬
schaft der Talentlosigkeit überhaupt ist, die sich immer wiederholt,
mag ich nicht entscheiden. Doch möchte ich indeß das Letzte glauben,
denn Sie finden diesen für Kunst allsgegebenen Schwulst auch in an¬
dern Künsten wieder, z. B. in der Dichtkunst. Neben der Wuth, immer
gerührt oder zornig oder erhaben zu spielen, hatte Hengst noch die —
Stücke zu schreiben. Namentlich liebte er es, Fortsetzungen, zu andern
Stücken zu liefern. So hatte er eine Fortsetzung von Kabale und
Liebe gemacht, in welcher der Prozeß Wurm's und des Präsidenten
verhandelt wurde und die beiden Bösewichter in scheußlichster Gestalt
dastanden. Auch eine Fortsetzung von den Räubern besaß er, in wei-


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[0465] lichen Leiden hilft, gegen Hunger und Ermüdung hilft es nichts. Endlich sahen wir den langen, spitzen Thurm von Ulmhain — aber noch zwei lange, endlose Stunden mußten wir gehen, ehe wir das Thor erreichten. Es war Sonntag Nachmittags, die Spaziergänger strömten uns aus dem Thore entgegen, überall frohe, fröhliche Menschen, die auszogen, sich zu freuen, und wir schlichen langsam in die Stadt, ermüdet, unbekannt, von Niemandem willkommen geheißen, auch unsere gute Laune war gebrochen. Das war ein trauriger Sonntag Nachmittag. Wir wandten uns am andern Tage wegen einer Abendunterhaltung an die Leute, die dem Publicum in solchen Fällen gewöhnlich zu Führern dienen, und deren man in jeder Stadt findet — sie riechen uns alle ab, etwas zu versuchen. Vielleicht wäre es doch gegangen, allein unser erster mißglückter Versuch hatte uns etwas muthlos gemacht, zudem war Zebra nicht der Mann, der etwas durchsetzte, kurz, wir gaben es auf. Wir konnten jedoch unsere Reise nicht fortsetzen, ohne etwas zu ver¬ dienen. Zum Glück für uns befand sich zwei Stunden von Ulmhain in einem kleinen Städtchen eine kleine Gesellschaft, die uns mit Ver¬ gnügen als Gäste begrüßte und wo wir auch einige Thaler verdienten. Der Schaufpieldirector hieß Hengst und war ein närrischer Kauz. Ohne alles innere Talent zum Theater besaß er doch eine glühende Leidenschaft für das Komödienspielen. Die eigentliche Kunst setzte er darein, immer anders wie vernünftige Menschen zu sprechen. Er ging in seiner Rede und seinem Wesen immer auf Stelzen, sprach die ein¬ fachsten Dinge mit großem Aufwande von Ton und Geberden und bei rührenden Stellen begann er ein förmliches Heulen. Sie werden übrigens die Bemerkung öfter machen, daß völlig talentlose Schau-, spielet in der Unnatur die Kunst suchen. Ob dies, ein Ueberbleibsel jener alten Zeit des deutschen Theaters ist, wo die sogenannten Haupt- und Staatsactionen gang und gebe waren, oder ob dies eine Eigen¬ schaft der Talentlosigkeit überhaupt ist, die sich immer wiederholt, mag ich nicht entscheiden. Doch möchte ich indeß das Letzte glauben, denn Sie finden diesen für Kunst allsgegebenen Schwulst auch in an¬ dern Künsten wieder, z. B. in der Dichtkunst. Neben der Wuth, immer gerührt oder zornig oder erhaben zu spielen, hatte Hengst noch die — Stücke zu schreiben. Namentlich liebte er es, Fortsetzungen, zu andern Stücken zu liefern. So hatte er eine Fortsetzung von Kabale und Liebe gemacht, in welcher der Prozeß Wurm's und des Präsidenten verhandelt wurde und die beiden Bösewichter in scheußlichster Gestalt dastanden. Auch eine Fortsetzung von den Räubern besaß er, in wei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/465>, abgerufen am 23.07.2024.