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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Gedanken habe stehen lassen, oder daß eine Kaffeemühle wegen Mein^
gel an Raum zu verkaufen sei.

Man sollte glauben, Gaul hätte nach diesem Fehlschlagen alle
Hoffnung aufgegeben, allein er ließ sich so leicht nicht entmuthigen.
Am andern Tage kam eine Musikbande nach Schlehdorf--er schöpfte
neue Hoffnung. In einem im Bau begriffenen Hause ward ihm eine
Lehnkammer eingeräumt -- dort schlug er die Bühne wiederholt auf,
die Musikanten bliesen zwei Stunden lang die schmetterndsten Einla¬
dungen -- doch auch die Verbindung von drei Künsten, Dicht-, Ton-
und Schauspielkunst im schönsten Vereine vermochten die Flucht der
Schlehdorfer vor den Werken des Satans nicht zu überwinden -- es
kam Niemand und bezahlte fünf Silbergroschen. Ob sie, die Schleh¬
dorfer nämlich, am nächsten Sonntage etwas weniger abgekanzelt wur¬
den, weil sie der Versuchung zur Sünde so männlich widerstanden,
weiß ich nicht -- wie Gaul sich aus seiner Lage herausgerissen, weiß
ich auch nicht -- ich konnte ihm nicht helfen.

Etwa eine Woche nach diesen Abenteuern kam mein Reisegefährte,
mich zu unserer Wanderung abzuholen. Er hieß Zebra und war ein
merkwürdiger Mensch. Ein schöner, stattlicher Mann, besaß er die
mannichfachsten Talente. Er war ein sehr tüchtiger Schauspieler und
in feinkomischen Rollen ausgezeichnet -- ich habe manche Rolle nie
besser gesehen. Dabei besaß er einen herrlichen Bariton, war ein sehr
gewandter Sänger und trug namentlich Lieder vorzüglich schön vor.
Sein Don Juan, Zampa, Jäger u. s. w. waren treffliche Leistungen.
Er spielte sehr gut Violine, componirte gar nicht unglücklich und malte
sehr hübsch. Mit allen diesen Talenten verband er eine große persön¬
liche Liebenswürdigkeit, die ihm Aller Herzen gewann. Und doch war
er ein Verlorner Mensch -- er trank. Seinem Charakter fehlte Willens¬
kraft, seinem Geiste eine gründliche, wissenschaftliche Bildung. Er wußte
viel, aber nur oberflächlich und so gab ihm eine wissenschaftliche Be¬
schäftigung keine Anregung. Er kannte und verabscheute seinen Fehler des
Trinkens; der große, starke Mann hat vor mir geweint wie ein Kind,
hat mir mit heiligen Eiden zugeschworen, nie wieder einen Tropfen
über die Lippen zu bringen, hat mich aufgefordert, ihn öffentlich in's
Gesicht zu schlagen, wenn ich ihn trinken sähe -- und zwei Stunde"
später traf ich ihn berauscht! Mir sind solche Menschen schon mehr¬
fach vorgekommen und ich möchte die Ursachen dieser Erscheinung wohl
ergründen können. Das Trinken an und für sich wird leicht zur Ge¬
wohnheit und endlich körperliches Bedürfniß; -- dies mag der


Gedanken habe stehen lassen, oder daß eine Kaffeemühle wegen Mein^
gel an Raum zu verkaufen sei.

Man sollte glauben, Gaul hätte nach diesem Fehlschlagen alle
Hoffnung aufgegeben, allein er ließ sich so leicht nicht entmuthigen.
Am andern Tage kam eine Musikbande nach Schlehdorf—er schöpfte
neue Hoffnung. In einem im Bau begriffenen Hause ward ihm eine
Lehnkammer eingeräumt — dort schlug er die Bühne wiederholt auf,
die Musikanten bliesen zwei Stunden lang die schmetterndsten Einla¬
dungen — doch auch die Verbindung von drei Künsten, Dicht-, Ton-
und Schauspielkunst im schönsten Vereine vermochten die Flucht der
Schlehdorfer vor den Werken des Satans nicht zu überwinden — es
kam Niemand und bezahlte fünf Silbergroschen. Ob sie, die Schleh¬
dorfer nämlich, am nächsten Sonntage etwas weniger abgekanzelt wur¬
den, weil sie der Versuchung zur Sünde so männlich widerstanden,
weiß ich nicht — wie Gaul sich aus seiner Lage herausgerissen, weiß
ich auch nicht — ich konnte ihm nicht helfen.

Etwa eine Woche nach diesen Abenteuern kam mein Reisegefährte,
mich zu unserer Wanderung abzuholen. Er hieß Zebra und war ein
merkwürdiger Mensch. Ein schöner, stattlicher Mann, besaß er die
mannichfachsten Talente. Er war ein sehr tüchtiger Schauspieler und
in feinkomischen Rollen ausgezeichnet — ich habe manche Rolle nie
besser gesehen. Dabei besaß er einen herrlichen Bariton, war ein sehr
gewandter Sänger und trug namentlich Lieder vorzüglich schön vor.
Sein Don Juan, Zampa, Jäger u. s. w. waren treffliche Leistungen.
Er spielte sehr gut Violine, componirte gar nicht unglücklich und malte
sehr hübsch. Mit allen diesen Talenten verband er eine große persön¬
liche Liebenswürdigkeit, die ihm Aller Herzen gewann. Und doch war
er ein Verlorner Mensch — er trank. Seinem Charakter fehlte Willens¬
kraft, seinem Geiste eine gründliche, wissenschaftliche Bildung. Er wußte
viel, aber nur oberflächlich und so gab ihm eine wissenschaftliche Be¬
schäftigung keine Anregung. Er kannte und verabscheute seinen Fehler des
Trinkens; der große, starke Mann hat vor mir geweint wie ein Kind,
hat mir mit heiligen Eiden zugeschworen, nie wieder einen Tropfen
über die Lippen zu bringen, hat mich aufgefordert, ihn öffentlich in's
Gesicht zu schlagen, wenn ich ihn trinken sähe — und zwei Stunde»
später traf ich ihn berauscht! Mir sind solche Menschen schon mehr¬
fach vorgekommen und ich möchte die Ursachen dieser Erscheinung wohl
ergründen können. Das Trinken an und für sich wird leicht zur Ge¬
wohnheit und endlich körperliches Bedürfniß; — dies mag der


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[0462] Gedanken habe stehen lassen, oder daß eine Kaffeemühle wegen Mein^ gel an Raum zu verkaufen sei. Man sollte glauben, Gaul hätte nach diesem Fehlschlagen alle Hoffnung aufgegeben, allein er ließ sich so leicht nicht entmuthigen. Am andern Tage kam eine Musikbande nach Schlehdorf—er schöpfte neue Hoffnung. In einem im Bau begriffenen Hause ward ihm eine Lehnkammer eingeräumt — dort schlug er die Bühne wiederholt auf, die Musikanten bliesen zwei Stunden lang die schmetterndsten Einla¬ dungen — doch auch die Verbindung von drei Künsten, Dicht-, Ton- und Schauspielkunst im schönsten Vereine vermochten die Flucht der Schlehdorfer vor den Werken des Satans nicht zu überwinden — es kam Niemand und bezahlte fünf Silbergroschen. Ob sie, die Schleh¬ dorfer nämlich, am nächsten Sonntage etwas weniger abgekanzelt wur¬ den, weil sie der Versuchung zur Sünde so männlich widerstanden, weiß ich nicht — wie Gaul sich aus seiner Lage herausgerissen, weiß ich auch nicht — ich konnte ihm nicht helfen. Etwa eine Woche nach diesen Abenteuern kam mein Reisegefährte, mich zu unserer Wanderung abzuholen. Er hieß Zebra und war ein merkwürdiger Mensch. Ein schöner, stattlicher Mann, besaß er die mannichfachsten Talente. Er war ein sehr tüchtiger Schauspieler und in feinkomischen Rollen ausgezeichnet — ich habe manche Rolle nie besser gesehen. Dabei besaß er einen herrlichen Bariton, war ein sehr gewandter Sänger und trug namentlich Lieder vorzüglich schön vor. Sein Don Juan, Zampa, Jäger u. s. w. waren treffliche Leistungen. Er spielte sehr gut Violine, componirte gar nicht unglücklich und malte sehr hübsch. Mit allen diesen Talenten verband er eine große persön¬ liche Liebenswürdigkeit, die ihm Aller Herzen gewann. Und doch war er ein Verlorner Mensch — er trank. Seinem Charakter fehlte Willens¬ kraft, seinem Geiste eine gründliche, wissenschaftliche Bildung. Er wußte viel, aber nur oberflächlich und so gab ihm eine wissenschaftliche Be¬ schäftigung keine Anregung. Er kannte und verabscheute seinen Fehler des Trinkens; der große, starke Mann hat vor mir geweint wie ein Kind, hat mir mit heiligen Eiden zugeschworen, nie wieder einen Tropfen über die Lippen zu bringen, hat mich aufgefordert, ihn öffentlich in's Gesicht zu schlagen, wenn ich ihn trinken sähe — und zwei Stunde» später traf ich ihn berauscht! Mir sind solche Menschen schon mehr¬ fach vorgekommen und ich möchte die Ursachen dieser Erscheinung wohl ergründen können. Das Trinken an und für sich wird leicht zur Ge¬ wohnheit und endlich körperliches Bedürfniß; — dies mag der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/462>, abgerufen am 23.07.2024.