Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.gen die Bühne richteten. Hatten wir das Militair aus Leipzig oder Ar-nzbotm. IV. 1""K. 61
gen die Bühne richteten. Hatten wir das Militair aus Leipzig oder Ar-nzbotm. IV. 1««K. 61
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184043"/> <p xml:id="ID_1325" prev="#ID_1324" next="#ID_1326"> gen die Bühne richteten. Hatten wir das Militair aus Leipzig oder<lb/> Cöln gehabt, wir würden ihre Steinwürfe schon mit Kugeln und Ba¬<lb/> jonettstößen erwidert haben, allein so waren wir schutzlos dem entfessel¬<lb/> ten Muthwillen der quf's Höchste gereizten Ungeduld der Schlehoor-<lb/> fer Gassenbuben Preis gegeben. Dauerte der Steinhagel länger, so<lb/> verdarb er uns die Leinwand und die Dekorationen und wir mußten<lb/> großen Schadenersatz leisten. Was thun? Auf Einnahme durften<lb/> wir doch nicht mehr hoffen ^ so riefen wir denn die Jungen von den<lb/> Bäumen herab, hießen sie Platz nehmen in den den Musen geweihten<lb/> Hallen, zogen den Vorhang auf und spielten dem so versammelten<lb/> Publicum den Eckensteher Rande im Verhöre vor. Wir hatten zwar<lb/> kein Buch, hatten das Stück kaum einmal gesehen — allein aus dem<lb/> Stegreife brachten wir die uns im Gedächtniß haftenden Witze des<lb/> kleinen Stückchens vor von denen unser Publicum allerdings nicht<lb/> eine Sylbe verstand. Zum Schluß rief Gaul, der den Actuarius<lb/> machte: ,Nun, lieber Eckensteher, wollen wir auch eins singen!" —<lb/> und wir stimmten an, Arm in Arm geschlungen: „Kommt a Vögerl<lb/> geflogen, setzt sich nieder auf mein Fuß" — die drei Männer für vier<lb/> Silbergroschen schüttelten bedächtig die Häupter über das Teufelswerk,<lb/> die Schlehdorfer Jugend aber zog von dannen, besiegt von der Macht<lb/> der Kunst. Das war der erste Versuch, Kunstsinn in Schlehdorf zu<lb/> erwecken. Gutes Schlehvorf, du bist zu beneiden! Wer wenig Lebens¬<lb/> bedürfnisse hat, ist glücklich. Daß du leibliche Bedürfnisse nicht über¬<lb/> mäßig hattest, zeigte vein Aussehen, denn von dem überflüssigen Lurus<lb/> eines Straßenpflasters hattest du keinen Begriff, der Tyrannei einer<lb/> Bauordnung waren deine Häuser nicht unterworfen, sie standen in<lb/> schönster Freiheit schief und winklig, wie es ihnen beliebte, und droh¬<lb/> ten mit Einsturz jedem Verwegenen, der an sie eine ordnende Hand<lb/> legen wollte — die Schweine, die auf deinen Straßen herumliefen,<lb/> lieferten dir den Speck, um vie Kartoffeln zu schmelzen, die ringsum<lb/> deine Fluren bedeckten — was braucht der Mensch mehr als Speck<lb/> und Kartoffeln? Für deine geistigen Bedürfnisse sorgte dein Pfaffe,<lb/> sie waren befriedigt, wenn deine Einwohner Sonntags erfahren halten,<lb/> daß sie von wegen Adams Apfelbiß allzumal Sünder und Hallunken<lb/> wären, und auf dieses schöne Selbstbewußtsein einen Schnaps getrun¬<lb/> ken hatten. Vielleicht gab es auch einige helle Köpfe unter euch, die<lb/> einen Kalender für einen Silbergroschen alljährlich kauften und über<lb/> die schönen Anekdoten nachdachten, daß Jemand seinen Regenschirm in</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Ar-nzbotm. IV. 1««K. 61</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0461]
gen die Bühne richteten. Hatten wir das Militair aus Leipzig oder
Cöln gehabt, wir würden ihre Steinwürfe schon mit Kugeln und Ba¬
jonettstößen erwidert haben, allein so waren wir schutzlos dem entfessel¬
ten Muthwillen der quf's Höchste gereizten Ungeduld der Schlehoor-
fer Gassenbuben Preis gegeben. Dauerte der Steinhagel länger, so
verdarb er uns die Leinwand und die Dekorationen und wir mußten
großen Schadenersatz leisten. Was thun? Auf Einnahme durften
wir doch nicht mehr hoffen ^ so riefen wir denn die Jungen von den
Bäumen herab, hießen sie Platz nehmen in den den Musen geweihten
Hallen, zogen den Vorhang auf und spielten dem so versammelten
Publicum den Eckensteher Rande im Verhöre vor. Wir hatten zwar
kein Buch, hatten das Stück kaum einmal gesehen — allein aus dem
Stegreife brachten wir die uns im Gedächtniß haftenden Witze des
kleinen Stückchens vor von denen unser Publicum allerdings nicht
eine Sylbe verstand. Zum Schluß rief Gaul, der den Actuarius
machte: ,Nun, lieber Eckensteher, wollen wir auch eins singen!" —
und wir stimmten an, Arm in Arm geschlungen: „Kommt a Vögerl
geflogen, setzt sich nieder auf mein Fuß" — die drei Männer für vier
Silbergroschen schüttelten bedächtig die Häupter über das Teufelswerk,
die Schlehdorfer Jugend aber zog von dannen, besiegt von der Macht
der Kunst. Das war der erste Versuch, Kunstsinn in Schlehdorf zu
erwecken. Gutes Schlehvorf, du bist zu beneiden! Wer wenig Lebens¬
bedürfnisse hat, ist glücklich. Daß du leibliche Bedürfnisse nicht über¬
mäßig hattest, zeigte vein Aussehen, denn von dem überflüssigen Lurus
eines Straßenpflasters hattest du keinen Begriff, der Tyrannei einer
Bauordnung waren deine Häuser nicht unterworfen, sie standen in
schönster Freiheit schief und winklig, wie es ihnen beliebte, und droh¬
ten mit Einsturz jedem Verwegenen, der an sie eine ordnende Hand
legen wollte — die Schweine, die auf deinen Straßen herumliefen,
lieferten dir den Speck, um vie Kartoffeln zu schmelzen, die ringsum
deine Fluren bedeckten — was braucht der Mensch mehr als Speck
und Kartoffeln? Für deine geistigen Bedürfnisse sorgte dein Pfaffe,
sie waren befriedigt, wenn deine Einwohner Sonntags erfahren halten,
daß sie von wegen Adams Apfelbiß allzumal Sünder und Hallunken
wären, und auf dieses schöne Selbstbewußtsein einen Schnaps getrun¬
ken hatten. Vielleicht gab es auch einige helle Köpfe unter euch, die
einen Kalender für einen Silbergroschen alljährlich kauften und über
die schönen Anekdoten nachdachten, daß Jemand seinen Regenschirm in
Ar-nzbotm. IV. 1««K. 61
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