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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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brauchte, sich aufhielt. Das Theater war daselbst in einer hölzernen
Bude aufgeschlagen, gewiß der unbequemste Ort für eine Bühne. Eine
solche Bude ist sehr luftig und setzt die Schauspieler häusig dem Zug
aus, dabei hat sie die große Unbequemlichkeit, daß der Regen ein so
lautes Geräusch auf dem breternen Dache verursacht, daß die Schau¬
spieler nur mit Mühe gehört werden können, zudem ist das Dach nie
dicht genug, um nicht an einzelnen Stellen das Wasser durchzulassen,
so daß man oft auf der Bühne naß wird. Und doch können es nur
größere reisende Gesellschaften, deren Geschäftsverhältnisse günstig ge¬
stellt sind, unternehmen, eine solche Bude erbauen zu lassen, die immer
sechs bis achthundert Thaler kostet, eine Summe, die, als Miethe für
höchstens acht bis zehn Wochen, sehr bedeutend ist. Ich hatte bisher
uur in ordentlichen Schauspielhäusern gespielt und diese niedrige Stufe
des Theaters war mir noch unbekannt. Eine gewaltige Verachtung
beschlich mich, hier meinte ich, der Erste zu sein. Aber ich irrte mich
gewaltig. Der Director fragte mich nach meinem Repertoir. Ich
hatte keins, denn ich hatte ja noch keine erste Partie gesungen. Mir
fiel ein, ich könnte ihm eine Reihe von ersten Partien in Opern nen¬
nen, von denen ich leicht voraussetzen konnte, daß sie hier nicht gege¬
ben würden, allein ich brachte eine solche Lüge nicht über meine Lippen
und bekannte so ziemlich die Wahrheit. Indessen war ich einmal da
und wollte wenigstens auftreten. In vier Tagen lernte ich den Jo¬
hann von Paris und sang ihn ohne Anstoß. Allein meine Leistung
mochte nicht so ausgezeichnet gewesen sein, wie ich mir einbildete, daß
sie sein würde -- ich ging sehr ruhig vorüber, obwohl ich mit Sicher¬
heit darauf rechnete, wenigstens hervorgerufen zu werden. Indessen
ging es rasch vorwärts mit mir, von acht Tagen zu acht Tagen lie¬
ferte ich eine Partie, den Mar im Freischütz, den Joseph, George
Brown, Masaniello, Fra Diavolo, -- dazwischen spielte ich Liebhaber¬
und sonstige Rollen im Schauspiel, Sie können denken, daß ich sehr
viel zu thun hatte, und in dieser steten Beschäftigung kam ich nicht
zum Nachdenken über mich selbst -- ich lag mit Eifer meinen Rollen
ob, wir reiften von Ahornstadt weiter nach andern Siäoten, und so
verging ein Jahr, ich wußte nicht wie. Doch war ich zufrieden, fast
glücklich. Die Städte, welche wir bereisten, gehörten nicht zu den
kleinsten -- es waren solche von 10--12,000 Einwohnern, die Gesell¬
schaft lebte auf freundlichem Fuße mit einander und besaß einige recht
tüchtige Kräfte, von denen einzelne jetzt an den ersten Bühnen Deutsch¬
lands in den ersten Fächern ehrenvoll und geachtet dastehen. Unser


brauchte, sich aufhielt. Das Theater war daselbst in einer hölzernen
Bude aufgeschlagen, gewiß der unbequemste Ort für eine Bühne. Eine
solche Bude ist sehr luftig und setzt die Schauspieler häusig dem Zug
aus, dabei hat sie die große Unbequemlichkeit, daß der Regen ein so
lautes Geräusch auf dem breternen Dache verursacht, daß die Schau¬
spieler nur mit Mühe gehört werden können, zudem ist das Dach nie
dicht genug, um nicht an einzelnen Stellen das Wasser durchzulassen,
so daß man oft auf der Bühne naß wird. Und doch können es nur
größere reisende Gesellschaften, deren Geschäftsverhältnisse günstig ge¬
stellt sind, unternehmen, eine solche Bude erbauen zu lassen, die immer
sechs bis achthundert Thaler kostet, eine Summe, die, als Miethe für
höchstens acht bis zehn Wochen, sehr bedeutend ist. Ich hatte bisher
uur in ordentlichen Schauspielhäusern gespielt und diese niedrige Stufe
des Theaters war mir noch unbekannt. Eine gewaltige Verachtung
beschlich mich, hier meinte ich, der Erste zu sein. Aber ich irrte mich
gewaltig. Der Director fragte mich nach meinem Repertoir. Ich
hatte keins, denn ich hatte ja noch keine erste Partie gesungen. Mir
fiel ein, ich könnte ihm eine Reihe von ersten Partien in Opern nen¬
nen, von denen ich leicht voraussetzen konnte, daß sie hier nicht gege¬
ben würden, allein ich brachte eine solche Lüge nicht über meine Lippen
und bekannte so ziemlich die Wahrheit. Indessen war ich einmal da
und wollte wenigstens auftreten. In vier Tagen lernte ich den Jo¬
hann von Paris und sang ihn ohne Anstoß. Allein meine Leistung
mochte nicht so ausgezeichnet gewesen sein, wie ich mir einbildete, daß
sie sein würde — ich ging sehr ruhig vorüber, obwohl ich mit Sicher¬
heit darauf rechnete, wenigstens hervorgerufen zu werden. Indessen
ging es rasch vorwärts mit mir, von acht Tagen zu acht Tagen lie¬
ferte ich eine Partie, den Mar im Freischütz, den Joseph, George
Brown, Masaniello, Fra Diavolo, — dazwischen spielte ich Liebhaber¬
und sonstige Rollen im Schauspiel, Sie können denken, daß ich sehr
viel zu thun hatte, und in dieser steten Beschäftigung kam ich nicht
zum Nachdenken über mich selbst — ich lag mit Eifer meinen Rollen
ob, wir reiften von Ahornstadt weiter nach andern Siäoten, und so
verging ein Jahr, ich wußte nicht wie. Doch war ich zufrieden, fast
glücklich. Die Städte, welche wir bereisten, gehörten nicht zu den
kleinsten — es waren solche von 10—12,000 Einwohnern, die Gesell¬
schaft lebte auf freundlichem Fuße mit einander und besaß einige recht
tüchtige Kräfte, von denen einzelne jetzt an den ersten Bühnen Deutsch¬
lands in den ersten Fächern ehrenvoll und geachtet dastehen. Unser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/432>, abgerufen am 23.07.2024.