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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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singen, denn der Chor war in dieser Stimme etwas mangelhaft. Wacker
ward gelernt, der Tag der Aufführung kam. Da saß ich endlich der
Erste am Tische der zechenden Krieger, in stattlicher Uniform; ich sang
allein den ersten Tenor und mir war es, als hätte ich eine Solopartie
vorzutragen. Ich fühlte meine Wichtigkeit, ich war etwas, ich stand
unabhängig in der Welt, ich verdiente mein Brod. Es ging Alles
vortrefflich. Angst und Bangigkeit habe ich auf der Bühne nicht ge¬
kannt. Mir ist dies noch ein Räthsel, denn ich war sonst im Leben
schüchtern und befangen -- auf der Bühne nie.

Nach vierzehn Tagen bekam ich eine Rolle, es war der Ritter
Schelm vom Berge in Pfefferrösel von Charlotte Birch-Pfeiffer, ein
alter, biderber Haudegen. Ich spielte die Rolle ohne Störung. Ich
hatte meiner Rolle wenigstens keine Schande gemacht und bald bekam
ich mehr zu spielen. So ging das fort anderthalb Jahre lang. Ich
sang Chor und spielte kleinere und größere Nebenrollen. Meine
Dialektanklänge gewöhnte ich mir mehr und mehr ab. Dabei bereisten
wir sechs oder sieben der bedeutenderen Mittelstädte Deutschlands, die
fremden Gegenden und fremden Menschen, die ich sah, übten ihren
Reiz auf mich. In den Verhältnissen mit den Schauspielern bot sich
mir nichts Unangenehmes dar. Da ich fern von aller Anmaßung
blieb, gab ich keine Veranlassung zu irgend welcher Anfeindung, da
ich keine besondern Erfolge errang, hatte der Neid keine Ursache sich
mir zu nahen, und meiner Anspruchslosigkeit wegen verzieh man mir
auch, daß ich an wirklichen Kenntnissen den Meisten überlegen war,
-- stand ich doch an Lebenserfahrung auf der untersten Stufe. Dies
bewies ich recht eigentlich in einer Art von Liebesverhältniß. Es war
ein schönes Mädchen bei der Gesellschaft, die einen eben so schönen,
aber sehr anmaßenden Mann zum Bräutigam hatte, den sie auch später
heirathete. Ich verliebte mich in das Mädchen. Sie mochte das bald
bemerken, obschon ich ihr nie etwas davon zu sagen wagte, und er¬
laubte mir, sie zu besuchen. Ich that das, that es endlich täglich,
bestrebte mich, ihr allerhand Dienste zu leisten, war glücklich, wenn sie
mir etwas auftrug, und war ganz zufrieden in diesem Verhältnisse,
über das ich so wenig nachdachte, oder mit mir selbst zur Klarheit
gelangte, daß ich keine Spur von Eifersucht gegen den glücklichen
Liebhaber empfand. Ich ward geneckt, ward zu allerhand Diensten
gebraucht und ließ mir pas Alles ruhig gefallen, ohne eigentlich zu
begreifen, welche schlechte Rolle ich bei der Sache spielte. Sie haben
meine Gutmüthigkeit wohl manchmal mißbraucht -- je nun, meine


singen, denn der Chor war in dieser Stimme etwas mangelhaft. Wacker
ward gelernt, der Tag der Aufführung kam. Da saß ich endlich der
Erste am Tische der zechenden Krieger, in stattlicher Uniform; ich sang
allein den ersten Tenor und mir war es, als hätte ich eine Solopartie
vorzutragen. Ich fühlte meine Wichtigkeit, ich war etwas, ich stand
unabhängig in der Welt, ich verdiente mein Brod. Es ging Alles
vortrefflich. Angst und Bangigkeit habe ich auf der Bühne nicht ge¬
kannt. Mir ist dies noch ein Räthsel, denn ich war sonst im Leben
schüchtern und befangen — auf der Bühne nie.

Nach vierzehn Tagen bekam ich eine Rolle, es war der Ritter
Schelm vom Berge in Pfefferrösel von Charlotte Birch-Pfeiffer, ein
alter, biderber Haudegen. Ich spielte die Rolle ohne Störung. Ich
hatte meiner Rolle wenigstens keine Schande gemacht und bald bekam
ich mehr zu spielen. So ging das fort anderthalb Jahre lang. Ich
sang Chor und spielte kleinere und größere Nebenrollen. Meine
Dialektanklänge gewöhnte ich mir mehr und mehr ab. Dabei bereisten
wir sechs oder sieben der bedeutenderen Mittelstädte Deutschlands, die
fremden Gegenden und fremden Menschen, die ich sah, übten ihren
Reiz auf mich. In den Verhältnissen mit den Schauspielern bot sich
mir nichts Unangenehmes dar. Da ich fern von aller Anmaßung
blieb, gab ich keine Veranlassung zu irgend welcher Anfeindung, da
ich keine besondern Erfolge errang, hatte der Neid keine Ursache sich
mir zu nahen, und meiner Anspruchslosigkeit wegen verzieh man mir
auch, daß ich an wirklichen Kenntnissen den Meisten überlegen war,
— stand ich doch an Lebenserfahrung auf der untersten Stufe. Dies
bewies ich recht eigentlich in einer Art von Liebesverhältniß. Es war
ein schönes Mädchen bei der Gesellschaft, die einen eben so schönen,
aber sehr anmaßenden Mann zum Bräutigam hatte, den sie auch später
heirathete. Ich verliebte mich in das Mädchen. Sie mochte das bald
bemerken, obschon ich ihr nie etwas davon zu sagen wagte, und er¬
laubte mir, sie zu besuchen. Ich that das, that es endlich täglich,
bestrebte mich, ihr allerhand Dienste zu leisten, war glücklich, wenn sie
mir etwas auftrug, und war ganz zufrieden in diesem Verhältnisse,
über das ich so wenig nachdachte, oder mit mir selbst zur Klarheit
gelangte, daß ich keine Spur von Eifersucht gegen den glücklichen
Liebhaber empfand. Ich ward geneckt, ward zu allerhand Diensten
gebraucht und ließ mir pas Alles ruhig gefallen, ohne eigentlich zu
begreifen, welche schlechte Rolle ich bei der Sache spielte. Sie haben
meine Gutmüthigkeit wohl manchmal mißbraucht -- je nun, meine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/430>, abgerufen am 23.07.2024.