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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Ich wußte es, und um so schmeichelnder waren die Gedanken, daß ich
einst alle die ungerechten Urtheile zu Schanden machen würde, um so
kühner übersprang mein Gedanke die Zeit, wo ich erst streben und
ringen sollte, und ergötzte sich an dem Anschauen des schon errungenen
Ziels. Ein stolzes Selbstgefühl hob meine Brust, eine große Hoffnung
beseelte mich, denn noch kannte ich die Schwierigkeiten meines Unter¬
nehmens nicht, noch war mir nichts fehlgeschlagen.

Das Fehlschlagen kam nur zu bald. Ich gelangte nach Lärchen¬
stadt und meldete mich bei der Direktion. Ich dachte mir, man müsse
von untenauf dienen, wie bei den Soldaten und wollte im Chöre ein¬
treten. Allein es gab keine Stelle im Chöre für mich und auf meine
Bitte erfolgte eine abschlägliche Antwort. Zugleich gab man mir den
Rath, mich nach Weidenhain zu wenden. Da war ich durchgekommen,
da hatte ich eine Nacht geschlafen. Allein das Theater in Weidenhain
war kein stehendes, die Gesellschaft bereiste mehrere Orte, und wenn
diese auch meistens Hauptstädte kleiner Fmstenlhümer waren, so h<me
ich doch gegen die reisende Gesellschaft ein Vorurtheil, obwohl ich noch
keine solche gesehen. Indessen was half's! Meine kleine Baarschaft
neigte sich zum Ende und ich mußte dem Rathe, nach Weidenhain zu
gehen, Folge leisten. Hier gelang mir die Sache insoweit, daß lar> an¬
gestellt wurde mit acht Thalern monatlichen Gebäu. Acht Thaler
momitlich sind sehr wenig, und doch konnte ich auf mehr kaum An¬
spruch machen; denn noch leistete ich nichts, noch war ich nicht einmal
im Chöre einstudirt. Zudem wußte ich auch nicht, wie weit man mit
acht Thalern im Monat kommen kann; überdies meinte ich, schon in
kürzester Frist mich so hervorthun zu können, daß ich bald auf höhere
Guge kommen würde. Kurz ich war zufrieden. An demselben Abende,
wo ich eingetroffen, betrat ich zum ersten Male die Bühne -- es war
im Fioelio -- und ich erhielt den polizeilichen Auftrag, den schurkischen
Pizarro am Schlüsse zu verhaften. Ich ward in die Garderobe ge¬
führt, die Schneider zogen mich an, ein Schauspieler schminkte mich,
der Friseur klebte mir einen Bart auf -- am Ende gefiel ich mir gar
nicht übel, in hohen, gelben Stiefeln, in gelbem Waffenrocke, das
mächtige Schwert um den Leib gegürtet. Mit stolzem Wohlbehagen
trat ich heraus, kühn und fest zog ich mein Schwert und mit ächter
Amtsmiene nahm ich den Bösewicht in Empfang, um ihn seiner wohl¬
verdienten Strafe entgegenzufahren. Am andern Tage begannen die
Chorproben. Fra Diavolo ward einstudirt; die Oper war damals
neu und machte Glück. Ich mußte allein den ersten Tenor im Chöre


Grenzl-oder. IV. 184". ^

Ich wußte es, und um so schmeichelnder waren die Gedanken, daß ich
einst alle die ungerechten Urtheile zu Schanden machen würde, um so
kühner übersprang mein Gedanke die Zeit, wo ich erst streben und
ringen sollte, und ergötzte sich an dem Anschauen des schon errungenen
Ziels. Ein stolzes Selbstgefühl hob meine Brust, eine große Hoffnung
beseelte mich, denn noch kannte ich die Schwierigkeiten meines Unter¬
nehmens nicht, noch war mir nichts fehlgeschlagen.

Das Fehlschlagen kam nur zu bald. Ich gelangte nach Lärchen¬
stadt und meldete mich bei der Direktion. Ich dachte mir, man müsse
von untenauf dienen, wie bei den Soldaten und wollte im Chöre ein¬
treten. Allein es gab keine Stelle im Chöre für mich und auf meine
Bitte erfolgte eine abschlägliche Antwort. Zugleich gab man mir den
Rath, mich nach Weidenhain zu wenden. Da war ich durchgekommen,
da hatte ich eine Nacht geschlafen. Allein das Theater in Weidenhain
war kein stehendes, die Gesellschaft bereiste mehrere Orte, und wenn
diese auch meistens Hauptstädte kleiner Fmstenlhümer waren, so h<me
ich doch gegen die reisende Gesellschaft ein Vorurtheil, obwohl ich noch
keine solche gesehen. Indessen was half's! Meine kleine Baarschaft
neigte sich zum Ende und ich mußte dem Rathe, nach Weidenhain zu
gehen, Folge leisten. Hier gelang mir die Sache insoweit, daß lar> an¬
gestellt wurde mit acht Thalern monatlichen Gebäu. Acht Thaler
momitlich sind sehr wenig, und doch konnte ich auf mehr kaum An¬
spruch machen; denn noch leistete ich nichts, noch war ich nicht einmal
im Chöre einstudirt. Zudem wußte ich auch nicht, wie weit man mit
acht Thalern im Monat kommen kann; überdies meinte ich, schon in
kürzester Frist mich so hervorthun zu können, daß ich bald auf höhere
Guge kommen würde. Kurz ich war zufrieden. An demselben Abende,
wo ich eingetroffen, betrat ich zum ersten Male die Bühne — es war
im Fioelio — und ich erhielt den polizeilichen Auftrag, den schurkischen
Pizarro am Schlüsse zu verhaften. Ich ward in die Garderobe ge¬
führt, die Schneider zogen mich an, ein Schauspieler schminkte mich,
der Friseur klebte mir einen Bart auf — am Ende gefiel ich mir gar
nicht übel, in hohen, gelben Stiefeln, in gelbem Waffenrocke, das
mächtige Schwert um den Leib gegürtet. Mit stolzem Wohlbehagen
trat ich heraus, kühn und fest zog ich mein Schwert und mit ächter
Amtsmiene nahm ich den Bösewicht in Empfang, um ihn seiner wohl¬
verdienten Strafe entgegenzufahren. Am andern Tage begannen die
Chorproben. Fra Diavolo ward einstudirt; die Oper war damals
neu und machte Glück. Ich mußte allein den ersten Tenor im Chöre


Grenzl-oder. IV. 184«. ^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/429>, abgerufen am 23.07.2024.