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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ordnung. Dieselbe ist gegen das bisher Bestandene ein wirklicher,
wesentlicher Fortschritt. Zwar gewährt sie den Gemeinden noch nicht
das Recht, ihre Vorstände (Bürgermeister) selbst zu wählen, allein sie
richtet einen aus freier Wahl der Bürger hervorgehenden Gemeinderath
ein, der das Recht hat, Beschlüsse zu fassen, den städtischen Haushalt
zu bewilligen, der der Staatsregierung gegenüber sowohl wie den
Bürgermeistern die Gemeinden vertritt. Die Bevormundung der Ne¬
gierung wird sehr gemildert und in scharf bestimmte, gesetzliche Schran¬
ken gewiesen, namentlich wird dem Gemeinderath in Bezug auf den
Gemeindehaushalt ganz freie Hand gelassen. Man hätte nun von
den freisinnigen Rheinländern erwarten sollen, daß diese neue langer¬
sehnte Gemeindeordnung, daß namentlich die wichtigen Wahlen eine
große Bewegung hervorbringen würden, allein dem war nicht so. Ich
kann Ihnen hier natürlich nur von Cöln berichten, da ich die Bewe¬
gungen in anderen Städten nicht aus eigener Anschauung kenne. Doch ist
so viel bekannt, daß in Koblenz, Bonn und Düsseldorf, selbst in Cre-
feld die Wahlen auf das konfessionelle Gebiet hinübergespielt wurden
und oft in den ersteren drei Städten die ultramontane Partei den ent¬
schiedensten Sieg errang. Dies zeugt nicht von Freistnnigkeit, denn
der Ultramontanismus ist eine eben so drückende Tyrannei, als nur
immer die despotischste weltliche Regierung und wer sich dieser Tyran¬
nei willig beugt, ist nicht frei.

In Cöln wurde nun der Vorschlag gemacht, für die Wahlen eine
lebhafte Theilnahme zu erzielen. Es wurden öffentliche Versamm¬
lungen gehalten, in denen man sich über die Wahlen besprach, die
Grundsätze erörterte, nach denen die zu wählenden Männer verfahren
sollten, ja ein förmliches Programm für den neuen Gemeinderath ent¬
worfen wurde. Diese Versammlungen waren sehr interessant, und man
muß es den Cölnern zum Ruhme nachsagen, es zeigte sich in ihnen
lebhafte Theilnahme an der Sache und was noch mehr ist, ein richti¬
ger, parlamentarischer Tact. Trotzdem, daß die Debatten manchmal
sehr stürmisch waren, vermochte es der Vorsitzende leicht, die Ver¬
handlungen zu leiten und jede Störung und Unannehmlichkeit zu
vermeiden. Das Programm siel sehr freisinnig aus. Verfassung, Pre߬
freiheit, Emancipation der Juden, Alles ward darin aufgenommen und
vorher mit der größten Freimüthigkeit besprochen. Die Regierung ließ
das ruhig gewähren, was sie vielleicht anderwärts unterdrückt hätte,
und erst nach den Augustereignissen unterdrückte sie die Versammlungen,
wohl mehr der leitenden Personen als der Sache wegen. Diese Ver-


ordnung. Dieselbe ist gegen das bisher Bestandene ein wirklicher,
wesentlicher Fortschritt. Zwar gewährt sie den Gemeinden noch nicht
das Recht, ihre Vorstände (Bürgermeister) selbst zu wählen, allein sie
richtet einen aus freier Wahl der Bürger hervorgehenden Gemeinderath
ein, der das Recht hat, Beschlüsse zu fassen, den städtischen Haushalt
zu bewilligen, der der Staatsregierung gegenüber sowohl wie den
Bürgermeistern die Gemeinden vertritt. Die Bevormundung der Ne¬
gierung wird sehr gemildert und in scharf bestimmte, gesetzliche Schran¬
ken gewiesen, namentlich wird dem Gemeinderath in Bezug auf den
Gemeindehaushalt ganz freie Hand gelassen. Man hätte nun von
den freisinnigen Rheinländern erwarten sollen, daß diese neue langer¬
sehnte Gemeindeordnung, daß namentlich die wichtigen Wahlen eine
große Bewegung hervorbringen würden, allein dem war nicht so. Ich
kann Ihnen hier natürlich nur von Cöln berichten, da ich die Bewe¬
gungen in anderen Städten nicht aus eigener Anschauung kenne. Doch ist
so viel bekannt, daß in Koblenz, Bonn und Düsseldorf, selbst in Cre-
feld die Wahlen auf das konfessionelle Gebiet hinübergespielt wurden
und oft in den ersteren drei Städten die ultramontane Partei den ent¬
schiedensten Sieg errang. Dies zeugt nicht von Freistnnigkeit, denn
der Ultramontanismus ist eine eben so drückende Tyrannei, als nur
immer die despotischste weltliche Regierung und wer sich dieser Tyran¬
nei willig beugt, ist nicht frei.

In Cöln wurde nun der Vorschlag gemacht, für die Wahlen eine
lebhafte Theilnahme zu erzielen. Es wurden öffentliche Versamm¬
lungen gehalten, in denen man sich über die Wahlen besprach, die
Grundsätze erörterte, nach denen die zu wählenden Männer verfahren
sollten, ja ein förmliches Programm für den neuen Gemeinderath ent¬
worfen wurde. Diese Versammlungen waren sehr interessant, und man
muß es den Cölnern zum Ruhme nachsagen, es zeigte sich in ihnen
lebhafte Theilnahme an der Sache und was noch mehr ist, ein richti¬
ger, parlamentarischer Tact. Trotzdem, daß die Debatten manchmal
sehr stürmisch waren, vermochte es der Vorsitzende leicht, die Ver¬
handlungen zu leiten und jede Störung und Unannehmlichkeit zu
vermeiden. Das Programm siel sehr freisinnig aus. Verfassung, Pre߬
freiheit, Emancipation der Juden, Alles ward darin aufgenommen und
vorher mit der größten Freimüthigkeit besprochen. Die Regierung ließ
das ruhig gewähren, was sie vielleicht anderwärts unterdrückt hätte,
und erst nach den Augustereignissen unterdrückte sie die Versammlungen,
wohl mehr der leitenden Personen als der Sache wegen. Diese Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/393>, abgerufen am 23.07.2024.