Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von der Negierung ernannt wurden, nach welcher die Negierung die
bcengendste Vormundschaft über die Gemeindeangelegenheiten ausübte,
so daß z. B. die unbedeutendste Gemeindeausgabe von der Negierung
genehmigt werden mußte. Als Preußen von der Rheinprovinz Besitz
ergriff, war den Städten die Einführung der freisinnigen preußischen
Städteordnung angeboten worden. Man lehnte dies ab. Als Grund
für diese Ablehnung wurde angegeben: die Städteordnung gelte nur
für Städte, nicht für Landgemeinden; in den Rheinlanden kenne man
aber einen solchen Unterschied nicht, hier seien alle Einwohner vordem
Gesetz gleichberechtigte Staatsbürger, wollten die Städte eine andere
Gemeindeordnung annehmen, als die Landgemeinden, so würde that¬
sächlich ein Unterschied zwischen den Staatsbürgern eingeführt, und
dieser Unterschied vertrage sich nicht mit den Begriffen der Rheinlän¬
der von Gleichheit. Man solle auch den Landgemeinden eine freisin¬
nige Verfassung geben, sonst wollten sie lieber in der alten Verfassung
beharren. Diese Gründe klingen recht schön, ob sie die wahren sind,
weiß ich nicht. Nach der alten Verfassung übte die Geldaristokratie
wenigstens einigen Einfluß auf die Gemeindeangelegenheiten, nach der
preußischen Städteordnung wäre dieser Einfluß vielleicht verloren ge¬
gangen. Jedenfalls ging die Ablehnung der Städteordnung von der
Aristokratie aus, denn das Volk hatte zum Theil keine Kenntniß von
der Sache, keine Meinung darüber oder wenigstens keine Mittel, seine
Meinung zu äußern. Welche Gründe die preußische Regierung hatte
und noch hat, den Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinden so
fest zu halten, will ich hier nicht untersuchen, thatsächlich besteht indeß
ein solcher. Daß nun die Städte eine freisinnige Verfassung nicht
annahmen und es nicht der weitern Staatsentwickelung überließen, daß
auch die Landgemeinden freiere Verfassungen bekamen, scheint mir wenig¬
stens aus den angeführten Gründen nicht gerechtfertigt. Die Gleichheit
vor dem Gesetz, auf welche es doch am meisten ankommt, scheint mir
durch eine Verschiedenheit der Verfassung zwischen Stadt- und Land¬
gemeinden nicht gefährdet. Mit einem Worte, ich kann mich nicht
überzeugen, daß es wahre Freisinnigkeit war, die einen selbstbewußten
Zweck verfolgend, die Städteordnung ablehnte.

Die Negierung, welche den Städten eine freiere Verfassung gönnte,
dieselbe aber den Landgemeinden nicht geben wollte, arbeitete lange an
einer Gemeindeordnung, welche beide Rücksichten vereinigte, welche den
Städten eine freiere Bewegung gestattete und doch den Landgemeinden
nicht zu viel Rechte einräumte. Endlich erschien die neue Gemeinde-


von der Negierung ernannt wurden, nach welcher die Negierung die
bcengendste Vormundschaft über die Gemeindeangelegenheiten ausübte,
so daß z. B. die unbedeutendste Gemeindeausgabe von der Negierung
genehmigt werden mußte. Als Preußen von der Rheinprovinz Besitz
ergriff, war den Städten die Einführung der freisinnigen preußischen
Städteordnung angeboten worden. Man lehnte dies ab. Als Grund
für diese Ablehnung wurde angegeben: die Städteordnung gelte nur
für Städte, nicht für Landgemeinden; in den Rheinlanden kenne man
aber einen solchen Unterschied nicht, hier seien alle Einwohner vordem
Gesetz gleichberechtigte Staatsbürger, wollten die Städte eine andere
Gemeindeordnung annehmen, als die Landgemeinden, so würde that¬
sächlich ein Unterschied zwischen den Staatsbürgern eingeführt, und
dieser Unterschied vertrage sich nicht mit den Begriffen der Rheinlän¬
der von Gleichheit. Man solle auch den Landgemeinden eine freisin¬
nige Verfassung geben, sonst wollten sie lieber in der alten Verfassung
beharren. Diese Gründe klingen recht schön, ob sie die wahren sind,
weiß ich nicht. Nach der alten Verfassung übte die Geldaristokratie
wenigstens einigen Einfluß auf die Gemeindeangelegenheiten, nach der
preußischen Städteordnung wäre dieser Einfluß vielleicht verloren ge¬
gangen. Jedenfalls ging die Ablehnung der Städteordnung von der
Aristokratie aus, denn das Volk hatte zum Theil keine Kenntniß von
der Sache, keine Meinung darüber oder wenigstens keine Mittel, seine
Meinung zu äußern. Welche Gründe die preußische Regierung hatte
und noch hat, den Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinden so
fest zu halten, will ich hier nicht untersuchen, thatsächlich besteht indeß
ein solcher. Daß nun die Städte eine freisinnige Verfassung nicht
annahmen und es nicht der weitern Staatsentwickelung überließen, daß
auch die Landgemeinden freiere Verfassungen bekamen, scheint mir wenig¬
stens aus den angeführten Gründen nicht gerechtfertigt. Die Gleichheit
vor dem Gesetz, auf welche es doch am meisten ankommt, scheint mir
durch eine Verschiedenheit der Verfassung zwischen Stadt- und Land¬
gemeinden nicht gefährdet. Mit einem Worte, ich kann mich nicht
überzeugen, daß es wahre Freisinnigkeit war, die einen selbstbewußten
Zweck verfolgend, die Städteordnung ablehnte.

Die Negierung, welche den Städten eine freiere Verfassung gönnte,
dieselbe aber den Landgemeinden nicht geben wollte, arbeitete lange an
einer Gemeindeordnung, welche beide Rücksichten vereinigte, welche den
Städten eine freiere Bewegung gestattete und doch den Landgemeinden
nicht zu viel Rechte einräumte. Endlich erschien die neue Gemeinde-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183974"/>
          <p xml:id="ID_1162" prev="#ID_1161"> von der Negierung ernannt wurden, nach welcher die Negierung die<lb/>
bcengendste Vormundschaft über die Gemeindeangelegenheiten ausübte,<lb/>
so daß z. B. die unbedeutendste Gemeindeausgabe von der Negierung<lb/>
genehmigt werden mußte. Als Preußen von der Rheinprovinz Besitz<lb/>
ergriff, war den Städten die Einführung der freisinnigen preußischen<lb/>
Städteordnung angeboten worden. Man lehnte dies ab. Als Grund<lb/>
für diese Ablehnung wurde angegeben: die Städteordnung gelte nur<lb/>
für Städte, nicht für Landgemeinden; in den Rheinlanden kenne man<lb/>
aber einen solchen Unterschied nicht, hier seien alle Einwohner vordem<lb/>
Gesetz gleichberechtigte Staatsbürger, wollten die Städte eine andere<lb/>
Gemeindeordnung annehmen, als die Landgemeinden, so würde that¬<lb/>
sächlich ein Unterschied zwischen den Staatsbürgern eingeführt, und<lb/>
dieser Unterschied vertrage sich nicht mit den Begriffen der Rheinlän¬<lb/>
der von Gleichheit. Man solle auch den Landgemeinden eine freisin¬<lb/>
nige Verfassung geben, sonst wollten sie lieber in der alten Verfassung<lb/>
beharren. Diese Gründe klingen recht schön, ob sie die wahren sind,<lb/>
weiß ich nicht. Nach der alten Verfassung übte die Geldaristokratie<lb/>
wenigstens einigen Einfluß auf die Gemeindeangelegenheiten, nach der<lb/>
preußischen Städteordnung wäre dieser Einfluß vielleicht verloren ge¬<lb/>
gangen. Jedenfalls ging die Ablehnung der Städteordnung von der<lb/>
Aristokratie aus, denn das Volk hatte zum Theil keine Kenntniß von<lb/>
der Sache, keine Meinung darüber oder wenigstens keine Mittel, seine<lb/>
Meinung zu äußern. Welche Gründe die preußische Regierung hatte<lb/>
und noch hat, den Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinden so<lb/>
fest zu halten, will ich hier nicht untersuchen, thatsächlich besteht indeß<lb/>
ein solcher. Daß nun die Städte eine freisinnige Verfassung nicht<lb/>
annahmen und es nicht der weitern Staatsentwickelung überließen, daß<lb/>
auch die Landgemeinden freiere Verfassungen bekamen, scheint mir wenig¬<lb/>
stens aus den angeführten Gründen nicht gerechtfertigt. Die Gleichheit<lb/>
vor dem Gesetz, auf welche es doch am meisten ankommt, scheint mir<lb/>
durch eine Verschiedenheit der Verfassung zwischen Stadt- und Land¬<lb/>
gemeinden nicht gefährdet. Mit einem Worte, ich kann mich nicht<lb/>
überzeugen, daß es wahre Freisinnigkeit war, die einen selbstbewußten<lb/>
Zweck verfolgend, die Städteordnung ablehnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1163" next="#ID_1164"> Die Negierung, welche den Städten eine freiere Verfassung gönnte,<lb/>
dieselbe aber den Landgemeinden nicht geben wollte, arbeitete lange an<lb/>
einer Gemeindeordnung, welche beide Rücksichten vereinigte, welche den<lb/>
Städten eine freiere Bewegung gestattete und doch den Landgemeinden<lb/>
nicht zu viel Rechte einräumte.  Endlich erschien die neue Gemeinde-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0392] von der Negierung ernannt wurden, nach welcher die Negierung die bcengendste Vormundschaft über die Gemeindeangelegenheiten ausübte, so daß z. B. die unbedeutendste Gemeindeausgabe von der Negierung genehmigt werden mußte. Als Preußen von der Rheinprovinz Besitz ergriff, war den Städten die Einführung der freisinnigen preußischen Städteordnung angeboten worden. Man lehnte dies ab. Als Grund für diese Ablehnung wurde angegeben: die Städteordnung gelte nur für Städte, nicht für Landgemeinden; in den Rheinlanden kenne man aber einen solchen Unterschied nicht, hier seien alle Einwohner vordem Gesetz gleichberechtigte Staatsbürger, wollten die Städte eine andere Gemeindeordnung annehmen, als die Landgemeinden, so würde that¬ sächlich ein Unterschied zwischen den Staatsbürgern eingeführt, und dieser Unterschied vertrage sich nicht mit den Begriffen der Rheinlän¬ der von Gleichheit. Man solle auch den Landgemeinden eine freisin¬ nige Verfassung geben, sonst wollten sie lieber in der alten Verfassung beharren. Diese Gründe klingen recht schön, ob sie die wahren sind, weiß ich nicht. Nach der alten Verfassung übte die Geldaristokratie wenigstens einigen Einfluß auf die Gemeindeangelegenheiten, nach der preußischen Städteordnung wäre dieser Einfluß vielleicht verloren ge¬ gangen. Jedenfalls ging die Ablehnung der Städteordnung von der Aristokratie aus, denn das Volk hatte zum Theil keine Kenntniß von der Sache, keine Meinung darüber oder wenigstens keine Mittel, seine Meinung zu äußern. Welche Gründe die preußische Regierung hatte und noch hat, den Unterschied zwischen Stadt- und Landgemeinden so fest zu halten, will ich hier nicht untersuchen, thatsächlich besteht indeß ein solcher. Daß nun die Städte eine freisinnige Verfassung nicht annahmen und es nicht der weitern Staatsentwickelung überließen, daß auch die Landgemeinden freiere Verfassungen bekamen, scheint mir wenig¬ stens aus den angeführten Gründen nicht gerechtfertigt. Die Gleichheit vor dem Gesetz, auf welche es doch am meisten ankommt, scheint mir durch eine Verschiedenheit der Verfassung zwischen Stadt- und Land¬ gemeinden nicht gefährdet. Mit einem Worte, ich kann mich nicht überzeugen, daß es wahre Freisinnigkeit war, die einen selbstbewußten Zweck verfolgend, die Städteordnung ablehnte. Die Negierung, welche den Städten eine freiere Verfassung gönnte, dieselbe aber den Landgemeinden nicht geben wollte, arbeitete lange an einer Gemeindeordnung, welche beide Rücksichten vereinigte, welche den Städten eine freiere Bewegung gestattete und doch den Landgemeinden nicht zu viel Rechte einräumte. Endlich erschien die neue Gemeinde-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/392
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/392>, abgerufen am 26.08.2024.