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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Herr Professor Wurm, ein Mann, der nicht frei von dem Vor¬
würfe ist, daß er den Mantel gerne nach dem Winde hängt, hat es seit
dem Brande in Schrift und Vorträgen immer mit dem Senat und der
aristokratischen Partei gehalten; die längst veraltete mittelalterliche Colle-
gicn-Einrichtung war nach feiner Ansicht immer noch ganz brauchbar, ja
vortrefflich, nur kleine Palliative konnte man dabei in Anwendung brin¬
gen. Ja, Herr Professor Wurm hat sogar beim Buchdrucker-Jubiläum,
wo er eine Rede hielt, Ausfälle auf die deutschen Konstitutionen gethan,
und von " constitutioneller Comödie" gesprochen! Jetzt erklärt Herr
Professor Wurm plötzlich in der "patriotischen Gesellschaft" er sei anderer
Ansicht und stimme für eine -- Repräsentativ-Verfassung! Woher diese
Sinnesänderung? Herr Professor Wurm möchte, nach den Vorgängen
und dem Beispiel in Lübeck gerne das Ruder der öffentlichen Meinung
in der Hand behalten; er will offenbar bei den mercantilischen Bürgern
und wohl gar bei der eigentlichen Bürgerschaft einen Stein im Brer
bekommen, weil diese Partei jetzt zum Worte kommt.

Auf den Staat folgt allemal das Theater, wie die Thräne auf die
Zwiebel, und deshalb muß oder kann ich schon jetzt bestimmt melden,
daß von unserer abtretenden Stadttheater-Direction Herr Comer als kais.
russischer Opcrnregisseur nach Petersburg und Hr. Mühling als -- Gast-
wirth nach Berlin geht. Herr Maurice soll sich vor einiger Zeit haben
taufen lassen, um erst Bürger und dann Stadttheater-Director werden zu
können. Daß unser Staat noch diese Bedingung stellt, ist sehr zu ver¬
wundern. Warum eine solche Formalität üben, solchen Gewissens¬
zwang, und gar bei Theatcrdingen? Das neue Lustspiel von Töpfer, "der
Bürger und die Dame" (welch' ein aristokratisch blasirter Titel!) bear¬
beitet nach Therese's "Heinrich Burkart", ist vorgestern gegeben worden
und der Referent der "Hamburger Neuen Zeitung" (man sagt, es sei
ein weiblicher, Mad. Schröder, die Schwiegermutter des verantwortlichen
Redacteurs) behauptet die Aktschlüsse nach den Seiten des Buchs genau
nachweisen zu können. Töpfer mit seiner Lustspielerei -- er erklärte ein¬
mal, jedes Lustspiel koste ihm ein Jahr Arbeit! -- hat sich längst über¬
lebt. Die Recensenten von Profession schmücken dessenungeachtet Töpfer
mit seinen alten, verwelkten Papierlorbeerblättern, um ihm den Rückzug zu
X. V. umlauben.


III.
Aus Prag.
Der akademische Senatsbeschluß in dem Franceöconischen Handel.

Die bedauerliche Episode in unserm Universitätsleben, über welche
die Grenzboten in ihren beiden letzten Nummern berichteten, hat nun ih¬
ren Schlußstein erhalten und ist in einer der Hochschule und ihrer Mit¬
glieder würdigen Weise beendet worden.


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Herr Professor Wurm, ein Mann, der nicht frei von dem Vor¬
würfe ist, daß er den Mantel gerne nach dem Winde hängt, hat es seit
dem Brande in Schrift und Vorträgen immer mit dem Senat und der
aristokratischen Partei gehalten; die längst veraltete mittelalterliche Colle-
gicn-Einrichtung war nach feiner Ansicht immer noch ganz brauchbar, ja
vortrefflich, nur kleine Palliative konnte man dabei in Anwendung brin¬
gen. Ja, Herr Professor Wurm hat sogar beim Buchdrucker-Jubiläum,
wo er eine Rede hielt, Ausfälle auf die deutschen Konstitutionen gethan,
und von „ constitutioneller Comödie" gesprochen! Jetzt erklärt Herr
Professor Wurm plötzlich in der „patriotischen Gesellschaft" er sei anderer
Ansicht und stimme für eine — Repräsentativ-Verfassung! Woher diese
Sinnesänderung? Herr Professor Wurm möchte, nach den Vorgängen
und dem Beispiel in Lübeck gerne das Ruder der öffentlichen Meinung
in der Hand behalten; er will offenbar bei den mercantilischen Bürgern
und wohl gar bei der eigentlichen Bürgerschaft einen Stein im Brer
bekommen, weil diese Partei jetzt zum Worte kommt.

Auf den Staat folgt allemal das Theater, wie die Thräne auf die
Zwiebel, und deshalb muß oder kann ich schon jetzt bestimmt melden,
daß von unserer abtretenden Stadttheater-Direction Herr Comer als kais.
russischer Opcrnregisseur nach Petersburg und Hr. Mühling als — Gast-
wirth nach Berlin geht. Herr Maurice soll sich vor einiger Zeit haben
taufen lassen, um erst Bürger und dann Stadttheater-Director werden zu
können. Daß unser Staat noch diese Bedingung stellt, ist sehr zu ver¬
wundern. Warum eine solche Formalität üben, solchen Gewissens¬
zwang, und gar bei Theatcrdingen? Das neue Lustspiel von Töpfer, „der
Bürger und die Dame" (welch' ein aristokratisch blasirter Titel!) bear¬
beitet nach Therese's „Heinrich Burkart", ist vorgestern gegeben worden
und der Referent der „Hamburger Neuen Zeitung" (man sagt, es sei
ein weiblicher, Mad. Schröder, die Schwiegermutter des verantwortlichen
Redacteurs) behauptet die Aktschlüsse nach den Seiten des Buchs genau
nachweisen zu können. Töpfer mit seiner Lustspielerei — er erklärte ein¬
mal, jedes Lustspiel koste ihm ein Jahr Arbeit! — hat sich längst über¬
lebt. Die Recensenten von Profession schmücken dessenungeachtet Töpfer
mit seinen alten, verwelkten Papierlorbeerblättern, um ihm den Rückzug zu
X. V. umlauben.


III.
Aus Prag.
Der akademische Senatsbeschluß in dem Franceöconischen Handel.

Die bedauerliche Episode in unserm Universitätsleben, über welche
die Grenzboten in ihren beiden letzten Nummern berichteten, hat nun ih¬
ren Schlußstein erhalten und ist in einer der Hochschule und ihrer Mit¬
glieder würdigen Weise beendet worden.


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[0361] Herr Professor Wurm, ein Mann, der nicht frei von dem Vor¬ würfe ist, daß er den Mantel gerne nach dem Winde hängt, hat es seit dem Brande in Schrift und Vorträgen immer mit dem Senat und der aristokratischen Partei gehalten; die längst veraltete mittelalterliche Colle- gicn-Einrichtung war nach feiner Ansicht immer noch ganz brauchbar, ja vortrefflich, nur kleine Palliative konnte man dabei in Anwendung brin¬ gen. Ja, Herr Professor Wurm hat sogar beim Buchdrucker-Jubiläum, wo er eine Rede hielt, Ausfälle auf die deutschen Konstitutionen gethan, und von „ constitutioneller Comödie" gesprochen! Jetzt erklärt Herr Professor Wurm plötzlich in der „patriotischen Gesellschaft" er sei anderer Ansicht und stimme für eine — Repräsentativ-Verfassung! Woher diese Sinnesänderung? Herr Professor Wurm möchte, nach den Vorgängen und dem Beispiel in Lübeck gerne das Ruder der öffentlichen Meinung in der Hand behalten; er will offenbar bei den mercantilischen Bürgern und wohl gar bei der eigentlichen Bürgerschaft einen Stein im Brer bekommen, weil diese Partei jetzt zum Worte kommt. Auf den Staat folgt allemal das Theater, wie die Thräne auf die Zwiebel, und deshalb muß oder kann ich schon jetzt bestimmt melden, daß von unserer abtretenden Stadttheater-Direction Herr Comer als kais. russischer Opcrnregisseur nach Petersburg und Hr. Mühling als — Gast- wirth nach Berlin geht. Herr Maurice soll sich vor einiger Zeit haben taufen lassen, um erst Bürger und dann Stadttheater-Director werden zu können. Daß unser Staat noch diese Bedingung stellt, ist sehr zu ver¬ wundern. Warum eine solche Formalität üben, solchen Gewissens¬ zwang, und gar bei Theatcrdingen? Das neue Lustspiel von Töpfer, „der Bürger und die Dame" (welch' ein aristokratisch blasirter Titel!) bear¬ beitet nach Therese's „Heinrich Burkart", ist vorgestern gegeben worden und der Referent der „Hamburger Neuen Zeitung" (man sagt, es sei ein weiblicher, Mad. Schröder, die Schwiegermutter des verantwortlichen Redacteurs) behauptet die Aktschlüsse nach den Seiten des Buchs genau nachweisen zu können. Töpfer mit seiner Lustspielerei — er erklärte ein¬ mal, jedes Lustspiel koste ihm ein Jahr Arbeit! — hat sich längst über¬ lebt. Die Recensenten von Profession schmücken dessenungeachtet Töpfer mit seinen alten, verwelkten Papierlorbeerblättern, um ihm den Rückzug zu X. V. umlauben. III. Aus Prag. Der akademische Senatsbeschluß in dem Franceöconischen Handel. Die bedauerliche Episode in unserm Universitätsleben, über welche die Grenzboten in ihren beiden letzten Nummern berichteten, hat nun ih¬ ren Schlußstein erhalten und ist in einer der Hochschule und ihrer Mit¬ glieder würdigen Weise beendet worden. Grcnzho ten, IV. 184«. > 4g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/361>, abgerufen am 04.12.2024.