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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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sind Gegensätze vorhanden von ungeahnter und tief innerlicher Kraft.
Man betrachte nur die einfachste bürgerliche Herrschaft, welche für ein
Paar Thaler Lohn und unerschütterlichen Herrenstolz alle ersinnliche
Vollkommenheit verlangt von ihren Dienstboten, leibliche, technische und
moralische Vollkommenheit für vollkommenen Undank.. . .

Auerbach'S "Frau Professorin" ist eine nicht fehlerfreie, aber
doch sehr wohlthuende Erzählung und bei weitem der beste Theil dieses
Taschenbuchs. Lassen wir uns doch ja nicht die Gaben einer so schö¬
nen Natur, wie Auerbach'S, dadurch verleiden, daß die unvermeidlichen
Neider unsere Ohren anfüllen mit all der Splitterrichterei, welche nie¬
mals ausbleibt, wo große Erfolge die Mißgunst zu ästhetischen Cri-
minal-Untersuchungen stacheln. Auerbach'S großer Erfolg mit den Dorf¬
geschichten ist uns Allen, die wir auf andern Bahnen wandeln, ein
sehr 'wohlthätiges Ereigniß gewesen. Die Mahnung: es ruhe in un¬
serer einfachsten Heimathöwelt, es walte in ven unscheinbarsten Bewe¬
gungen unseres Menschenthums, es klopfe in der anspruchslosesten
Darstellung dieser Hcimathswelt und dieses Menschenthums eine rüh¬
rende und erhebende Kraft, diese Mahnung haben wir ihm zu verdan¬
ken. Und nicht blos die Mahnung, auch eine tiefe Wirkung derselben.
Unsere Lesewelt ist am gesunden Quellwasser wieder gekräftigt worden
zu einfachem Genusse, und Mancher von uns hat sich in der Stille
eingestanden: Ja wohl, solche gesammelte Kraft der Einfachheit ist
mehr werth, als die zusammengehäufte Wirkung der hundertfältiger
Mannichfaltigkeit, welche des natürlichen Dranges und der natürlichen
Wahrheit entbehrt.

Seien wir nun nicht undankbar, daß wir in einem Athem für
Erquickung danken und dem gewonnenen Tränke vorwerfen: er steigere
sich nicht an Kraft und Wohlgeschmack durch Composttion. Einer
kann nicht Alles. Wenn Auerbach nicht componiren kann, so kann er
doch erzählen, wie Keiner von uns, erzählen in lieblicher, vaterländi¬
scher Weise, in rührender, poetischer Weise. Drängen wir ihn nicht
zu einer Vervollkommnung, welche vielleicht nicht vereinbar ist mit sei¬
nem Naturel. Es ist mir fast wahrscheinlich, daß er einen Theil sei¬
ner edelsten Eigenschaften beschädigen würde, wenn er durchaus den
Forderungen einer ausgebildeten Technik nachtrachten wollte. Ich sehe
wenigstens noch keine deutliche Vermittelung zwischen seinem tiefen
Schilderungsvermögen und den Triebfedern der Verknüpfung und Be¬
wegung, welche den vollen Roman in lebendigen Umschwung setzen.
Er ist der lyrischen Betrachtung viel näher als der dramatischen Be-


sind Gegensätze vorhanden von ungeahnter und tief innerlicher Kraft.
Man betrachte nur die einfachste bürgerliche Herrschaft, welche für ein
Paar Thaler Lohn und unerschütterlichen Herrenstolz alle ersinnliche
Vollkommenheit verlangt von ihren Dienstboten, leibliche, technische und
moralische Vollkommenheit für vollkommenen Undank.. . .

Auerbach'S „Frau Professorin" ist eine nicht fehlerfreie, aber
doch sehr wohlthuende Erzählung und bei weitem der beste Theil dieses
Taschenbuchs. Lassen wir uns doch ja nicht die Gaben einer so schö¬
nen Natur, wie Auerbach'S, dadurch verleiden, daß die unvermeidlichen
Neider unsere Ohren anfüllen mit all der Splitterrichterei, welche nie¬
mals ausbleibt, wo große Erfolge die Mißgunst zu ästhetischen Cri-
minal-Untersuchungen stacheln. Auerbach'S großer Erfolg mit den Dorf¬
geschichten ist uns Allen, die wir auf andern Bahnen wandeln, ein
sehr 'wohlthätiges Ereigniß gewesen. Die Mahnung: es ruhe in un¬
serer einfachsten Heimathöwelt, es walte in ven unscheinbarsten Bewe¬
gungen unseres Menschenthums, es klopfe in der anspruchslosesten
Darstellung dieser Hcimathswelt und dieses Menschenthums eine rüh¬
rende und erhebende Kraft, diese Mahnung haben wir ihm zu verdan¬
ken. Und nicht blos die Mahnung, auch eine tiefe Wirkung derselben.
Unsere Lesewelt ist am gesunden Quellwasser wieder gekräftigt worden
zu einfachem Genusse, und Mancher von uns hat sich in der Stille
eingestanden: Ja wohl, solche gesammelte Kraft der Einfachheit ist
mehr werth, als die zusammengehäufte Wirkung der hundertfältiger
Mannichfaltigkeit, welche des natürlichen Dranges und der natürlichen
Wahrheit entbehrt.

Seien wir nun nicht undankbar, daß wir in einem Athem für
Erquickung danken und dem gewonnenen Tränke vorwerfen: er steigere
sich nicht an Kraft und Wohlgeschmack durch Composttion. Einer
kann nicht Alles. Wenn Auerbach nicht componiren kann, so kann er
doch erzählen, wie Keiner von uns, erzählen in lieblicher, vaterländi¬
scher Weise, in rührender, poetischer Weise. Drängen wir ihn nicht
zu einer Vervollkommnung, welche vielleicht nicht vereinbar ist mit sei¬
nem Naturel. Es ist mir fast wahrscheinlich, daß er einen Theil sei¬
ner edelsten Eigenschaften beschädigen würde, wenn er durchaus den
Forderungen einer ausgebildeten Technik nachtrachten wollte. Ich sehe
wenigstens noch keine deutliche Vermittelung zwischen seinem tiefen
Schilderungsvermögen und den Triebfedern der Verknüpfung und Be¬
wegung, welche den vollen Roman in lebendigen Umschwung setzen.
Er ist der lyrischen Betrachtung viel näher als der dramatischen Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/349>, abgerufen am 23.07.2024.