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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ich eine Wohnung nach den Vorschriften der Mutter gefunden haben
würde. Julie bestellte ihr Gepäck nach der "Laute." Einige Kleinig¬
keiten, die zu Mißverständnissen oder Nachlässigkeiten Anlaß geben konn¬
ten, nahmen wir gleich mit. Leider war die große Schachtel mit dem
neuen Hute dabei, ein Ding, gar nicht schwer, weshalb sein Umfang
desto unverschämter erscheinen mußte. Ich trug aber nicht blos die
Schachtel, sondern auch einen Reisemantel, ein Paar Filzschuhe --
die Tharanter Tante hatte auf ihrer Mitnahme bestanden -- einen
Regenschirm, zwei Strickbeutel, eine Rolle von unbenannten Inhalt,
weshalb ich frecher Weise den Nachtanzug der Dame darin vermuthete,
ein Kästchen, worin eine Vase -- trotz des ausgemalten Glases wollte
Julie der Sorgfalt der Hausknechte nicht trauen -- einen Reisesack
und ein Etui mit Kämmen, Bürsten und Pomade. Den Gedanken,
daß die ganze Leichtigkeit zusammengenommen, schwer und der Weg,
trotz seiner Kürze, lang sei, verwarf ich als nichtswürdig. Nur daß
ich ein Bischen lächerlich aussah und um keinen Preis einem Scmino-
lenkrieger hätte begegnen mögen, verbarg ich mir nicht. Die Schach¬
tel, wenn ich sie vor die Brust nahm, bedeckte übrigens zu meinem
Troste zugleich mein Gesicht.

So brachte ich das Fräulein in die "Laute". Drei Häuser vor¬
her sagte sie mir, nun würd' ich bald erlöst sein. Ich lächelte, als
habe meine Beladung auch gar nichts zu bedeuten.

Gott bewahre jeden liebesbedürftigen Menschen vor solcher Erlö¬
sung! Wie ein Sturmstofi brach aus der ,,Laute" ein schlanker Gesell
in sehr hübscher Uniform, erfaßte Juliens Hände und wartete kaum
darauf, daß er das Mädchen in die Hausflur gezogen hatte, um ihr
mit Küssen und Umarmungen schier lebensgefährlich zu werden.

Ich setzte dabei langsam ab, was ich getragen, und legte endlich
auch meine Hoffnung auf Julien hinzu. Nie sah ein junger Semt-
nole niedergeschlagener und muthlofer aus als ich in jenem Augenblicke.

"Das ist Herr Adalbert!" sagte Julie endlich zudem unbändigen
Offizier, der gar nichts von mir und dem Gepäck wissen zu wollen
schien, vermuthlich weil er ahnte, er werde letzteres die Treppe hinauf
befördern müssen. "Student hier in Leipzig und mein sehr lieber Reise¬
gefährte von Dresden. Ich verdanke ihm eine ganze Reihe der ver¬
bindlichsten Dienste, sogar -- "

Ich bitte unterthänig," unterbrach ich das Fräulein mit einer ent¬
schieden zurückweisenden Armbewegung gegen die Lebensrettung, die ich
jm Anzüge bemerkte. Hätt' ich gewußt, für wen ich die Kastanie aus


ich eine Wohnung nach den Vorschriften der Mutter gefunden haben
würde. Julie bestellte ihr Gepäck nach der „Laute." Einige Kleinig¬
keiten, die zu Mißverständnissen oder Nachlässigkeiten Anlaß geben konn¬
ten, nahmen wir gleich mit. Leider war die große Schachtel mit dem
neuen Hute dabei, ein Ding, gar nicht schwer, weshalb sein Umfang
desto unverschämter erscheinen mußte. Ich trug aber nicht blos die
Schachtel, sondern auch einen Reisemantel, ein Paar Filzschuhe —
die Tharanter Tante hatte auf ihrer Mitnahme bestanden — einen
Regenschirm, zwei Strickbeutel, eine Rolle von unbenannten Inhalt,
weshalb ich frecher Weise den Nachtanzug der Dame darin vermuthete,
ein Kästchen, worin eine Vase — trotz des ausgemalten Glases wollte
Julie der Sorgfalt der Hausknechte nicht trauen — einen Reisesack
und ein Etui mit Kämmen, Bürsten und Pomade. Den Gedanken,
daß die ganze Leichtigkeit zusammengenommen, schwer und der Weg,
trotz seiner Kürze, lang sei, verwarf ich als nichtswürdig. Nur daß
ich ein Bischen lächerlich aussah und um keinen Preis einem Scmino-
lenkrieger hätte begegnen mögen, verbarg ich mir nicht. Die Schach¬
tel, wenn ich sie vor die Brust nahm, bedeckte übrigens zu meinem
Troste zugleich mein Gesicht.

So brachte ich das Fräulein in die „Laute". Drei Häuser vor¬
her sagte sie mir, nun würd' ich bald erlöst sein. Ich lächelte, als
habe meine Beladung auch gar nichts zu bedeuten.

Gott bewahre jeden liebesbedürftigen Menschen vor solcher Erlö¬
sung! Wie ein Sturmstofi brach aus der ,,Laute" ein schlanker Gesell
in sehr hübscher Uniform, erfaßte Juliens Hände und wartete kaum
darauf, daß er das Mädchen in die Hausflur gezogen hatte, um ihr
mit Küssen und Umarmungen schier lebensgefährlich zu werden.

Ich setzte dabei langsam ab, was ich getragen, und legte endlich
auch meine Hoffnung auf Julien hinzu. Nie sah ein junger Semt-
nole niedergeschlagener und muthlofer aus als ich in jenem Augenblicke.

„Das ist Herr Adalbert!" sagte Julie endlich zudem unbändigen
Offizier, der gar nichts von mir und dem Gepäck wissen zu wollen
schien, vermuthlich weil er ahnte, er werde letzteres die Treppe hinauf
befördern müssen. „Student hier in Leipzig und mein sehr lieber Reise¬
gefährte von Dresden. Ich verdanke ihm eine ganze Reihe der ver¬
bindlichsten Dienste, sogar — "

Ich bitte unterthänig," unterbrach ich das Fräulein mit einer ent¬
schieden zurückweisenden Armbewegung gegen die Lebensrettung, die ich
jm Anzüge bemerkte. Hätt' ich gewußt, für wen ich die Kastanie aus


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[0338] ich eine Wohnung nach den Vorschriften der Mutter gefunden haben würde. Julie bestellte ihr Gepäck nach der „Laute." Einige Kleinig¬ keiten, die zu Mißverständnissen oder Nachlässigkeiten Anlaß geben konn¬ ten, nahmen wir gleich mit. Leider war die große Schachtel mit dem neuen Hute dabei, ein Ding, gar nicht schwer, weshalb sein Umfang desto unverschämter erscheinen mußte. Ich trug aber nicht blos die Schachtel, sondern auch einen Reisemantel, ein Paar Filzschuhe — die Tharanter Tante hatte auf ihrer Mitnahme bestanden — einen Regenschirm, zwei Strickbeutel, eine Rolle von unbenannten Inhalt, weshalb ich frecher Weise den Nachtanzug der Dame darin vermuthete, ein Kästchen, worin eine Vase — trotz des ausgemalten Glases wollte Julie der Sorgfalt der Hausknechte nicht trauen — einen Reisesack und ein Etui mit Kämmen, Bürsten und Pomade. Den Gedanken, daß die ganze Leichtigkeit zusammengenommen, schwer und der Weg, trotz seiner Kürze, lang sei, verwarf ich als nichtswürdig. Nur daß ich ein Bischen lächerlich aussah und um keinen Preis einem Scmino- lenkrieger hätte begegnen mögen, verbarg ich mir nicht. Die Schach¬ tel, wenn ich sie vor die Brust nahm, bedeckte übrigens zu meinem Troste zugleich mein Gesicht. So brachte ich das Fräulein in die „Laute". Drei Häuser vor¬ her sagte sie mir, nun würd' ich bald erlöst sein. Ich lächelte, als habe meine Beladung auch gar nichts zu bedeuten. Gott bewahre jeden liebesbedürftigen Menschen vor solcher Erlö¬ sung! Wie ein Sturmstofi brach aus der ,,Laute" ein schlanker Gesell in sehr hübscher Uniform, erfaßte Juliens Hände und wartete kaum darauf, daß er das Mädchen in die Hausflur gezogen hatte, um ihr mit Küssen und Umarmungen schier lebensgefährlich zu werden. Ich setzte dabei langsam ab, was ich getragen, und legte endlich auch meine Hoffnung auf Julien hinzu. Nie sah ein junger Semt- nole niedergeschlagener und muthlofer aus als ich in jenem Augenblicke. „Das ist Herr Adalbert!" sagte Julie endlich zudem unbändigen Offizier, der gar nichts von mir und dem Gepäck wissen zu wollen schien, vermuthlich weil er ahnte, er werde letzteres die Treppe hinauf befördern müssen. „Student hier in Leipzig und mein sehr lieber Reise¬ gefährte von Dresden. Ich verdanke ihm eine ganze Reihe der ver¬ bindlichsten Dienste, sogar — " Ich bitte unterthänig," unterbrach ich das Fräulein mit einer ent¬ schieden zurückweisenden Armbewegung gegen die Lebensrettung, die ich jm Anzüge bemerkte. Hätt' ich gewußt, für wen ich die Kastanie aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/338>, abgerufen am 23.07.2024.