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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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"Schießpulver -- und der Wagen brennt!" dröhnte ein mehr¬
stimmiges Echo nach.

"Kirschpulver?" fragte der naturforschende Passagier und schaute
träumerisch aus den Blättern auf. Aber das Entsetzen, welches er in
jeder Miene las und die rasende Eile, mit der die Insassen des Wa¬
gens ans Heinrichs Wort ans der Kutsche stürzten, belehrte ihn au¬
genblicklich, daß es sich um eine fürchterliche Gefahr handle. Er gab
nicht blos, ohne alles weitere Besinnen, seinen wohlvertheidigten
Platz, sondern selbst das Buch Preis, um die allgemeine Flucht sofort
mit anzutreten. Die Entladung der Pulverfässer selbst hätte uns kaum
rascher auSeinanderbnngen können, als es die Furcht vor ihrem Auf¬
fliegen, bei der Nachricht, der Wagen brenne, that. Wie ich Julien
zugleich mit mir ins Freie hinausflüchtete, wäre nur jetzt unmöglich
zu erklären. Eine Minute nach der Katastrophe schon wußte ich nicht
mehr, ob sie mich aus dem Wagen hinaus riß, oder ich sie und wer
von uns beiden eigentlich von dem Andern an die Hecke hinüberge¬
tragen ward, in deren Dornen eingehakt wir uns wieder fanden.

Perglow war ohne weitläufiges Messen der Höhe vom Wagen her¬
abgesprungen und hatte seinen Füßen nicht Zeit gelassen, ihm irgend eine
Verletzung anzumelden. Wie ein Sturmwind brauste er zu uns herüber.

Der Sanfte duckte sich wie ein feiger Soldat vor dem Kartät¬
schenhagel unter den Graben und nur die Pferde schienen wohl un¬
sern Schrecken, nicht aber dessen Ursache zu begreifen, die sie wie uns
bedrohte. Sie standen, offenbar sehr zufrieden mit dem Aufenthalte,
still, und wenn ich den Ausdruck einer Schimmelphysiognomie zu be¬
urtheilen befähigt bin, so lächelte eines der Thiere sogar bestialisch
schadenfroh zu unserer grimmigen Verwirrung.

Das Alles erfordert mehr Zeilen, um es zu erzählen, als es
Secunden brauchte, um es zu erleben.

Perglow war in der Nähe der Hecke eingetroffen, deren Gesträuch
vornämlich für Juliens Seidenkleid eine eben so zudringliche, als das
Weiterfliehen behindernde Anhänglichkeit verrieth.

"Was thun wir jetzt, -- will mir denn Niemand löschen helfen?"
erklang der unterirdische Nothruf Heinrichs.

"Löscht Ihr denn, indem Ihr Euch in den Graben werft?" ant¬
wortete Perglow, indem die Lebensfarbe langsam in seine Wange zu¬
rückkehrte. "Du pflichtvergessener Schlingel hast das Pulver heimlich
aufgeladen! Schneide die Pferde los! Dann magst Du nun auch er-,
leben, wie Dein Wagen auffliegt. Das Beste ist, wir ziehen uns'


„Schießpulver — und der Wagen brennt!" dröhnte ein mehr¬
stimmiges Echo nach.

„Kirschpulver?" fragte der naturforschende Passagier und schaute
träumerisch aus den Blättern auf. Aber das Entsetzen, welches er in
jeder Miene las und die rasende Eile, mit der die Insassen des Wa¬
gens ans Heinrichs Wort ans der Kutsche stürzten, belehrte ihn au¬
genblicklich, daß es sich um eine fürchterliche Gefahr handle. Er gab
nicht blos, ohne alles weitere Besinnen, seinen wohlvertheidigten
Platz, sondern selbst das Buch Preis, um die allgemeine Flucht sofort
mit anzutreten. Die Entladung der Pulverfässer selbst hätte uns kaum
rascher auSeinanderbnngen können, als es die Furcht vor ihrem Auf¬
fliegen, bei der Nachricht, der Wagen brenne, that. Wie ich Julien
zugleich mit mir ins Freie hinausflüchtete, wäre nur jetzt unmöglich
zu erklären. Eine Minute nach der Katastrophe schon wußte ich nicht
mehr, ob sie mich aus dem Wagen hinaus riß, oder ich sie und wer
von uns beiden eigentlich von dem Andern an die Hecke hinüberge¬
tragen ward, in deren Dornen eingehakt wir uns wieder fanden.

Perglow war ohne weitläufiges Messen der Höhe vom Wagen her¬
abgesprungen und hatte seinen Füßen nicht Zeit gelassen, ihm irgend eine
Verletzung anzumelden. Wie ein Sturmwind brauste er zu uns herüber.

Der Sanfte duckte sich wie ein feiger Soldat vor dem Kartät¬
schenhagel unter den Graben und nur die Pferde schienen wohl un¬
sern Schrecken, nicht aber dessen Ursache zu begreifen, die sie wie uns
bedrohte. Sie standen, offenbar sehr zufrieden mit dem Aufenthalte,
still, und wenn ich den Ausdruck einer Schimmelphysiognomie zu be¬
urtheilen befähigt bin, so lächelte eines der Thiere sogar bestialisch
schadenfroh zu unserer grimmigen Verwirrung.

Das Alles erfordert mehr Zeilen, um es zu erzählen, als es
Secunden brauchte, um es zu erleben.

Perglow war in der Nähe der Hecke eingetroffen, deren Gesträuch
vornämlich für Juliens Seidenkleid eine eben so zudringliche, als das
Weiterfliehen behindernde Anhänglichkeit verrieth.

„Was thun wir jetzt, — will mir denn Niemand löschen helfen?"
erklang der unterirdische Nothruf Heinrichs.

„Löscht Ihr denn, indem Ihr Euch in den Graben werft?" ant¬
wortete Perglow, indem die Lebensfarbe langsam in seine Wange zu¬
rückkehrte. „Du pflichtvergessener Schlingel hast das Pulver heimlich
aufgeladen! Schneide die Pferde los! Dann magst Du nun auch er-,
leben, wie Dein Wagen auffliegt. Das Beste ist, wir ziehen uns'


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[0330] „Schießpulver — und der Wagen brennt!" dröhnte ein mehr¬ stimmiges Echo nach. „Kirschpulver?" fragte der naturforschende Passagier und schaute träumerisch aus den Blättern auf. Aber das Entsetzen, welches er in jeder Miene las und die rasende Eile, mit der die Insassen des Wa¬ gens ans Heinrichs Wort ans der Kutsche stürzten, belehrte ihn au¬ genblicklich, daß es sich um eine fürchterliche Gefahr handle. Er gab nicht blos, ohne alles weitere Besinnen, seinen wohlvertheidigten Platz, sondern selbst das Buch Preis, um die allgemeine Flucht sofort mit anzutreten. Die Entladung der Pulverfässer selbst hätte uns kaum rascher auSeinanderbnngen können, als es die Furcht vor ihrem Auf¬ fliegen, bei der Nachricht, der Wagen brenne, that. Wie ich Julien zugleich mit mir ins Freie hinausflüchtete, wäre nur jetzt unmöglich zu erklären. Eine Minute nach der Katastrophe schon wußte ich nicht mehr, ob sie mich aus dem Wagen hinaus riß, oder ich sie und wer von uns beiden eigentlich von dem Andern an die Hecke hinüberge¬ tragen ward, in deren Dornen eingehakt wir uns wieder fanden. Perglow war ohne weitläufiges Messen der Höhe vom Wagen her¬ abgesprungen und hatte seinen Füßen nicht Zeit gelassen, ihm irgend eine Verletzung anzumelden. Wie ein Sturmwind brauste er zu uns herüber. Der Sanfte duckte sich wie ein feiger Soldat vor dem Kartät¬ schenhagel unter den Graben und nur die Pferde schienen wohl un¬ sern Schrecken, nicht aber dessen Ursache zu begreifen, die sie wie uns bedrohte. Sie standen, offenbar sehr zufrieden mit dem Aufenthalte, still, und wenn ich den Ausdruck einer Schimmelphysiognomie zu be¬ urtheilen befähigt bin, so lächelte eines der Thiere sogar bestialisch schadenfroh zu unserer grimmigen Verwirrung. Das Alles erfordert mehr Zeilen, um es zu erzählen, als es Secunden brauchte, um es zu erleben. Perglow war in der Nähe der Hecke eingetroffen, deren Gesträuch vornämlich für Juliens Seidenkleid eine eben so zudringliche, als das Weiterfliehen behindernde Anhänglichkeit verrieth. „Was thun wir jetzt, — will mir denn Niemand löschen helfen?" erklang der unterirdische Nothruf Heinrichs. „Löscht Ihr denn, indem Ihr Euch in den Graben werft?" ant¬ wortete Perglow, indem die Lebensfarbe langsam in seine Wange zu¬ rückkehrte. „Du pflichtvergessener Schlingel hast das Pulver heimlich aufgeladen! Schneide die Pferde los! Dann magst Du nun auch er-, leben, wie Dein Wagen auffliegt. Das Beste ist, wir ziehen uns'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/330>, abgerufen am 23.07.2024.