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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Felsen springt. Der Wasserstrahl, den die Erde gibt, wir wußten nicht,
ob er sehr mächtig und genesungskräftig sei. Aber an der Frische der
Tharanter Haine und an dem wundenheilenden Hauche der Natur,
der sich über die waldigen Höhen des Weiseritzthales ergießt, zweifel¬
ten wir nicht, die wir noch an keiner Wunde gelitten. Juliens Tante,
die dort genesen, war eine milde, sanfte Frau und das Mädchen sagte,
die Pflege sei ihr leicht geworden. Aber wenig Gesellschaft habe die
Dame bei sich gesehen, denn das Nervenübel, an dem sie krankte, habe
vor allen Andern innere und äußerliche Ruhe verlangt. Doch sei der
kleine Ort auch im Herbst und Winter viel bewegt gewesen durch die
dortige Akademie.

"Für Forst- und Landwirthschaft!" fiel ich ein. "Wir haben eine
zweite ältere und noch berühmtere Akademie im Lande, in Freiberg,
für's Bergwesen. Die Studenten an beiden gelten in Leipzig für sa-
tisfactionsfähig." Zu dem "in Leipzig" fügte ich noch ein "bei uns"
hinzu, aber ein sehr leises, weil noch völlig zukünftiges. Mit der an¬
erkannten Satisfactionsfahigkeit glaubte ich aber den Akadenüsten in
Tharant und Freiberg keine geringe Auszeichnung nachgerühmt zu ha¬
ben. Fräulein von Eichmann versetzte nur leichthin:

"So, so." Sie schien die Wichtigkeit des Zugeständnisses nicht
vollkommen zu übersehen. "Wir kamen mit den jungen Leuten selten
in Berührung", fügte sie hinzu. -- Ich war'jedoch ein schlauer Fuchs.
Daß siebzig bis achtzig Studenten der Forstwissenschaft ein Mädchen
in dem engen Thale von Tharant sollten unbeachtet und ungeduldige
gelassen haben von der Jugend, Schönheit und den geistigen Vorzügen
Juliens, das dünkte mir nicht glaublich. Also fragte ich sie gradehin,
in welcher Weise sie der Gegenstand der akademischen Aufmerksamkeit
gewesen.

"Ich darf mir dergleichen nicht einreden", erwiderte das Fräulein,
und ihre langen Wimpern wehten dabei mit schalkhaftem Ausdruck über
dem halben Auge. "Nur einmal, nach einem Balle, erwiesen mir die
Studenten die Ehre, mir ein Zeichen ihrer freundlichen Erinnerung zu
geben. Sie stellten sich Nachts unter meinem Fenster auf und feuer¬
ten dort ihre Gewehre ab, was eine Art von Ständchen sein sollte,
welches sie mir brachten. Es waren einige Dutzend Doppelröhre, die
auf einmal loskrachten und das grade in einer Zeit, wo meine arme
Tanne endlich nach langer nervöser Schlaflosigkeit einigen Schlummer
gefunden hatte. Es war eine sehr gute Frau, allein der Schrecken


Felsen springt. Der Wasserstrahl, den die Erde gibt, wir wußten nicht,
ob er sehr mächtig und genesungskräftig sei. Aber an der Frische der
Tharanter Haine und an dem wundenheilenden Hauche der Natur,
der sich über die waldigen Höhen des Weiseritzthales ergießt, zweifel¬
ten wir nicht, die wir noch an keiner Wunde gelitten. Juliens Tante,
die dort genesen, war eine milde, sanfte Frau und das Mädchen sagte,
die Pflege sei ihr leicht geworden. Aber wenig Gesellschaft habe die
Dame bei sich gesehen, denn das Nervenübel, an dem sie krankte, habe
vor allen Andern innere und äußerliche Ruhe verlangt. Doch sei der
kleine Ort auch im Herbst und Winter viel bewegt gewesen durch die
dortige Akademie.

„Für Forst- und Landwirthschaft!" fiel ich ein. „Wir haben eine
zweite ältere und noch berühmtere Akademie im Lande, in Freiberg,
für's Bergwesen. Die Studenten an beiden gelten in Leipzig für sa-
tisfactionsfähig." Zu dem „in Leipzig" fügte ich noch ein „bei uns"
hinzu, aber ein sehr leises, weil noch völlig zukünftiges. Mit der an¬
erkannten Satisfactionsfahigkeit glaubte ich aber den Akadenüsten in
Tharant und Freiberg keine geringe Auszeichnung nachgerühmt zu ha¬
ben. Fräulein von Eichmann versetzte nur leichthin:

„So, so." Sie schien die Wichtigkeit des Zugeständnisses nicht
vollkommen zu übersehen. „Wir kamen mit den jungen Leuten selten
in Berührung", fügte sie hinzu. — Ich war'jedoch ein schlauer Fuchs.
Daß siebzig bis achtzig Studenten der Forstwissenschaft ein Mädchen
in dem engen Thale von Tharant sollten unbeachtet und ungeduldige
gelassen haben von der Jugend, Schönheit und den geistigen Vorzügen
Juliens, das dünkte mir nicht glaublich. Also fragte ich sie gradehin,
in welcher Weise sie der Gegenstand der akademischen Aufmerksamkeit
gewesen.

„Ich darf mir dergleichen nicht einreden", erwiderte das Fräulein,
und ihre langen Wimpern wehten dabei mit schalkhaftem Ausdruck über
dem halben Auge. „Nur einmal, nach einem Balle, erwiesen mir die
Studenten die Ehre, mir ein Zeichen ihrer freundlichen Erinnerung zu
geben. Sie stellten sich Nachts unter meinem Fenster auf und feuer¬
ten dort ihre Gewehre ab, was eine Art von Ständchen sein sollte,
welches sie mir brachten. Es waren einige Dutzend Doppelröhre, die
auf einmal loskrachten und das grade in einer Zeit, wo meine arme
Tanne endlich nach langer nervöser Schlaflosigkeit einigen Schlummer
gefunden hatte. Es war eine sehr gute Frau, allein der Schrecken


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[0328] Felsen springt. Der Wasserstrahl, den die Erde gibt, wir wußten nicht, ob er sehr mächtig und genesungskräftig sei. Aber an der Frische der Tharanter Haine und an dem wundenheilenden Hauche der Natur, der sich über die waldigen Höhen des Weiseritzthales ergießt, zweifel¬ ten wir nicht, die wir noch an keiner Wunde gelitten. Juliens Tante, die dort genesen, war eine milde, sanfte Frau und das Mädchen sagte, die Pflege sei ihr leicht geworden. Aber wenig Gesellschaft habe die Dame bei sich gesehen, denn das Nervenübel, an dem sie krankte, habe vor allen Andern innere und äußerliche Ruhe verlangt. Doch sei der kleine Ort auch im Herbst und Winter viel bewegt gewesen durch die dortige Akademie. „Für Forst- und Landwirthschaft!" fiel ich ein. „Wir haben eine zweite ältere und noch berühmtere Akademie im Lande, in Freiberg, für's Bergwesen. Die Studenten an beiden gelten in Leipzig für sa- tisfactionsfähig." Zu dem „in Leipzig" fügte ich noch ein „bei uns" hinzu, aber ein sehr leises, weil noch völlig zukünftiges. Mit der an¬ erkannten Satisfactionsfahigkeit glaubte ich aber den Akadenüsten in Tharant und Freiberg keine geringe Auszeichnung nachgerühmt zu ha¬ ben. Fräulein von Eichmann versetzte nur leichthin: „So, so." Sie schien die Wichtigkeit des Zugeständnisses nicht vollkommen zu übersehen. „Wir kamen mit den jungen Leuten selten in Berührung", fügte sie hinzu. — Ich war'jedoch ein schlauer Fuchs. Daß siebzig bis achtzig Studenten der Forstwissenschaft ein Mädchen in dem engen Thale von Tharant sollten unbeachtet und ungeduldige gelassen haben von der Jugend, Schönheit und den geistigen Vorzügen Juliens, das dünkte mir nicht glaublich. Also fragte ich sie gradehin, in welcher Weise sie der Gegenstand der akademischen Aufmerksamkeit gewesen. „Ich darf mir dergleichen nicht einreden", erwiderte das Fräulein, und ihre langen Wimpern wehten dabei mit schalkhaftem Ausdruck über dem halben Auge. „Nur einmal, nach einem Balle, erwiesen mir die Studenten die Ehre, mir ein Zeichen ihrer freundlichen Erinnerung zu geben. Sie stellten sich Nachts unter meinem Fenster auf und feuer¬ ten dort ihre Gewehre ab, was eine Art von Ständchen sein sollte, welches sie mir brachten. Es waren einige Dutzend Doppelröhre, die auf einmal loskrachten und das grade in einer Zeit, wo meine arme Tanne endlich nach langer nervöser Schlaflosigkeit einigen Schlummer gefunden hatte. Es war eine sehr gute Frau, allein der Schrecken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/328>, abgerufen am 23.07.2024.