Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.Nach der Mahlzeit, die wir an der Gafthofstafel einnahmen, der "Was Ihnen die Gegend, das sind Sie mir -- das schönste Nach der Mahlzeit, die wir an der Gafthofstafel einnahmen, der „Was Ihnen die Gegend, das sind Sie mir — das schönste <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183906"/> <p xml:id="ID_915"> Nach der Mahlzeit, die wir an der Gafthofstafel einnahmen, der<lb/> Badegast vermochte kaum einige Löffel Suppe hinterzuschlürsen, wor¬<lb/> auf ich ihn auf ein Sopha schleifte und wieder unter Decken und Kis¬<lb/> sen begrub, entfernte sich Perglow in die Stadt. Er wollte nachfra¬<lb/> gen, ob einige Freunde schon wieder zur Universität abgereist oder be¬<lb/> reit wären, eine Flasche mit ihm bei dem braven Küpermeister Baum¬<lb/> garten zu trinken, einem Manne von so unbefleckten Rufe, daß ihn<lb/> kein Student unbesucht ließ, der auch nur eine Viertelstunde Meißner<lb/> Aufenthalts erübrigen konnte. Wir hatten behagliche Zeit zu einem<lb/> Gelage, denn Heinrich fütterte und war überhaupt nicht der Charak¬<lb/> ter, der mit boshafter Eil' auf der Abfahrt bestand, so lange noch Ein<lb/> Passagier zu zaudern verlangte. Der Seminolenhäuptling theilte mir<lb/> seine weintrinkende Absicht mit und gestattete mir, ihn bei Baumgar-<lb/> ten zu erwarten. Diese Erlaubniß würde den Umständen nach als<lb/> ein Befehl für mich gegolten haben, wäre mir nicht ein sehr lockender<lb/> und verrätherischer Plan in den Sinn gekommen. Ich ließ Perglow<lb/> ruhig seine Runde antreten und bemerkte dann ganz zufällig, daß doch<lb/> inzwischen für die Unterhaltung unserer Dame sehr schlecht gesorgt sei,<lb/> worauf ich ihr einen Spaziergang zur Beschauung der Meißner Merk¬<lb/> würdigkeiten vorschlug. Als sie mein Anerbieten genehmigt hatte, quälte<lb/> mich nur der Gedanke, daß wir dem Häuptlinge in der Stadt begeg¬<lb/> nen könnten, was ein harter Schlag für mich gewesen wäre. Des¬<lb/> halb beschleunigte ich meinen Weg durch die Stadt mit Julien und<lb/> fühlte mich erst glücklich geborgen, als wir die Treppe zu ersteigen be¬<lb/> gannen, die gegen die Albrechtsburg hinaufführt. Ihr Arm lag dabei<lb/> auf dem meinigen, von Zeit zu Zeit ruhten nur aus und sahen ein¬<lb/> ander an. Ich empfand so viel, daß ich wenig reden konnte und um<lb/> einige Mannichfaltigkeit in unser Gespräch zu bringen, zählte ich laut<lb/> die Stufen. Wir waren aber entsetzlich rasch oben und mit der letz¬<lb/> ten Ziffer die Unterhaltung schon wieder zu Ende. Aber im Anblicke<lb/> der alten Stadt und frühlingöfrifchen Landschaft verklärte sich das<lb/> Antlitz des Mädchens, und als Julie die Gegend als die schönste pries,<lb/> die sie gesehen, vergaß ich mich vor ihrem lieben Lächeln bis zu der<lb/> Aeußerung:</p><lb/> <p xml:id="ID_916" next="#ID_917"> „Was Ihnen die Gegend, das sind Sie mir — das schönste<lb/> Mädchen, welchem ich jemals begegnete!" Ich erschrak vor mir selbst<lb/> nach dem Worte, daß ich mich vorwärts an die Mauerbrüstung retten<lb/> mußte und gewiß roth anlief, wie ein gesottener Krebs, während ich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0324]
Nach der Mahlzeit, die wir an der Gafthofstafel einnahmen, der
Badegast vermochte kaum einige Löffel Suppe hinterzuschlürsen, wor¬
auf ich ihn auf ein Sopha schleifte und wieder unter Decken und Kis¬
sen begrub, entfernte sich Perglow in die Stadt. Er wollte nachfra¬
gen, ob einige Freunde schon wieder zur Universität abgereist oder be¬
reit wären, eine Flasche mit ihm bei dem braven Küpermeister Baum¬
garten zu trinken, einem Manne von so unbefleckten Rufe, daß ihn
kein Student unbesucht ließ, der auch nur eine Viertelstunde Meißner
Aufenthalts erübrigen konnte. Wir hatten behagliche Zeit zu einem
Gelage, denn Heinrich fütterte und war überhaupt nicht der Charak¬
ter, der mit boshafter Eil' auf der Abfahrt bestand, so lange noch Ein
Passagier zu zaudern verlangte. Der Seminolenhäuptling theilte mir
seine weintrinkende Absicht mit und gestattete mir, ihn bei Baumgar-
ten zu erwarten. Diese Erlaubniß würde den Umständen nach als
ein Befehl für mich gegolten haben, wäre mir nicht ein sehr lockender
und verrätherischer Plan in den Sinn gekommen. Ich ließ Perglow
ruhig seine Runde antreten und bemerkte dann ganz zufällig, daß doch
inzwischen für die Unterhaltung unserer Dame sehr schlecht gesorgt sei,
worauf ich ihr einen Spaziergang zur Beschauung der Meißner Merk¬
würdigkeiten vorschlug. Als sie mein Anerbieten genehmigt hatte, quälte
mich nur der Gedanke, daß wir dem Häuptlinge in der Stadt begeg¬
nen könnten, was ein harter Schlag für mich gewesen wäre. Des¬
halb beschleunigte ich meinen Weg durch die Stadt mit Julien und
fühlte mich erst glücklich geborgen, als wir die Treppe zu ersteigen be¬
gannen, die gegen die Albrechtsburg hinaufführt. Ihr Arm lag dabei
auf dem meinigen, von Zeit zu Zeit ruhten nur aus und sahen ein¬
ander an. Ich empfand so viel, daß ich wenig reden konnte und um
einige Mannichfaltigkeit in unser Gespräch zu bringen, zählte ich laut
die Stufen. Wir waren aber entsetzlich rasch oben und mit der letz¬
ten Ziffer die Unterhaltung schon wieder zu Ende. Aber im Anblicke
der alten Stadt und frühlingöfrifchen Landschaft verklärte sich das
Antlitz des Mädchens, und als Julie die Gegend als die schönste pries,
die sie gesehen, vergaß ich mich vor ihrem lieben Lächeln bis zu der
Aeußerung:
„Was Ihnen die Gegend, das sind Sie mir — das schönste
Mädchen, welchem ich jemals begegnete!" Ich erschrak vor mir selbst
nach dem Worte, daß ich mich vorwärts an die Mauerbrüstung retten
mußte und gewiß roth anlief, wie ein gesottener Krebs, während ich
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