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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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auf meinem Platze, wobei mir das Lächeln gar nicht gefiel, mit wel¬
chem sich das alte Haus in der Betrachtung einer großen Schachtel
ausruhte, die ich in den Händen hielt. Sie war von dem Finanzmann
in der italienischen Handlung zärtlich fürsorgend mit Lebensmitteln voll¬
gepfropft worden.

"Du bist also diesen Weg schon öfterer gereist?" fuhr er fort --
und mit wollüstigen Entzücken bestätigten mir meine Ohren die Rechts-
beständtgkeit des Du-Comments.

"Nur einmal. Es war zu einem Schulfeste in Meißen," fiel ich
eifrig ein. "Ich habe einen Freund dort, der- in Prima sitzt. Auch er
wollte für Ostern das Maturitätöeramcn" --

"Still von Penalibus," unterbrach mich der wichtige Mann mit
unbeschreiblicher Würde. Dann nahm seine Miene plötzlich wieder die
beißende Ironie an, die eigentlich die lange Reihe der gekreuzten Schwer¬
ter auf dem Bande recht natürlich zu erklären im Stande war. "Bist
Du auch damals wie heute auf dem Vorderplatze gefahren, indessen
eine Dame Deinetwegen auf den Rücksitz verwiesen ward?"

Es bedürfte einer längern Frist, bevor ich den Sinn des häßlichen
Vorwurfs, dann seine einschneidende Wahrheit und damit schließlich
auch den Grundbegriff, weshalb ich bis dahin von Seiten des Stu¬
denten mit der augenscheinlichsten Nichtbeachtung behandelt worden
war. Aber kaum hatte ich auch nur einen Theil des Tadels aufge¬
faßt, als ich zum Schrecken des Kranken und mit dessen Bette, welches
sich in meine Füße verwickelte, aus dem Wagen schoß und Entschuldi¬
gungen und Bitten, daß die Dame meinen Platz einnehmen möge,
durcheinander mischte. Ich hatte mich des Sitzes bedient, den ich eben
für mich offen erblickte; ich hatte nicht geahnt, daß meine gute Mutter
ohne die Reisegesellschaft weiter zu mustern, den Lohnkutscher genöthigt
hatte, mir des höhern Betrags meiner Zahlung wegen den besten Platz
zuzusichern, lind daß, da der Badegast unvertreibbar war, die junge
Dame zur Entrüstung des Studenten, der ihr die bequemere Seite des
Wagens abgetreten hatte, auf die andere Hälfte verwiesen worden war.

Während ich mich peinlich um meine Rechtfertigung bemühte, klärte
sich das Angesicht des Mannes^ auf dessen gute Meinung mir Alles
ankam, zu einer weniger zweideutigen Freundlichkeit auf. Er half so¬
gar dazu, daß sich das Fräulein entschloß, auf den dringend angebote¬
nen Wechsel einzugehen. Der sanfte Heinrich hatte sich und die Pftrve
getränkt, das Bett war zu dem Badegäste zurückgekehrt und nachdem
noch eine Flasche rothen Landweins auf meine Bestellung gebracht und


auf meinem Platze, wobei mir das Lächeln gar nicht gefiel, mit wel¬
chem sich das alte Haus in der Betrachtung einer großen Schachtel
ausruhte, die ich in den Händen hielt. Sie war von dem Finanzmann
in der italienischen Handlung zärtlich fürsorgend mit Lebensmitteln voll¬
gepfropft worden.

„Du bist also diesen Weg schon öfterer gereist?" fuhr er fort --
und mit wollüstigen Entzücken bestätigten mir meine Ohren die Rechts-
beständtgkeit des Du-Comments.

„Nur einmal. Es war zu einem Schulfeste in Meißen," fiel ich
eifrig ein. „Ich habe einen Freund dort, der- in Prima sitzt. Auch er
wollte für Ostern das Maturitätöeramcn" —

„Still von Penalibus," unterbrach mich der wichtige Mann mit
unbeschreiblicher Würde. Dann nahm seine Miene plötzlich wieder die
beißende Ironie an, die eigentlich die lange Reihe der gekreuzten Schwer¬
ter auf dem Bande recht natürlich zu erklären im Stande war. „Bist
Du auch damals wie heute auf dem Vorderplatze gefahren, indessen
eine Dame Deinetwegen auf den Rücksitz verwiesen ward?"

Es bedürfte einer längern Frist, bevor ich den Sinn des häßlichen
Vorwurfs, dann seine einschneidende Wahrheit und damit schließlich
auch den Grundbegriff, weshalb ich bis dahin von Seiten des Stu¬
denten mit der augenscheinlichsten Nichtbeachtung behandelt worden
war. Aber kaum hatte ich auch nur einen Theil des Tadels aufge¬
faßt, als ich zum Schrecken des Kranken und mit dessen Bette, welches
sich in meine Füße verwickelte, aus dem Wagen schoß und Entschuldi¬
gungen und Bitten, daß die Dame meinen Platz einnehmen möge,
durcheinander mischte. Ich hatte mich des Sitzes bedient, den ich eben
für mich offen erblickte; ich hatte nicht geahnt, daß meine gute Mutter
ohne die Reisegesellschaft weiter zu mustern, den Lohnkutscher genöthigt
hatte, mir des höhern Betrags meiner Zahlung wegen den besten Platz
zuzusichern, lind daß, da der Badegast unvertreibbar war, die junge
Dame zur Entrüstung des Studenten, der ihr die bequemere Seite des
Wagens abgetreten hatte, auf die andere Hälfte verwiesen worden war.

Während ich mich peinlich um meine Rechtfertigung bemühte, klärte
sich das Angesicht des Mannes^ auf dessen gute Meinung mir Alles
ankam, zu einer weniger zweideutigen Freundlichkeit auf. Er half so¬
gar dazu, daß sich das Fräulein entschloß, auf den dringend angebote¬
nen Wechsel einzugehen. Der sanfte Heinrich hatte sich und die Pftrve
getränkt, das Bett war zu dem Badegäste zurückgekehrt und nachdem
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[0320] auf meinem Platze, wobei mir das Lächeln gar nicht gefiel, mit wel¬ chem sich das alte Haus in der Betrachtung einer großen Schachtel ausruhte, die ich in den Händen hielt. Sie war von dem Finanzmann in der italienischen Handlung zärtlich fürsorgend mit Lebensmitteln voll¬ gepfropft worden. „Du bist also diesen Weg schon öfterer gereist?" fuhr er fort -- und mit wollüstigen Entzücken bestätigten mir meine Ohren die Rechts- beständtgkeit des Du-Comments. „Nur einmal. Es war zu einem Schulfeste in Meißen," fiel ich eifrig ein. „Ich habe einen Freund dort, der- in Prima sitzt. Auch er wollte für Ostern das Maturitätöeramcn" — „Still von Penalibus," unterbrach mich der wichtige Mann mit unbeschreiblicher Würde. Dann nahm seine Miene plötzlich wieder die beißende Ironie an, die eigentlich die lange Reihe der gekreuzten Schwer¬ ter auf dem Bande recht natürlich zu erklären im Stande war. „Bist Du auch damals wie heute auf dem Vorderplatze gefahren, indessen eine Dame Deinetwegen auf den Rücksitz verwiesen ward?" Es bedürfte einer längern Frist, bevor ich den Sinn des häßlichen Vorwurfs, dann seine einschneidende Wahrheit und damit schließlich auch den Grundbegriff, weshalb ich bis dahin von Seiten des Stu¬ denten mit der augenscheinlichsten Nichtbeachtung behandelt worden war. Aber kaum hatte ich auch nur einen Theil des Tadels aufge¬ faßt, als ich zum Schrecken des Kranken und mit dessen Bette, welches sich in meine Füße verwickelte, aus dem Wagen schoß und Entschuldi¬ gungen und Bitten, daß die Dame meinen Platz einnehmen möge, durcheinander mischte. Ich hatte mich des Sitzes bedient, den ich eben für mich offen erblickte; ich hatte nicht geahnt, daß meine gute Mutter ohne die Reisegesellschaft weiter zu mustern, den Lohnkutscher genöthigt hatte, mir des höhern Betrags meiner Zahlung wegen den besten Platz zuzusichern, lind daß, da der Badegast unvertreibbar war, die junge Dame zur Entrüstung des Studenten, der ihr die bequemere Seite des Wagens abgetreten hatte, auf die andere Hälfte verwiesen worden war. Während ich mich peinlich um meine Rechtfertigung bemühte, klärte sich das Angesicht des Mannes^ auf dessen gute Meinung mir Alles ankam, zu einer weniger zweideutigen Freundlichkeit auf. Er half so¬ gar dazu, daß sich das Fräulein entschloß, auf den dringend angebote¬ nen Wechsel einzugehen. Der sanfte Heinrich hatte sich und die Pftrve getränkt, das Bett war zu dem Badegäste zurückgekehrt und nachdem noch eine Flasche rothen Landweins auf meine Bestellung gebracht und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/320>, abgerufen am 23.07.2024.