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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Das Vorurtheil der Massen mag noch vielfach gegen die Eman¬
cipation der Juden sein, aber die ganze deutende Welt verwirft dies
Vorurcheil. Es gibt auch außer Preußen noch Staatsmänner, die da
meinen, daß man den Juden wenigstens die politischen Rechte nicht
zuerkennen dürfe. In einzelnen Theilen Deutschlands scheint man Zu¬
stände, wie die des Elsasses, die schlimm genug sind, zu befürchten,
und bedenkt nicht, daß diese Zustände Folge von Allsnahmeverhältnissen,
Folge alten Herkommens und vor Allem Folge des Umstandes sind,
daß der deutsche Bauer alle seine höhern Geschäfte französisch betreiben
muß und dazu eines Uebersetzers und Führers bedarf, -- und endlich,
daß der französische Grundbesitz durch das französische industrielle Schutz¬
system überall auf eine furchtbare Weise verschuldet ist.

Ohne die pol irische Emancipation der Juden aber ist auch die
bürgerliche nicht möglich. Das politische Element greift gegenwärtig
so tief in das bürgerliche und gesellschaftliche Leben über, daß wer von
den politischen Rechten allsgeschlossen ist, sich auch in allen andern
Beziehungen im bürgerlichen und gesellschaftlichen Leben unbehaglich
finden muß. Das größte Unglück der Allsschließung ist, daß der Zu¬
rückgesetzte sich selbst als einen Benachtheiligten, als einen Zurückge¬
setzten betrachtet. So würde also, selbst wenn man auch von all den
socialen Stellungen, die die politischen Rechte, Aemter, Würden, Orden
geben, nicht sprechen wollte, dennoch die moralische Emancipation, die
Versöhnung, die gesellschaftliche Gleichstellung gar nicht möglich sein,
wo die politische, die staatsrechtliche nicht zugleich mit stattfände.

"Die Emancipation der Juden muß also vollständig sein, wenn
sie überhaupt stattfinden, den gehofften Nutzen haben, moralische, ge¬
sellschaftliche Aussöhnung und Gleichstellung herbeiführen und verwirk¬
lichen soll." Nicht um etwas mehr oder weniger, so oder so viel
handelt es sich, sondern um Alles oder Nichts > um Etwas, das sich
nicht theilen läßt, um Freiheit und Recht.

Die Frage ist also einfach: Müssen und sollen die Juden eman-
cipirt werden?

Daß man diese Frage nur noch stellen kann, ist kaum begreiflich.
Sie ist eine der wunderbarsten Mißtöne in dem tollen Concerte unse¬
rer Zeit. Ist es nicht eine Art Hohn, von der "Judenemancipation"
zu sprechen? Wie wollte ich Euch geißeln, wenn ich ein Jude wäre!
-- Und der Rothschild, der die Wage ü^er Krieg und Frieden in der
Hand hält? Und Mevcrbeer, Mendelsohn sind sie nicht als die ersten


Das Vorurtheil der Massen mag noch vielfach gegen die Eman¬
cipation der Juden sein, aber die ganze deutende Welt verwirft dies
Vorurcheil. Es gibt auch außer Preußen noch Staatsmänner, die da
meinen, daß man den Juden wenigstens die politischen Rechte nicht
zuerkennen dürfe. In einzelnen Theilen Deutschlands scheint man Zu¬
stände, wie die des Elsasses, die schlimm genug sind, zu befürchten,
und bedenkt nicht, daß diese Zustände Folge von Allsnahmeverhältnissen,
Folge alten Herkommens und vor Allem Folge des Umstandes sind,
daß der deutsche Bauer alle seine höhern Geschäfte französisch betreiben
muß und dazu eines Uebersetzers und Führers bedarf, — und endlich,
daß der französische Grundbesitz durch das französische industrielle Schutz¬
system überall auf eine furchtbare Weise verschuldet ist.

Ohne die pol irische Emancipation der Juden aber ist auch die
bürgerliche nicht möglich. Das politische Element greift gegenwärtig
so tief in das bürgerliche und gesellschaftliche Leben über, daß wer von
den politischen Rechten allsgeschlossen ist, sich auch in allen andern
Beziehungen im bürgerlichen und gesellschaftlichen Leben unbehaglich
finden muß. Das größte Unglück der Allsschließung ist, daß der Zu¬
rückgesetzte sich selbst als einen Benachtheiligten, als einen Zurückge¬
setzten betrachtet. So würde also, selbst wenn man auch von all den
socialen Stellungen, die die politischen Rechte, Aemter, Würden, Orden
geben, nicht sprechen wollte, dennoch die moralische Emancipation, die
Versöhnung, die gesellschaftliche Gleichstellung gar nicht möglich sein,
wo die politische, die staatsrechtliche nicht zugleich mit stattfände.

„Die Emancipation der Juden muß also vollständig sein, wenn
sie überhaupt stattfinden, den gehofften Nutzen haben, moralische, ge¬
sellschaftliche Aussöhnung und Gleichstellung herbeiführen und verwirk¬
lichen soll." Nicht um etwas mehr oder weniger, so oder so viel
handelt es sich, sondern um Alles oder Nichts > um Etwas, das sich
nicht theilen läßt, um Freiheit und Recht.

Die Frage ist also einfach: Müssen und sollen die Juden eman-
cipirt werden?

Daß man diese Frage nur noch stellen kann, ist kaum begreiflich.
Sie ist eine der wunderbarsten Mißtöne in dem tollen Concerte unse¬
rer Zeit. Ist es nicht eine Art Hohn, von der „Judenemancipation"
zu sprechen? Wie wollte ich Euch geißeln, wenn ich ein Jude wäre!
— Und der Rothschild, der die Wage ü^er Krieg und Frieden in der
Hand hält? Und Mevcrbeer, Mendelsohn sind sie nicht als die ersten


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[0294] Das Vorurtheil der Massen mag noch vielfach gegen die Eman¬ cipation der Juden sein, aber die ganze deutende Welt verwirft dies Vorurcheil. Es gibt auch außer Preußen noch Staatsmänner, die da meinen, daß man den Juden wenigstens die politischen Rechte nicht zuerkennen dürfe. In einzelnen Theilen Deutschlands scheint man Zu¬ stände, wie die des Elsasses, die schlimm genug sind, zu befürchten, und bedenkt nicht, daß diese Zustände Folge von Allsnahmeverhältnissen, Folge alten Herkommens und vor Allem Folge des Umstandes sind, daß der deutsche Bauer alle seine höhern Geschäfte französisch betreiben muß und dazu eines Uebersetzers und Führers bedarf, — und endlich, daß der französische Grundbesitz durch das französische industrielle Schutz¬ system überall auf eine furchtbare Weise verschuldet ist. Ohne die pol irische Emancipation der Juden aber ist auch die bürgerliche nicht möglich. Das politische Element greift gegenwärtig so tief in das bürgerliche und gesellschaftliche Leben über, daß wer von den politischen Rechten allsgeschlossen ist, sich auch in allen andern Beziehungen im bürgerlichen und gesellschaftlichen Leben unbehaglich finden muß. Das größte Unglück der Allsschließung ist, daß der Zu¬ rückgesetzte sich selbst als einen Benachtheiligten, als einen Zurückge¬ setzten betrachtet. So würde also, selbst wenn man auch von all den socialen Stellungen, die die politischen Rechte, Aemter, Würden, Orden geben, nicht sprechen wollte, dennoch die moralische Emancipation, die Versöhnung, die gesellschaftliche Gleichstellung gar nicht möglich sein, wo die politische, die staatsrechtliche nicht zugleich mit stattfände. „Die Emancipation der Juden muß also vollständig sein, wenn sie überhaupt stattfinden, den gehofften Nutzen haben, moralische, ge¬ sellschaftliche Aussöhnung und Gleichstellung herbeiführen und verwirk¬ lichen soll." Nicht um etwas mehr oder weniger, so oder so viel handelt es sich, sondern um Alles oder Nichts > um Etwas, das sich nicht theilen läßt, um Freiheit und Recht. Die Frage ist also einfach: Müssen und sollen die Juden eman- cipirt werden? Daß man diese Frage nur noch stellen kann, ist kaum begreiflich. Sie ist eine der wunderbarsten Mißtöne in dem tollen Concerte unse¬ rer Zeit. Ist es nicht eine Art Hohn, von der „Judenemancipation" zu sprechen? Wie wollte ich Euch geißeln, wenn ich ein Jude wäre! — Und der Rothschild, der die Wage ü^er Krieg und Frieden in der Hand hält? Und Mevcrbeer, Mendelsohn sind sie nicht als die ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/294>, abgerufen am 26.08.2024.