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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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türkische Erbschaft ebenso zum Theil auf deutschem Boden ausfechten
zu lassen, wie im Anfange des vorigen Jahrhunderts der spanische
Erbfolgekrieg auf demselben ausgestritten wurde, dann wird sie sich in
Wahrheit rühmen dürfen, gar drei Fliegen mit einer Klappe erwischt
zu haben. Einmal wird der Gewinn des besten Stückes der türkischen
Erbschaft dem Petersburger Cabinette dadurch wesentlich erleichtert;
dann würden die frommen Wünsche, welche dieses für Deutschlands
innere Zerklüftung, Abschwächung und Erniedrigung tagtäglich zum
Himmel sendet, eine glänzende Erfüllung finden, die Deutschen so zer¬
rissen und entkräftet werden, daß sie auf lange hinaus Lust und Fähig¬
keit verlieren dürften, die völkerbeglückenden Intentionen des Selbst¬
herrschers aller Reußen zu durchkreuzen. Drittens wird dieser mithin,
wenn er sich eines Tages bemüßigt finden sollte, die Oesterreich und
Preußen bislang noch belassenen slavischen Provinzen mit ihren unter
Rußlands Scepter sich so überaus, glücklich fühlenden Bruderstämmeu
zu vereinen, auf die Einsprache der fraglichen Staaten, weil diese so
gutmüthig gewesen, sich gegenseitig abzuschwächen, eben keine sonder¬
liche Rücksicht zu nehmen nöthig haben.

Preußen leidet an einem sehr gröhlen, an einem sehr schmerzlichen
Mangel; ihm fehlt der räumliche Zusammenhang zwischen seinen öst¬
lichen und seinen westlichen Provinzen. Dieser preußischen Bruchkrank¬
heit ist aber nur durch Veränderungen in Deutschland selbst auf Kosten
anderer deutschen Staaten abzuhelfen; es kann daher auch gar nicht
zweifelhaft sein, daß die Katastrophe im Oriente solche veranlassen
wird. Nun ist allerdings nicht zu läugnen, daß das officielle Preußen
in seinen Reden und Landtags-Abschieden große Achtung vor dem
Bestehenden, vor dem historisch Begründeten, vor deutschem Wesen,
vor deutscher Sitte an den Tag legt, es ist aber auch nicht minder
wahr, daß der preußische Adler, wenn es zum Zugreifen kam, von
jeher mehr ausländischer Mode sich angeschmiegt hat, daß zwar sein
Gemüthe stets fromm und christlich gesinnt gewesen, daß aber in dem
Conflicte zwischen Gemüthe und Schnabel, nicht nur in den Tagen
des freigeisterischen großen Fritz, sondern auch zu andern frommem
Zeiten, der irreligiöse Schnabel gewöhnlich den Sieg über das religiöse
christliche Gemüthe davon getragen. Und wenn man ehrlich sein will,
wird man zugeben müssen, daß es das Vollmaß politischen Blödsinnes
und der Legitimitätspinselei wäre, wenn Preußen den unwiederbring¬
lichen Moment, wo zwei Gruppirungen der Großmächte um seine
Allianz werben, nicht dazu benutzte, für seine Bruchkrankheit sich das


türkische Erbschaft ebenso zum Theil auf deutschem Boden ausfechten
zu lassen, wie im Anfange des vorigen Jahrhunderts der spanische
Erbfolgekrieg auf demselben ausgestritten wurde, dann wird sie sich in
Wahrheit rühmen dürfen, gar drei Fliegen mit einer Klappe erwischt
zu haben. Einmal wird der Gewinn des besten Stückes der türkischen
Erbschaft dem Petersburger Cabinette dadurch wesentlich erleichtert;
dann würden die frommen Wünsche, welche dieses für Deutschlands
innere Zerklüftung, Abschwächung und Erniedrigung tagtäglich zum
Himmel sendet, eine glänzende Erfüllung finden, die Deutschen so zer¬
rissen und entkräftet werden, daß sie auf lange hinaus Lust und Fähig¬
keit verlieren dürften, die völkerbeglückenden Intentionen des Selbst¬
herrschers aller Reußen zu durchkreuzen. Drittens wird dieser mithin,
wenn er sich eines Tages bemüßigt finden sollte, die Oesterreich und
Preußen bislang noch belassenen slavischen Provinzen mit ihren unter
Rußlands Scepter sich so überaus, glücklich fühlenden Bruderstämmeu
zu vereinen, auf die Einsprache der fraglichen Staaten, weil diese so
gutmüthig gewesen, sich gegenseitig abzuschwächen, eben keine sonder¬
liche Rücksicht zu nehmen nöthig haben.

Preußen leidet an einem sehr gröhlen, an einem sehr schmerzlichen
Mangel; ihm fehlt der räumliche Zusammenhang zwischen seinen öst¬
lichen und seinen westlichen Provinzen. Dieser preußischen Bruchkrank¬
heit ist aber nur durch Veränderungen in Deutschland selbst auf Kosten
anderer deutschen Staaten abzuhelfen; es kann daher auch gar nicht
zweifelhaft sein, daß die Katastrophe im Oriente solche veranlassen
wird. Nun ist allerdings nicht zu läugnen, daß das officielle Preußen
in seinen Reden und Landtags-Abschieden große Achtung vor dem
Bestehenden, vor dem historisch Begründeten, vor deutschem Wesen,
vor deutscher Sitte an den Tag legt, es ist aber auch nicht minder
wahr, daß der preußische Adler, wenn es zum Zugreifen kam, von
jeher mehr ausländischer Mode sich angeschmiegt hat, daß zwar sein
Gemüthe stets fromm und christlich gesinnt gewesen, daß aber in dem
Conflicte zwischen Gemüthe und Schnabel, nicht nur in den Tagen
des freigeisterischen großen Fritz, sondern auch zu andern frommem
Zeiten, der irreligiöse Schnabel gewöhnlich den Sieg über das religiöse
christliche Gemüthe davon getragen. Und wenn man ehrlich sein will,
wird man zugeben müssen, daß es das Vollmaß politischen Blödsinnes
und der Legitimitätspinselei wäre, wenn Preußen den unwiederbring¬
lichen Moment, wo zwei Gruppirungen der Großmächte um seine
Allianz werben, nicht dazu benutzte, für seine Bruchkrankheit sich das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/257>, abgerufen am 23.07.2024.