Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fähig sein möchte (der Champagnergeist der Franzosen entbehrt dieser
nachhaltigen Kraft, weshalb der Selbstherrscher aller Reußen den franzö¬
sischen Geist auch lange nicht so sehr wie den deutschen haßt), unter
einem in Barbarei und Thierheit so völlig versunkenen, geistig so ver¬
kümmerten Volke, wie das russische, fruchtbare Keime der Civilisation
auszustreuen, ihm Begriffe von Menschenwürde und von Menschenrechten
einzuflößen. Der Czar fürchtet ferner, Preußen möchte dereinst seine
glorreiche Mission begreifen lernen, die Sympathien umfassend benutzen,
welche in den russischen, weiland deutschen Ostseeprovinzen für den stamm-
und glaubensverwandten Staat schlummern. Darum werden dort so
enorme Anstrengungen gemacht, um den Protestantismus auszurotten,
um mit ihm die wirksamste Handhabe zu vernichten, deren der gefähr¬
liche Nachbar dort einst sich bedienen könnte; darum finden alle staat¬
lichen Verbesserungen, durch welche Preußen seine innere Einheit wie
seine Nationalkraft und damit seine Macht nach Außen erhöhen, sowie
seine Verbindung mit dem übrigen Deutschland noch fester schürzen
kann, in Nußland den entschiedensten Widersacher. Und doch hält dieses
gegen Preußen die Maske der Freundschaft vor, die wahre Gesinnung
bricht freilich mitunter sehr deutlich durch, -- muß sie vorhalten, weil
es für den Czarenstaat von unendlichem Werthe ist, bei der einstigen
Lösung der ihm so überaus wichtigen orientalischen Frage sich Preußens
zu versichern, es in das Schlepptau seiner Politik zu nehmen.

Die Bundesgenossenschaft dieses Staates ist sür den Fall des
Eintrittes der Katastrophe im Oriente von großer, ich möchte sagen
von entscheidender Bedeutung, wegen der Hindernisse, die er der freien
Bewegung Oesterreichs wie Rußlands in der Türkei zu bereiten ver¬
mag. Beiden Mächten ist diese nur dann möglich, wenn sie ihren
Rücken gedeckt, also von Preußen nichts zu besorgen haben. Es läßt
sich daher voraussehen, daß dessen Freundschaft von diesen Beiden für
den in Rede stehenden Fall sehr eifrig nachgesucht werden wird, am
eifrigsten aber unstreitig vom Czaren. Gelingt es demselben auch nur,
Preußen zur bewaffneten Neutralität zu bewegen, so ist schon der Zweck
erreicht, Oesterreich zur Theilung seiner Kräfte zu zwingen. Während
es mit der einen, größer" Hälfte gegen Nußland kämpfte, würde es
mit der andern, wenn auch kleinern Preußens Parteilosigkeit, in
die es alsdann kein zu großes Vertrauen setzen dürfte, überwachen
müssen. Glückt der russischen Diplomatie aber der Meisterstreich, an
Preußen einen thätigen Bundesgenossen zu gewinnen, es alt Oester¬
reich in einen Waffentanz zu verwickeln und somit den Kampf um die


fähig sein möchte (der Champagnergeist der Franzosen entbehrt dieser
nachhaltigen Kraft, weshalb der Selbstherrscher aller Reußen den franzö¬
sischen Geist auch lange nicht so sehr wie den deutschen haßt), unter
einem in Barbarei und Thierheit so völlig versunkenen, geistig so ver¬
kümmerten Volke, wie das russische, fruchtbare Keime der Civilisation
auszustreuen, ihm Begriffe von Menschenwürde und von Menschenrechten
einzuflößen. Der Czar fürchtet ferner, Preußen möchte dereinst seine
glorreiche Mission begreifen lernen, die Sympathien umfassend benutzen,
welche in den russischen, weiland deutschen Ostseeprovinzen für den stamm-
und glaubensverwandten Staat schlummern. Darum werden dort so
enorme Anstrengungen gemacht, um den Protestantismus auszurotten,
um mit ihm die wirksamste Handhabe zu vernichten, deren der gefähr¬
liche Nachbar dort einst sich bedienen könnte; darum finden alle staat¬
lichen Verbesserungen, durch welche Preußen seine innere Einheit wie
seine Nationalkraft und damit seine Macht nach Außen erhöhen, sowie
seine Verbindung mit dem übrigen Deutschland noch fester schürzen
kann, in Nußland den entschiedensten Widersacher. Und doch hält dieses
gegen Preußen die Maske der Freundschaft vor, die wahre Gesinnung
bricht freilich mitunter sehr deutlich durch, — muß sie vorhalten, weil
es für den Czarenstaat von unendlichem Werthe ist, bei der einstigen
Lösung der ihm so überaus wichtigen orientalischen Frage sich Preußens
zu versichern, es in das Schlepptau seiner Politik zu nehmen.

Die Bundesgenossenschaft dieses Staates ist sür den Fall des
Eintrittes der Katastrophe im Oriente von großer, ich möchte sagen
von entscheidender Bedeutung, wegen der Hindernisse, die er der freien
Bewegung Oesterreichs wie Rußlands in der Türkei zu bereiten ver¬
mag. Beiden Mächten ist diese nur dann möglich, wenn sie ihren
Rücken gedeckt, also von Preußen nichts zu besorgen haben. Es läßt
sich daher voraussehen, daß dessen Freundschaft von diesen Beiden für
den in Rede stehenden Fall sehr eifrig nachgesucht werden wird, am
eifrigsten aber unstreitig vom Czaren. Gelingt es demselben auch nur,
Preußen zur bewaffneten Neutralität zu bewegen, so ist schon der Zweck
erreicht, Oesterreich zur Theilung seiner Kräfte zu zwingen. Während
es mit der einen, größer« Hälfte gegen Nußland kämpfte, würde es
mit der andern, wenn auch kleinern Preußens Parteilosigkeit, in
die es alsdann kein zu großes Vertrauen setzen dürfte, überwachen
müssen. Glückt der russischen Diplomatie aber der Meisterstreich, an
Preußen einen thätigen Bundesgenossen zu gewinnen, es alt Oester¬
reich in einen Waffentanz zu verwickeln und somit den Kampf um die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183838"/>
          <p xml:id="ID_698" prev="#ID_697"> fähig sein möchte (der Champagnergeist der Franzosen entbehrt dieser<lb/>
nachhaltigen Kraft, weshalb der Selbstherrscher aller Reußen den franzö¬<lb/>
sischen Geist auch lange nicht so sehr wie den deutschen haßt), unter<lb/>
einem in Barbarei und Thierheit so völlig versunkenen, geistig so ver¬<lb/>
kümmerten Volke, wie das russische, fruchtbare Keime der Civilisation<lb/>
auszustreuen, ihm Begriffe von Menschenwürde und von Menschenrechten<lb/>
einzuflößen. Der Czar fürchtet ferner, Preußen möchte dereinst seine<lb/>
glorreiche Mission begreifen lernen, die Sympathien umfassend benutzen,<lb/>
welche in den russischen, weiland deutschen Ostseeprovinzen für den stamm-<lb/>
und glaubensverwandten Staat schlummern. Darum werden dort so<lb/>
enorme Anstrengungen gemacht, um den Protestantismus auszurotten,<lb/>
um mit ihm die wirksamste Handhabe zu vernichten, deren der gefähr¬<lb/>
liche Nachbar dort einst sich bedienen könnte; darum finden alle staat¬<lb/>
lichen Verbesserungen, durch welche Preußen seine innere Einheit wie<lb/>
seine Nationalkraft und damit seine Macht nach Außen erhöhen, sowie<lb/>
seine Verbindung mit dem übrigen Deutschland noch fester schürzen<lb/>
kann, in Nußland den entschiedensten Widersacher. Und doch hält dieses<lb/>
gegen Preußen die Maske der Freundschaft vor, die wahre Gesinnung<lb/>
bricht freilich mitunter sehr deutlich durch, &#x2014; muß sie vorhalten, weil<lb/>
es für den Czarenstaat von unendlichem Werthe ist, bei der einstigen<lb/>
Lösung der ihm so überaus wichtigen orientalischen Frage sich Preußens<lb/>
zu versichern, es in das Schlepptau seiner Politik zu nehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_699" next="#ID_700"> Die Bundesgenossenschaft dieses Staates ist sür den Fall des<lb/>
Eintrittes der Katastrophe im Oriente von großer, ich möchte sagen<lb/>
von entscheidender Bedeutung, wegen der Hindernisse, die er der freien<lb/>
Bewegung Oesterreichs wie Rußlands in der Türkei zu bereiten ver¬<lb/>
mag. Beiden Mächten ist diese nur dann möglich, wenn sie ihren<lb/>
Rücken gedeckt, also von Preußen nichts zu besorgen haben. Es läßt<lb/>
sich daher voraussehen, daß dessen Freundschaft von diesen Beiden für<lb/>
den in Rede stehenden Fall sehr eifrig nachgesucht werden wird, am<lb/>
eifrigsten aber unstreitig vom Czaren. Gelingt es demselben auch nur,<lb/>
Preußen zur bewaffneten Neutralität zu bewegen, so ist schon der Zweck<lb/>
erreicht, Oesterreich zur Theilung seiner Kräfte zu zwingen. Während<lb/>
es mit der einen, größer« Hälfte gegen Nußland kämpfte, würde es<lb/>
mit der andern, wenn auch kleinern Preußens Parteilosigkeit, in<lb/>
die es alsdann kein zu großes Vertrauen setzen dürfte, überwachen<lb/>
müssen. Glückt der russischen Diplomatie aber der Meisterstreich, an<lb/>
Preußen einen thätigen Bundesgenossen zu gewinnen, es alt Oester¬<lb/>
reich in einen Waffentanz zu verwickeln und somit den Kampf um die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0256] fähig sein möchte (der Champagnergeist der Franzosen entbehrt dieser nachhaltigen Kraft, weshalb der Selbstherrscher aller Reußen den franzö¬ sischen Geist auch lange nicht so sehr wie den deutschen haßt), unter einem in Barbarei und Thierheit so völlig versunkenen, geistig so ver¬ kümmerten Volke, wie das russische, fruchtbare Keime der Civilisation auszustreuen, ihm Begriffe von Menschenwürde und von Menschenrechten einzuflößen. Der Czar fürchtet ferner, Preußen möchte dereinst seine glorreiche Mission begreifen lernen, die Sympathien umfassend benutzen, welche in den russischen, weiland deutschen Ostseeprovinzen für den stamm- und glaubensverwandten Staat schlummern. Darum werden dort so enorme Anstrengungen gemacht, um den Protestantismus auszurotten, um mit ihm die wirksamste Handhabe zu vernichten, deren der gefähr¬ liche Nachbar dort einst sich bedienen könnte; darum finden alle staat¬ lichen Verbesserungen, durch welche Preußen seine innere Einheit wie seine Nationalkraft und damit seine Macht nach Außen erhöhen, sowie seine Verbindung mit dem übrigen Deutschland noch fester schürzen kann, in Nußland den entschiedensten Widersacher. Und doch hält dieses gegen Preußen die Maske der Freundschaft vor, die wahre Gesinnung bricht freilich mitunter sehr deutlich durch, — muß sie vorhalten, weil es für den Czarenstaat von unendlichem Werthe ist, bei der einstigen Lösung der ihm so überaus wichtigen orientalischen Frage sich Preußens zu versichern, es in das Schlepptau seiner Politik zu nehmen. Die Bundesgenossenschaft dieses Staates ist sür den Fall des Eintrittes der Katastrophe im Oriente von großer, ich möchte sagen von entscheidender Bedeutung, wegen der Hindernisse, die er der freien Bewegung Oesterreichs wie Rußlands in der Türkei zu bereiten ver¬ mag. Beiden Mächten ist diese nur dann möglich, wenn sie ihren Rücken gedeckt, also von Preußen nichts zu besorgen haben. Es läßt sich daher voraussehen, daß dessen Freundschaft von diesen Beiden für den in Rede stehenden Fall sehr eifrig nachgesucht werden wird, am eifrigsten aber unstreitig vom Czaren. Gelingt es demselben auch nur, Preußen zur bewaffneten Neutralität zu bewegen, so ist schon der Zweck erreicht, Oesterreich zur Theilung seiner Kräfte zu zwingen. Während es mit der einen, größer« Hälfte gegen Nußland kämpfte, würde es mit der andern, wenn auch kleinern Preußens Parteilosigkeit, in die es alsdann kein zu großes Vertrauen setzen dürfte, überwachen müssen. Glückt der russischen Diplomatie aber der Meisterstreich, an Preußen einen thätigen Bundesgenossen zu gewinnen, es alt Oester¬ reich in einen Waffentanz zu verwickeln und somit den Kampf um die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/256
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/256>, abgerufen am 23.07.2024.