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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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der Vertreter des Volks, die in ernster Berathung über das Wohl
desselben versammelt waren, erinnert wurden.

Was in der badischen Kammer angenehm auffällt, ist die rege
Theilnahme, mit der fast beständig alle Abgeordneten den einzelnen
Reden wie dem ganzen Gang der Verhandlung folgen, wahrend in
der bairischen oft die Hälfte theilnahmslos vor sich hinstarrt und mit
ganz andern Gegenständen beschäftigt ist. Auch die Zuschauer folgen
in Baden der Verhandlung mit ganz anderer Aufmerksamkeit wie in
Baiern und nehmen viel regeres Interesse daran. Die nur geringen Platz
gewährenden Zuschauer-Tribünen in München sind größtentheils blos
von fremden Studenten, ZeitungSreferenten und einzelnen Leuten der
höhern Stände besetzt lind auch dies nur bei besonders wichtigen Fragen,
z. B. bei der Willich'schen Reclamatwn, der Klage über Bedrückung
der Protestanten, der Vermehrung der Klöster n. s. w,, sonst aber in
der Regel nur leer. In Baden aber, wo die Tribünen gewiß zwei¬
mal so viel Mensehen wie die zu München fassen, sind dieselben stets
drückend voll mit Personen aus allen Ständen angefüllt und die Zu¬
hörer stehen oft Stunden lang auf den Gängen, um nur etwas von
den Debatte": zu hören. Und doch hat Karlsruhe nur 24,öl)l) und
München I0et,0l)0 Einwohner, das ganze Großherzogthum Baden nur
1,20l),vttV, Baiern aber 4,20"M0 Einwohner. Aber den Münchner
Bürger interessirt auch Alles mehr wie grade die Ständeversammlung,
und würde man ihm das Maas Bier um einen Pfennig wohlfeiler
verkaufen, könnte seinetwegen die ganze Constimtion aufgehoben wer¬
den. Da ist es ganz' anders in Baden, da nimmt das Volk selbst
Antheil an den Kämpfen im Ständesaal und zeigt auf jede Weise,
wie sehr die ganze constitutionelle Freiheit schon bis in sein Innerstes
gedrungen ist.

Der Standpunkt, auf dem die Oppositionspartei beider Kammern
sich befindet, ist ein sehr verschiedener. Mit Ausnahme von 10 bis 12
Mitgliedern, größtentheils Rheinbaiern, ein Land, das entschieden die
lebendigsten, regsamsten Deputirten sendet, ist der übrige Theil der
bairischen Opposition auf dem letzten Landtage von der Gesinnung, die
man in Baden conservativ nennen würde. Er opponire nur gegen das
Reactions-Princip deö Herrn von Abel, was dieser um jeden Preis
in Allem durchführen will, er will nur diesen, dem er alles Unheil zu¬
schreibt, von seinem Platze stürzen, im Uebrigen ist er ganz zufrieden,
wenn die Sachen nur nicht schlimmer werden, wie sie vor einigen Jah¬
ren waren, an dem Fortschritt, wie ihn die badische Opposition oft


der Vertreter des Volks, die in ernster Berathung über das Wohl
desselben versammelt waren, erinnert wurden.

Was in der badischen Kammer angenehm auffällt, ist die rege
Theilnahme, mit der fast beständig alle Abgeordneten den einzelnen
Reden wie dem ganzen Gang der Verhandlung folgen, wahrend in
der bairischen oft die Hälfte theilnahmslos vor sich hinstarrt und mit
ganz andern Gegenständen beschäftigt ist. Auch die Zuschauer folgen
in Baden der Verhandlung mit ganz anderer Aufmerksamkeit wie in
Baiern und nehmen viel regeres Interesse daran. Die nur geringen Platz
gewährenden Zuschauer-Tribünen in München sind größtentheils blos
von fremden Studenten, ZeitungSreferenten und einzelnen Leuten der
höhern Stände besetzt lind auch dies nur bei besonders wichtigen Fragen,
z. B. bei der Willich'schen Reclamatwn, der Klage über Bedrückung
der Protestanten, der Vermehrung der Klöster n. s. w,, sonst aber in
der Regel nur leer. In Baden aber, wo die Tribünen gewiß zwei¬
mal so viel Mensehen wie die zu München fassen, sind dieselben stets
drückend voll mit Personen aus allen Ständen angefüllt und die Zu¬
hörer stehen oft Stunden lang auf den Gängen, um nur etwas von
den Debatte«: zu hören. Und doch hat Karlsruhe nur 24,öl)l) und
München I0et,0l)0 Einwohner, das ganze Großherzogthum Baden nur
1,20l),vttV, Baiern aber 4,20»M0 Einwohner. Aber den Münchner
Bürger interessirt auch Alles mehr wie grade die Ständeversammlung,
und würde man ihm das Maas Bier um einen Pfennig wohlfeiler
verkaufen, könnte seinetwegen die ganze Constimtion aufgehoben wer¬
den. Da ist es ganz' anders in Baden, da nimmt das Volk selbst
Antheil an den Kämpfen im Ständesaal und zeigt auf jede Weise,
wie sehr die ganze constitutionelle Freiheit schon bis in sein Innerstes
gedrungen ist.

Der Standpunkt, auf dem die Oppositionspartei beider Kammern
sich befindet, ist ein sehr verschiedener. Mit Ausnahme von 10 bis 12
Mitgliedern, größtentheils Rheinbaiern, ein Land, das entschieden die
lebendigsten, regsamsten Deputirten sendet, ist der übrige Theil der
bairischen Opposition auf dem letzten Landtage von der Gesinnung, die
man in Baden conservativ nennen würde. Er opponire nur gegen das
Reactions-Princip deö Herrn von Abel, was dieser um jeden Preis
in Allem durchführen will, er will nur diesen, dem er alles Unheil zu¬
schreibt, von seinem Platze stürzen, im Uebrigen ist er ganz zufrieden,
wenn die Sachen nur nicht schlimmer werden, wie sie vor einigen Jah¬
ren waren, an dem Fortschritt, wie ihn die badische Opposition oft


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[0234] der Vertreter des Volks, die in ernster Berathung über das Wohl desselben versammelt waren, erinnert wurden. Was in der badischen Kammer angenehm auffällt, ist die rege Theilnahme, mit der fast beständig alle Abgeordneten den einzelnen Reden wie dem ganzen Gang der Verhandlung folgen, wahrend in der bairischen oft die Hälfte theilnahmslos vor sich hinstarrt und mit ganz andern Gegenständen beschäftigt ist. Auch die Zuschauer folgen in Baden der Verhandlung mit ganz anderer Aufmerksamkeit wie in Baiern und nehmen viel regeres Interesse daran. Die nur geringen Platz gewährenden Zuschauer-Tribünen in München sind größtentheils blos von fremden Studenten, ZeitungSreferenten und einzelnen Leuten der höhern Stände besetzt lind auch dies nur bei besonders wichtigen Fragen, z. B. bei der Willich'schen Reclamatwn, der Klage über Bedrückung der Protestanten, der Vermehrung der Klöster n. s. w,, sonst aber in der Regel nur leer. In Baden aber, wo die Tribünen gewiß zwei¬ mal so viel Mensehen wie die zu München fassen, sind dieselben stets drückend voll mit Personen aus allen Ständen angefüllt und die Zu¬ hörer stehen oft Stunden lang auf den Gängen, um nur etwas von den Debatte«: zu hören. Und doch hat Karlsruhe nur 24,öl)l) und München I0et,0l)0 Einwohner, das ganze Großherzogthum Baden nur 1,20l),vttV, Baiern aber 4,20»M0 Einwohner. Aber den Münchner Bürger interessirt auch Alles mehr wie grade die Ständeversammlung, und würde man ihm das Maas Bier um einen Pfennig wohlfeiler verkaufen, könnte seinetwegen die ganze Constimtion aufgehoben wer¬ den. Da ist es ganz' anders in Baden, da nimmt das Volk selbst Antheil an den Kämpfen im Ständesaal und zeigt auf jede Weise, wie sehr die ganze constitutionelle Freiheit schon bis in sein Innerstes gedrungen ist. Der Standpunkt, auf dem die Oppositionspartei beider Kammern sich befindet, ist ein sehr verschiedener. Mit Ausnahme von 10 bis 12 Mitgliedern, größtentheils Rheinbaiern, ein Land, das entschieden die lebendigsten, regsamsten Deputirten sendet, ist der übrige Theil der bairischen Opposition auf dem letzten Landtage von der Gesinnung, die man in Baden conservativ nennen würde. Er opponire nur gegen das Reactions-Princip deö Herrn von Abel, was dieser um jeden Preis in Allem durchführen will, er will nur diesen, dem er alles Unheil zu¬ schreibt, von seinem Platze stürzen, im Uebrigen ist er ganz zufrieden, wenn die Sachen nur nicht schlimmer werden, wie sie vor einigen Jah¬ ren waren, an dem Fortschritt, wie ihn die badische Opposition oft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/234>, abgerufen am 26.08.2024.