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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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übrigen bairischen Provinzen ist dies entschieden nicht der Fall. Da nun,
wie vorhin bemerkt, auch das nicht an Stand und Ort gebundene
Wahlsystem dort die Intelligenz vorzugsweise begünstigt, so steht in
ihrer Gesammtheit die badtsche Kammer auf einer weit höheren geisti¬
gen Stufe wie die bairische. Nicht daß es dieser an in jeder Weise
ausgezeichneten Männern fehlte, man wird deren unter den 130 bai-
rischen Deputirten ebensoviel, aber -- auch nicht mehr, wie unter den
to badischen herausfinden können. Wir bekennen offen, daß wir
in der bairischen Kammer einige bessere Redner gefunden haben, wie
in der hierin so berühmten ganzen badischen, dennoch stehen sie in ersterer
vereinzelter da, wie in letzterer. Der Geschäftsgang in der badischen
Kammer ist viel rascher, die Diskussionen sind dort viel lebendiger.
Es werden daselbst nicht so lange, vorher zu Hause ausgearbeitete Re¬
den gehalten, es wird freier, gleich vom Augenblick eingegeben gespro¬
chen. Die ganze Kammer kommt darin der französischen Depntirten-
Kammer, von deren Einrichtungen sie bekanntlich Manches entlehnt
hat, viel näher.

Zudem finden auch in Karlsruhe nicht die oft endlosen Wiederholun-
gen derselben Dinge, wie es in München so ost geschieht, statt. Die förmlich
ausgebildete Oppositionspartei Badens macht vorher einen festen Feldzugs-
plan für die einzelnen wichtigern Sitzungen und vertheilt die Rollen an die
einzelnen Streiter. Jeder Redner hebt daher einen besondern Grund
in seiner Rede vorzugsweise hervor, greift auf einem verschiedenen Ter¬
rain wie fein Vorgänger oder Nachfolger an, da ihm schon vor der
Sitzung bekannt war, was dieser in der Hauptsache sprechen würde,
und er sich also danach hat einrichten können. In München geschieht
vies nicht, da es keine förmlich organisirte Oppositionspartei dort gibt
und die einzelnen Redner außer den Rheinbaiern und einigen wenigen
Andern, die sich vorher besprechen, außerhalb den Kammern fast nie
mit einander verkehren. So arbeitet Jeder, unbekannt mit der Absicht
des Andern, seine Rede zu Hause aus, und ist dies geschehen, so er¬
laubt es die liebe Eitelkeit nicht anders, sie muß auch vorgetragen
werden, gleichviel ob schon 5--6 Vorgänger in mehr oder weniger gu¬
ten Worten ganz dasselbe gesagt haben. Dadurch ereignet es sich häu¬
fig, daß oft ein Dutzend Redner in München nacheinander aufgetreten,
die mit mehr oder weniger Geist und mehr oder weniger Rhetorik,
ganz dasselbe sagen, und so der Kammer nur unnöthige Zeit rauben.
Diese Nichtachtung der Zeit ist überhaupt in München recht zu Hause,
es gibt da Redner, z. B. Banquier Schätzler aus A"gsburg, Prost


übrigen bairischen Provinzen ist dies entschieden nicht der Fall. Da nun,
wie vorhin bemerkt, auch das nicht an Stand und Ort gebundene
Wahlsystem dort die Intelligenz vorzugsweise begünstigt, so steht in
ihrer Gesammtheit die badtsche Kammer auf einer weit höheren geisti¬
gen Stufe wie die bairische. Nicht daß es dieser an in jeder Weise
ausgezeichneten Männern fehlte, man wird deren unter den 130 bai-
rischen Deputirten ebensoviel, aber — auch nicht mehr, wie unter den
to badischen herausfinden können. Wir bekennen offen, daß wir
in der bairischen Kammer einige bessere Redner gefunden haben, wie
in der hierin so berühmten ganzen badischen, dennoch stehen sie in ersterer
vereinzelter da, wie in letzterer. Der Geschäftsgang in der badischen
Kammer ist viel rascher, die Diskussionen sind dort viel lebendiger.
Es werden daselbst nicht so lange, vorher zu Hause ausgearbeitete Re¬
den gehalten, es wird freier, gleich vom Augenblick eingegeben gespro¬
chen. Die ganze Kammer kommt darin der französischen Depntirten-
Kammer, von deren Einrichtungen sie bekanntlich Manches entlehnt
hat, viel näher.

Zudem finden auch in Karlsruhe nicht die oft endlosen Wiederholun-
gen derselben Dinge, wie es in München so ost geschieht, statt. Die förmlich
ausgebildete Oppositionspartei Badens macht vorher einen festen Feldzugs-
plan für die einzelnen wichtigern Sitzungen und vertheilt die Rollen an die
einzelnen Streiter. Jeder Redner hebt daher einen besondern Grund
in seiner Rede vorzugsweise hervor, greift auf einem verschiedenen Ter¬
rain wie fein Vorgänger oder Nachfolger an, da ihm schon vor der
Sitzung bekannt war, was dieser in der Hauptsache sprechen würde,
und er sich also danach hat einrichten können. In München geschieht
vies nicht, da es keine förmlich organisirte Oppositionspartei dort gibt
und die einzelnen Redner außer den Rheinbaiern und einigen wenigen
Andern, die sich vorher besprechen, außerhalb den Kammern fast nie
mit einander verkehren. So arbeitet Jeder, unbekannt mit der Absicht
des Andern, seine Rede zu Hause aus, und ist dies geschehen, so er¬
laubt es die liebe Eitelkeit nicht anders, sie muß auch vorgetragen
werden, gleichviel ob schon 5—6 Vorgänger in mehr oder weniger gu¬
ten Worten ganz dasselbe gesagt haben. Dadurch ereignet es sich häu¬
fig, daß oft ein Dutzend Redner in München nacheinander aufgetreten,
die mit mehr oder weniger Geist und mehr oder weniger Rhetorik,
ganz dasselbe sagen, und so der Kammer nur unnöthige Zeit rauben.
Diese Nichtachtung der Zeit ist überhaupt in München recht zu Hause,
es gibt da Redner, z. B. Banquier Schätzler aus A"gsburg, Prost


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[0232] übrigen bairischen Provinzen ist dies entschieden nicht der Fall. Da nun, wie vorhin bemerkt, auch das nicht an Stand und Ort gebundene Wahlsystem dort die Intelligenz vorzugsweise begünstigt, so steht in ihrer Gesammtheit die badtsche Kammer auf einer weit höheren geisti¬ gen Stufe wie die bairische. Nicht daß es dieser an in jeder Weise ausgezeichneten Männern fehlte, man wird deren unter den 130 bai- rischen Deputirten ebensoviel, aber — auch nicht mehr, wie unter den to badischen herausfinden können. Wir bekennen offen, daß wir in der bairischen Kammer einige bessere Redner gefunden haben, wie in der hierin so berühmten ganzen badischen, dennoch stehen sie in ersterer vereinzelter da, wie in letzterer. Der Geschäftsgang in der badischen Kammer ist viel rascher, die Diskussionen sind dort viel lebendiger. Es werden daselbst nicht so lange, vorher zu Hause ausgearbeitete Re¬ den gehalten, es wird freier, gleich vom Augenblick eingegeben gespro¬ chen. Die ganze Kammer kommt darin der französischen Depntirten- Kammer, von deren Einrichtungen sie bekanntlich Manches entlehnt hat, viel näher. Zudem finden auch in Karlsruhe nicht die oft endlosen Wiederholun- gen derselben Dinge, wie es in München so ost geschieht, statt. Die förmlich ausgebildete Oppositionspartei Badens macht vorher einen festen Feldzugs- plan für die einzelnen wichtigern Sitzungen und vertheilt die Rollen an die einzelnen Streiter. Jeder Redner hebt daher einen besondern Grund in seiner Rede vorzugsweise hervor, greift auf einem verschiedenen Ter¬ rain wie fein Vorgänger oder Nachfolger an, da ihm schon vor der Sitzung bekannt war, was dieser in der Hauptsache sprechen würde, und er sich also danach hat einrichten können. In München geschieht vies nicht, da es keine förmlich organisirte Oppositionspartei dort gibt und die einzelnen Redner außer den Rheinbaiern und einigen wenigen Andern, die sich vorher besprechen, außerhalb den Kammern fast nie mit einander verkehren. So arbeitet Jeder, unbekannt mit der Absicht des Andern, seine Rede zu Hause aus, und ist dies geschehen, so er¬ laubt es die liebe Eitelkeit nicht anders, sie muß auch vorgetragen werden, gleichviel ob schon 5—6 Vorgänger in mehr oder weniger gu¬ ten Worten ganz dasselbe gesagt haben. Dadurch ereignet es sich häu¬ fig, daß oft ein Dutzend Redner in München nacheinander aufgetreten, die mit mehr oder weniger Geist und mehr oder weniger Rhetorik, ganz dasselbe sagen, und so der Kammer nur unnöthige Zeit rauben. Diese Nichtachtung der Zeit ist überhaupt in München recht zu Hause, es gibt da Redner, z. B. Banquier Schätzler aus A"gsburg, Prost

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/232>, abgerufen am 26.08.2024.