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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Griechenland, doch sollte er sich nicht lange auf dem classischen Boden
bewegen, den seine Phantasie so oft schon früher betreten hatte, als
sein Fuß. Die Septemberrevvlution war nämlich eben aus^ebrochen;
ein Deutscher konnte selbst mit Geringachtung der Lebensgefahr nicht
zum ruhigen Studium gelangen. So sehen wir ihn in einer seiner
edelsten Lebensfreuden nicht weniger, als in seinem heiligsten Beruf ge¬
stört und verkümmert.

Auf seine Bildung mochte wohl der gediegene Schreivogel nicht
ohne Einwirkung geblieben sein; ihm widmete er auch seine "Sappho,"
eine Huldigung, die ,' wie sie den Schüler ehrt, auch eine große für
den Meister ist, denn Grillparzer hat niemals, gleich Friedrich Halm
U.A., mit Widmungen wohlberechnete Ordens- und Titelspeculationen
getrieben und auch keines seiner übrigen Werke sonst Jemand zugeeig¬
net. Ueberhaupt bewahrte er oft eine eiserne Gesinnung und war es
ihm unmöglich, gegen manche Zustände und Personen positive Oppo¬
sition zu bilden, so hat er es doch negativ gethan, durch Verstummen,
wenn er nicht nach seiner Ueberzeugung sprechen konnte. Drum fand
er auch keinen Mäcen, wie er selbst nie einen gesucht hatte. Kein
König sandte ihm die wohlfeilen Auszeichnungen, die nur den Geber
geehrt hätten, die aber Grillparzer gewiß zurückgewiesen hätte. Kein
Orden verunziert seine ehrliche Brust, keines jener Bänder, mittelst deren
man heut zu Tage an ein großes Talent immer gerne einen kleinlichen
Charakter knüpfen möchte. Archivdirector ist er, nicht um einen Titel
zu tragen, sondern um leben zu können, denn das Hofburgtheater hat
ihm den verdienten Ehrensold immer' nur spärlich zugemessen. Wird
er aber von oben her gedrückt und vernachlässigt, wird ihm bei jeder
Gelegenheit der geschmeidige Aristokrat Friedrich Halm (Freiherr von
Münch-Bellinghausen) vorgezogen, so wenden ihm dafür seine StrebenS-
genossen und alle gesinnungstüchtigen Männer eine Verehrung zu, wie
sie noch keinem andern Dichter in Oesterreich geworden. Ein kleines
Zeichen dafür war das Festmahl, das ihm zu seinem 53. Geburtstage
veranstaltet wurde, das Album, welches ihm bei dieser Gelegenheit
überreicht wurde, und wenn auch nicht die Gesinnung Aller, die sich
darin einschrieben, unverfälschtes Gold ist, so ist es doch schon die größte
Ehrenbezeugung für Grillparzer, daß sich alle Wiener Schriftsteller ein¬
schreiben mußten, die eine tüchtige Gesinnung auch nur zur Schau
tragen wollten.

Uebersicht man sein ganzes literarisches Wirken, so glaubt man
in das Atelier eines großen Bildhauers zu blicken, in welchem ein


Griechenland, doch sollte er sich nicht lange auf dem classischen Boden
bewegen, den seine Phantasie so oft schon früher betreten hatte, als
sein Fuß. Die Septemberrevvlution war nämlich eben aus^ebrochen;
ein Deutscher konnte selbst mit Geringachtung der Lebensgefahr nicht
zum ruhigen Studium gelangen. So sehen wir ihn in einer seiner
edelsten Lebensfreuden nicht weniger, als in seinem heiligsten Beruf ge¬
stört und verkümmert.

Auf seine Bildung mochte wohl der gediegene Schreivogel nicht
ohne Einwirkung geblieben sein; ihm widmete er auch seine „Sappho,"
eine Huldigung, die ,' wie sie den Schüler ehrt, auch eine große für
den Meister ist, denn Grillparzer hat niemals, gleich Friedrich Halm
U.A., mit Widmungen wohlberechnete Ordens- und Titelspeculationen
getrieben und auch keines seiner übrigen Werke sonst Jemand zugeeig¬
net. Ueberhaupt bewahrte er oft eine eiserne Gesinnung und war es
ihm unmöglich, gegen manche Zustände und Personen positive Oppo¬
sition zu bilden, so hat er es doch negativ gethan, durch Verstummen,
wenn er nicht nach seiner Ueberzeugung sprechen konnte. Drum fand
er auch keinen Mäcen, wie er selbst nie einen gesucht hatte. Kein
König sandte ihm die wohlfeilen Auszeichnungen, die nur den Geber
geehrt hätten, die aber Grillparzer gewiß zurückgewiesen hätte. Kein
Orden verunziert seine ehrliche Brust, keines jener Bänder, mittelst deren
man heut zu Tage an ein großes Talent immer gerne einen kleinlichen
Charakter knüpfen möchte. Archivdirector ist er, nicht um einen Titel
zu tragen, sondern um leben zu können, denn das Hofburgtheater hat
ihm den verdienten Ehrensold immer' nur spärlich zugemessen. Wird
er aber von oben her gedrückt und vernachlässigt, wird ihm bei jeder
Gelegenheit der geschmeidige Aristokrat Friedrich Halm (Freiherr von
Münch-Bellinghausen) vorgezogen, so wenden ihm dafür seine StrebenS-
genossen und alle gesinnungstüchtigen Männer eine Verehrung zu, wie
sie noch keinem andern Dichter in Oesterreich geworden. Ein kleines
Zeichen dafür war das Festmahl, das ihm zu seinem 53. Geburtstage
veranstaltet wurde, das Album, welches ihm bei dieser Gelegenheit
überreicht wurde, und wenn auch nicht die Gesinnung Aller, die sich
darin einschrieben, unverfälschtes Gold ist, so ist es doch schon die größte
Ehrenbezeugung für Grillparzer, daß sich alle Wiener Schriftsteller ein¬
schreiben mußten, die eine tüchtige Gesinnung auch nur zur Schau
tragen wollten.

Uebersicht man sein ganzes literarisches Wirken, so glaubt man
in das Atelier eines großen Bildhauers zu blicken, in welchem ein


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[0193] Griechenland, doch sollte er sich nicht lange auf dem classischen Boden bewegen, den seine Phantasie so oft schon früher betreten hatte, als sein Fuß. Die Septemberrevvlution war nämlich eben aus^ebrochen; ein Deutscher konnte selbst mit Geringachtung der Lebensgefahr nicht zum ruhigen Studium gelangen. So sehen wir ihn in einer seiner edelsten Lebensfreuden nicht weniger, als in seinem heiligsten Beruf ge¬ stört und verkümmert. Auf seine Bildung mochte wohl der gediegene Schreivogel nicht ohne Einwirkung geblieben sein; ihm widmete er auch seine „Sappho," eine Huldigung, die ,' wie sie den Schüler ehrt, auch eine große für den Meister ist, denn Grillparzer hat niemals, gleich Friedrich Halm U.A., mit Widmungen wohlberechnete Ordens- und Titelspeculationen getrieben und auch keines seiner übrigen Werke sonst Jemand zugeeig¬ net. Ueberhaupt bewahrte er oft eine eiserne Gesinnung und war es ihm unmöglich, gegen manche Zustände und Personen positive Oppo¬ sition zu bilden, so hat er es doch negativ gethan, durch Verstummen, wenn er nicht nach seiner Ueberzeugung sprechen konnte. Drum fand er auch keinen Mäcen, wie er selbst nie einen gesucht hatte. Kein König sandte ihm die wohlfeilen Auszeichnungen, die nur den Geber geehrt hätten, die aber Grillparzer gewiß zurückgewiesen hätte. Kein Orden verunziert seine ehrliche Brust, keines jener Bänder, mittelst deren man heut zu Tage an ein großes Talent immer gerne einen kleinlichen Charakter knüpfen möchte. Archivdirector ist er, nicht um einen Titel zu tragen, sondern um leben zu können, denn das Hofburgtheater hat ihm den verdienten Ehrensold immer' nur spärlich zugemessen. Wird er aber von oben her gedrückt und vernachlässigt, wird ihm bei jeder Gelegenheit der geschmeidige Aristokrat Friedrich Halm (Freiherr von Münch-Bellinghausen) vorgezogen, so wenden ihm dafür seine StrebenS- genossen und alle gesinnungstüchtigen Männer eine Verehrung zu, wie sie noch keinem andern Dichter in Oesterreich geworden. Ein kleines Zeichen dafür war das Festmahl, das ihm zu seinem 53. Geburtstage veranstaltet wurde, das Album, welches ihm bei dieser Gelegenheit überreicht wurde, und wenn auch nicht die Gesinnung Aller, die sich darin einschrieben, unverfälschtes Gold ist, so ist es doch schon die größte Ehrenbezeugung für Grillparzer, daß sich alle Wiener Schriftsteller ein¬ schreiben mußten, die eine tüchtige Gesinnung auch nur zur Schau tragen wollten. Uebersicht man sein ganzes literarisches Wirken, so glaubt man in das Atelier eines großen Bildhauers zu blicken, in welchem ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/193>, abgerufen am 26.08.2024.