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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Gastein z. B., die das Taschenbuch Aglaja brachte, sind von gedanken¬
schwerer Innerlichkeit, die Frende darin mild und sanft, von jener fei¬
nen Sehleiertrübe umflossen, ohne welche auch der höchste Genuß nicht
in's Dichterherz einzieht, der Schmerz darin gesund und natürlich und
dennoch tief ergreifend. Wie sehr ist der Mangel an einer vollständi¬
gen Sammlung seiner lyrischen Gedichte zu bedauern! Sind sie viel¬
leicht in Lyrik gesetzte Dramen seines eignen Lebens, die er keusch ver¬
hüllt, die er nicht, wie jene Dramen, zu denen ihm die Welt den Stoff
gegeben, auch der Welt wieder überliefern kann?

In den Händen des ächten Dichters verwandelt sich, wie in denen
des mythischen Königs Alles zu Gold; er weiß auch den gewöhnlich¬
sten Dingen und Beziehungen eine glänzende Bedeutung mitzutheilen.
Der einst sehr berühmten schwäbischen Tänzerin, Therese Heberle, schrieb
Grillparzer folgende Zeilen:


"Freund Zlmor, sag'mir nur:
Seit wann bist du ein Schwäberle?
Ob Adelung auch bebe,
Statt Rose sagst du "Reseele"
Und "Heberle" statt Hebe."

An eine liebliche Dame Wiens, eine der geistig angeregtesten unter
den sonst geistigen Beziehungen nicht zugänglichen Frauen Wiens, richtete
Grillparzer die folgenden tiefsinnigen Worte:


"Des Weibes urerstem, tiefinnerstem Sein
Bleibt treu nur die Frau auf die Länge;
Sie wirkt, was sie wirkt durch sich selbst und allein,
Des Mannes Herr ist die -- Menge."

In Prosa schrieb er eine Novelle: "Das Kloster von Sendomir"
und einen Aufsatz über dramatische Kunst.

Von seinem äußern Leben ist wenig zu berichten und der Biograph
wäre bald fertig mit ihm. Er ist am 15. Jänner 1791 in Wien ge¬
boren und blieb ununterbrochen an den Staatsdienst gekettet. Eine
große Seele lebt sehr einsam in Wien, dem "Capua der Geister," wie
er selbst es nennt. An großen politischen Anregungen fehlt es, weil
es an einem öffentlichen Leben fehlt, diese muß sich der Wiener Poet
auf Reisen suchen. Reisen machte er denn auch und zwar, außer der
schon erwähnten nach Italien, auch nach England und Frankreich.
In Paris besuchte er Börne, der zu seinen ersten Lobrednern gehörte,
und, ihn mit den andern Dramatikern seiner Zeit vergleichend, begeistert
ausrief: Grillparzer ist ein Dichter! Im Jahre 1843 segelte er nach


Gastein z. B., die das Taschenbuch Aglaja brachte, sind von gedanken¬
schwerer Innerlichkeit, die Frende darin mild und sanft, von jener fei¬
nen Sehleiertrübe umflossen, ohne welche auch der höchste Genuß nicht
in's Dichterherz einzieht, der Schmerz darin gesund und natürlich und
dennoch tief ergreifend. Wie sehr ist der Mangel an einer vollständi¬
gen Sammlung seiner lyrischen Gedichte zu bedauern! Sind sie viel¬
leicht in Lyrik gesetzte Dramen seines eignen Lebens, die er keusch ver¬
hüllt, die er nicht, wie jene Dramen, zu denen ihm die Welt den Stoff
gegeben, auch der Welt wieder überliefern kann?

In den Händen des ächten Dichters verwandelt sich, wie in denen
des mythischen Königs Alles zu Gold; er weiß auch den gewöhnlich¬
sten Dingen und Beziehungen eine glänzende Bedeutung mitzutheilen.
Der einst sehr berühmten schwäbischen Tänzerin, Therese Heberle, schrieb
Grillparzer folgende Zeilen:


„Freund Zlmor, sag'mir nur:
Seit wann bist du ein Schwäberle?
Ob Adelung auch bebe,
Statt Rose sagst du „Reseele"
Und „Heberle" statt Hebe."

An eine liebliche Dame Wiens, eine der geistig angeregtesten unter
den sonst geistigen Beziehungen nicht zugänglichen Frauen Wiens, richtete
Grillparzer die folgenden tiefsinnigen Worte:


„Des Weibes urerstem, tiefinnerstem Sein
Bleibt treu nur die Frau auf die Länge;
Sie wirkt, was sie wirkt durch sich selbst und allein,
Des Mannes Herr ist die — Menge."

In Prosa schrieb er eine Novelle: „Das Kloster von Sendomir"
und einen Aufsatz über dramatische Kunst.

Von seinem äußern Leben ist wenig zu berichten und der Biograph
wäre bald fertig mit ihm. Er ist am 15. Jänner 1791 in Wien ge¬
boren und blieb ununterbrochen an den Staatsdienst gekettet. Eine
große Seele lebt sehr einsam in Wien, dem „Capua der Geister," wie
er selbst es nennt. An großen politischen Anregungen fehlt es, weil
es an einem öffentlichen Leben fehlt, diese muß sich der Wiener Poet
auf Reisen suchen. Reisen machte er denn auch und zwar, außer der
schon erwähnten nach Italien, auch nach England und Frankreich.
In Paris besuchte er Börne, der zu seinen ersten Lobrednern gehörte,
und, ihn mit den andern Dramatikern seiner Zeit vergleichend, begeistert
ausrief: Grillparzer ist ein Dichter! Im Jahre 1843 segelte er nach


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[0192] Gastein z. B., die das Taschenbuch Aglaja brachte, sind von gedanken¬ schwerer Innerlichkeit, die Frende darin mild und sanft, von jener fei¬ nen Sehleiertrübe umflossen, ohne welche auch der höchste Genuß nicht in's Dichterherz einzieht, der Schmerz darin gesund und natürlich und dennoch tief ergreifend. Wie sehr ist der Mangel an einer vollständi¬ gen Sammlung seiner lyrischen Gedichte zu bedauern! Sind sie viel¬ leicht in Lyrik gesetzte Dramen seines eignen Lebens, die er keusch ver¬ hüllt, die er nicht, wie jene Dramen, zu denen ihm die Welt den Stoff gegeben, auch der Welt wieder überliefern kann? In den Händen des ächten Dichters verwandelt sich, wie in denen des mythischen Königs Alles zu Gold; er weiß auch den gewöhnlich¬ sten Dingen und Beziehungen eine glänzende Bedeutung mitzutheilen. Der einst sehr berühmten schwäbischen Tänzerin, Therese Heberle, schrieb Grillparzer folgende Zeilen: „Freund Zlmor, sag'mir nur: Seit wann bist du ein Schwäberle? Ob Adelung auch bebe, Statt Rose sagst du „Reseele" Und „Heberle" statt Hebe." An eine liebliche Dame Wiens, eine der geistig angeregtesten unter den sonst geistigen Beziehungen nicht zugänglichen Frauen Wiens, richtete Grillparzer die folgenden tiefsinnigen Worte: „Des Weibes urerstem, tiefinnerstem Sein Bleibt treu nur die Frau auf die Länge; Sie wirkt, was sie wirkt durch sich selbst und allein, Des Mannes Herr ist die — Menge." In Prosa schrieb er eine Novelle: „Das Kloster von Sendomir" und einen Aufsatz über dramatische Kunst. Von seinem äußern Leben ist wenig zu berichten und der Biograph wäre bald fertig mit ihm. Er ist am 15. Jänner 1791 in Wien ge¬ boren und blieb ununterbrochen an den Staatsdienst gekettet. Eine große Seele lebt sehr einsam in Wien, dem „Capua der Geister," wie er selbst es nennt. An großen politischen Anregungen fehlt es, weil es an einem öffentlichen Leben fehlt, diese muß sich der Wiener Poet auf Reisen suchen. Reisen machte er denn auch und zwar, außer der schon erwähnten nach Italien, auch nach England und Frankreich. In Paris besuchte er Börne, der zu seinen ersten Lobrednern gehörte, und, ihn mit den andern Dramatikern seiner Zeit vergleichend, begeistert ausrief: Grillparzer ist ein Dichter! Im Jahre 1843 segelte er nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/192>, abgerufen am 26.08.2024.