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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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"Es dauert mich das junge Blut," sprach der Herzog mit wahrer
Regung, denn er war nicht unempfänglich für die Schönheit. "Es ist
schade um den frischen Burschen; aber wein," fügte er hinzu, sich um¬
blickend, "wem danke ich meine Rettung?"

Da bogen sich vor ihm die Zweige auseinander und majestätisch
drängte sich der verfolgte Hirsch durch die Gerten der Buchen. Mit
seinen klugen Augen betrachtete er eine kleine Weile die Gruppe auf
dem Felsengestrüppe, dann, als hätte er in ihnen seine Feinde erkannt,
war er mit einem Ruck nach Rechts entflogen und setzte in die dies¬
seitige Schlucht hinab.

Der Fürst stieß in das kleine, silberne Horn, das ihm zur Seite
hing, um die Jagd zu versammeln, und der Erste, der diesem Ruf ge¬
folgt schien, war der alte Robert. Athemlos stürzte er auf den Fürsten
zu, faßte seine Hand und mit Küssen sie bedeckend, rief er mit hastigen
Worten:

"Er hat Euch doch nicht verletzt, Durchlaucht? Nein, er hat es
nicht, ich sehe es an Eurer Durchlaucht lächelnder Miene. Ach, daß
mir altem Manne noch solches Glück im späten Alter begegnen muß,
meinem Fürsten das Leben zu retten! Und schaut nur, Durchlaucht, mit
demselben Dinge, was Ihr mir damals schenktet, als wir selbander den
Zwanzigender erlegt hatten. Nimmermehr hätte ich geglaubt, daß solch
ein Doppellauf so sicher tragen würde! Aber laßt doch schauen, wer
ist denn der freche Gotteslästerer? He, Mann! wenn du noch einen
Tropfen Blut in Dir hast, so sage, wer Du bist!"

Aber der Getroffne drückte sein Haupt nur tiefer in die blutigen
Kissen des Haidelbeerkrautes. Robert sprang auf ihn zu, riß den Ge-
fallnen gewaltsam empor und starrte ihm in's Gesicht, aber kaum hatte
er jene Züge wiedererkannt, da wurde es ihm eiskalt um's Herz und
errief: "Unglücklicher! Du? Du durch mich? OGott! warum mußtest
Du solchen Frevel begehen wollen?"

"Vater!" rief Mar mit sterbender Stimme, "Ich habe den Fluch
in Euer Haus gebracht. Als ich Eure reine Schwelle betrat, war der
Mord in meinem Herzen schon begangen. Meinem sterbenden Vater
gab ich den Schwur in das Jenseits hinüber, seinen Tod vergelten zu
wollen. Vater, vergeht mir, wenn Ihr könnt, und tröstet Marien!"

"Ihr kanntet den Unglücklichen?" fragte der Fürst theilnehmend
den im Schmerz Versunkenen.


„Es dauert mich das junge Blut," sprach der Herzog mit wahrer
Regung, denn er war nicht unempfänglich für die Schönheit. „Es ist
schade um den frischen Burschen; aber wein," fügte er hinzu, sich um¬
blickend, „wem danke ich meine Rettung?"

Da bogen sich vor ihm die Zweige auseinander und majestätisch
drängte sich der verfolgte Hirsch durch die Gerten der Buchen. Mit
seinen klugen Augen betrachtete er eine kleine Weile die Gruppe auf
dem Felsengestrüppe, dann, als hätte er in ihnen seine Feinde erkannt,
war er mit einem Ruck nach Rechts entflogen und setzte in die dies¬
seitige Schlucht hinab.

Der Fürst stieß in das kleine, silberne Horn, das ihm zur Seite
hing, um die Jagd zu versammeln, und der Erste, der diesem Ruf ge¬
folgt schien, war der alte Robert. Athemlos stürzte er auf den Fürsten
zu, faßte seine Hand und mit Küssen sie bedeckend, rief er mit hastigen
Worten:

„Er hat Euch doch nicht verletzt, Durchlaucht? Nein, er hat es
nicht, ich sehe es an Eurer Durchlaucht lächelnder Miene. Ach, daß
mir altem Manne noch solches Glück im späten Alter begegnen muß,
meinem Fürsten das Leben zu retten! Und schaut nur, Durchlaucht, mit
demselben Dinge, was Ihr mir damals schenktet, als wir selbander den
Zwanzigender erlegt hatten. Nimmermehr hätte ich geglaubt, daß solch
ein Doppellauf so sicher tragen würde! Aber laßt doch schauen, wer
ist denn der freche Gotteslästerer? He, Mann! wenn du noch einen
Tropfen Blut in Dir hast, so sage, wer Du bist!"

Aber der Getroffne drückte sein Haupt nur tiefer in die blutigen
Kissen des Haidelbeerkrautes. Robert sprang auf ihn zu, riß den Ge-
fallnen gewaltsam empor und starrte ihm in's Gesicht, aber kaum hatte
er jene Züge wiedererkannt, da wurde es ihm eiskalt um's Herz und
errief: „Unglücklicher! Du? Du durch mich? OGott! warum mußtest
Du solchen Frevel begehen wollen?"

„Vater!" rief Mar mit sterbender Stimme, „Ich habe den Fluch
in Euer Haus gebracht. Als ich Eure reine Schwelle betrat, war der
Mord in meinem Herzen schon begangen. Meinem sterbenden Vater
gab ich den Schwur in das Jenseits hinüber, seinen Tod vergelten zu
wollen. Vater, vergeht mir, wenn Ihr könnt, und tröstet Marien!"

„Ihr kanntet den Unglücklichen?" fragte der Fürst theilnehmend
den im Schmerz Versunkenen.


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[0171] „Es dauert mich das junge Blut," sprach der Herzog mit wahrer Regung, denn er war nicht unempfänglich für die Schönheit. „Es ist schade um den frischen Burschen; aber wein," fügte er hinzu, sich um¬ blickend, „wem danke ich meine Rettung?" Da bogen sich vor ihm die Zweige auseinander und majestätisch drängte sich der verfolgte Hirsch durch die Gerten der Buchen. Mit seinen klugen Augen betrachtete er eine kleine Weile die Gruppe auf dem Felsengestrüppe, dann, als hätte er in ihnen seine Feinde erkannt, war er mit einem Ruck nach Rechts entflogen und setzte in die dies¬ seitige Schlucht hinab. Der Fürst stieß in das kleine, silberne Horn, das ihm zur Seite hing, um die Jagd zu versammeln, und der Erste, der diesem Ruf ge¬ folgt schien, war der alte Robert. Athemlos stürzte er auf den Fürsten zu, faßte seine Hand und mit Küssen sie bedeckend, rief er mit hastigen Worten: „Er hat Euch doch nicht verletzt, Durchlaucht? Nein, er hat es nicht, ich sehe es an Eurer Durchlaucht lächelnder Miene. Ach, daß mir altem Manne noch solches Glück im späten Alter begegnen muß, meinem Fürsten das Leben zu retten! Und schaut nur, Durchlaucht, mit demselben Dinge, was Ihr mir damals schenktet, als wir selbander den Zwanzigender erlegt hatten. Nimmermehr hätte ich geglaubt, daß solch ein Doppellauf so sicher tragen würde! Aber laßt doch schauen, wer ist denn der freche Gotteslästerer? He, Mann! wenn du noch einen Tropfen Blut in Dir hast, so sage, wer Du bist!" Aber der Getroffne drückte sein Haupt nur tiefer in die blutigen Kissen des Haidelbeerkrautes. Robert sprang auf ihn zu, riß den Ge- fallnen gewaltsam empor und starrte ihm in's Gesicht, aber kaum hatte er jene Züge wiedererkannt, da wurde es ihm eiskalt um's Herz und errief: „Unglücklicher! Du? Du durch mich? OGott! warum mußtest Du solchen Frevel begehen wollen?" „Vater!" rief Mar mit sterbender Stimme, „Ich habe den Fluch in Euer Haus gebracht. Als ich Eure reine Schwelle betrat, war der Mord in meinem Herzen schon begangen. Meinem sterbenden Vater gab ich den Schwur in das Jenseits hinüber, seinen Tod vergelten zu wollen. Vater, vergeht mir, wenn Ihr könnt, und tröstet Marien!" „Ihr kanntet den Unglücklichen?" fragte der Fürst theilnehmend den im Schmerz Versunkenen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/171>, abgerufen am 26.08.2024.