Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Aber wer sollte es gewesen sein?" fragte Robert weiter.

"Ja wer?" erwiderte der vorige Sprecher, "Einige von den Trei¬
bern, die in der Haide übernachtet haben, haben einen Mann in grauem
Kittel, die Flinte im Arm, draußen in der Dämmerung herumschleichen
sehen, sie hielten ihn für den Geist des Granschützen, des berüchtigten
Wilddiebes, schlugen ein Kreuz und ließen ihn vorüber."

"Alberne Possen!" rief Robert noch ärgerlicher, als vorher, "ich
hätte ihn anrufen, und ein Wort mit ihm reden wollen! Aber sprecht
doch, weiß der Herzog schon um das Geschehene?

"Noch nicht", antwortete der alte Jäger, "aber seht, da kommt
schon der Bote wieder, den wir weggeschickt. Nun Freund", wandte
er sich an den Bauer, der eben athemlos bei der Gruppe anlangte.
"Nun Freund, können wir auf den Zehnender noch rechnen oder nicht?"

"Allerdings", scherzte der Bote, "der Zehnender hatte noch einige
Kleinigkeiten in den herzoglichen Landen zu besorgen, und schob des-
halb seine Abreise aus."

Jetzt wurde wieder Jubel unter den Jägersleuten, und man
schickte sogleich auf's Schloß, dein Herzog anzuzeigen, daß Alles ihn
erwarte.

Eine halbe Stunde später langte die Savalcade der hohen Herren
und Damen im Thale an, und ein kräftiges Hurrah der Jägersleute
begrüßte ihren fürstlichen Kameraden. Es war ein herrlicher frischer
Morgen. Die Tiefe des Thales lag noch in Schatten, denn die Sonne
stand noch nicht hoch über dem Horizont, der Erdboden aber dampfte
und trocknete das nasse Laub. Dichte Nebelstreifen zogen aus den
Gebüschen, verhüllten auf Augenblicke die Wipfel der Eichen und wur¬
den verzehrt, sowie der erste Strahl der Sonne sie traf. Eine Schaar
Singvogel begrüßte den Zug mit ihrem einfachen, herbstlichen Zwit¬
schern. Aufgescheucht flogen sie davon, setzten sich in gemessener Ent¬
fernung wieder in die Zweige und warteten so lange, bis das Stam¬
pfen der Rosse sie wieder vertrieb, es schien, als könnten sie sich nicht
sattsehen an den Herren und Damen in strahlendem Putze. Herzog
Michael war ein schöner kräftiger Mann, mit feurigem Auge und einer
vollen, Jugendlust verrathenden Stimme. Ihm zur Seite ritt die Gräfin
Amalie von Weißenthorn, eine junge Witwe, von junonischem Körper¬
bau und geistreichen, kecken Gesichtszügen. Der Herzog war noch un-
verheirathet, die Gräfin ihrer Schönheit wegen berühmt und besungen
in deutschen Landen, sie war von hohem Adel und dem Fürsten eben-


22-i-

„Aber wer sollte es gewesen sein?" fragte Robert weiter.

„Ja wer?" erwiderte der vorige Sprecher, „Einige von den Trei¬
bern, die in der Haide übernachtet haben, haben einen Mann in grauem
Kittel, die Flinte im Arm, draußen in der Dämmerung herumschleichen
sehen, sie hielten ihn für den Geist des Granschützen, des berüchtigten
Wilddiebes, schlugen ein Kreuz und ließen ihn vorüber."

„Alberne Possen!" rief Robert noch ärgerlicher, als vorher, „ich
hätte ihn anrufen, und ein Wort mit ihm reden wollen! Aber sprecht
doch, weiß der Herzog schon um das Geschehene?

„Noch nicht", antwortete der alte Jäger, „aber seht, da kommt
schon der Bote wieder, den wir weggeschickt. Nun Freund", wandte
er sich an den Bauer, der eben athemlos bei der Gruppe anlangte.
„Nun Freund, können wir auf den Zehnender noch rechnen oder nicht?"

„Allerdings", scherzte der Bote, „der Zehnender hatte noch einige
Kleinigkeiten in den herzoglichen Landen zu besorgen, und schob des-
halb seine Abreise aus."

Jetzt wurde wieder Jubel unter den Jägersleuten, und man
schickte sogleich auf's Schloß, dein Herzog anzuzeigen, daß Alles ihn
erwarte.

Eine halbe Stunde später langte die Savalcade der hohen Herren
und Damen im Thale an, und ein kräftiges Hurrah der Jägersleute
begrüßte ihren fürstlichen Kameraden. Es war ein herrlicher frischer
Morgen. Die Tiefe des Thales lag noch in Schatten, denn die Sonne
stand noch nicht hoch über dem Horizont, der Erdboden aber dampfte
und trocknete das nasse Laub. Dichte Nebelstreifen zogen aus den
Gebüschen, verhüllten auf Augenblicke die Wipfel der Eichen und wur¬
den verzehrt, sowie der erste Strahl der Sonne sie traf. Eine Schaar
Singvogel begrüßte den Zug mit ihrem einfachen, herbstlichen Zwit¬
schern. Aufgescheucht flogen sie davon, setzten sich in gemessener Ent¬
fernung wieder in die Zweige und warteten so lange, bis das Stam¬
pfen der Rosse sie wieder vertrieb, es schien, als könnten sie sich nicht
sattsehen an den Herren und Damen in strahlendem Putze. Herzog
Michael war ein schöner kräftiger Mann, mit feurigem Auge und einer
vollen, Jugendlust verrathenden Stimme. Ihm zur Seite ritt die Gräfin
Amalie von Weißenthorn, eine junge Witwe, von junonischem Körper¬
bau und geistreichen, kecken Gesichtszügen. Der Herzog war noch un-
verheirathet, die Gräfin ihrer Schönheit wegen berühmt und besungen
in deutschen Landen, sie war von hohem Adel und dem Fürsten eben-


22-i-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0167" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183749"/>
            <p xml:id="ID_451"> &#x201E;Aber wer sollte es gewesen sein?" fragte Robert weiter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_452"> &#x201E;Ja wer?" erwiderte der vorige Sprecher, &#x201E;Einige von den Trei¬<lb/>
bern, die in der Haide übernachtet haben, haben einen Mann in grauem<lb/>
Kittel, die Flinte im Arm, draußen in der Dämmerung herumschleichen<lb/>
sehen, sie hielten ihn für den Geist des Granschützen, des berüchtigten<lb/>
Wilddiebes, schlugen ein Kreuz und ließen ihn vorüber."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_453"> &#x201E;Alberne Possen!" rief Robert noch ärgerlicher, als vorher, &#x201E;ich<lb/>
hätte ihn anrufen, und ein Wort mit ihm reden wollen! Aber sprecht<lb/>
doch, weiß der Herzog schon um das Geschehene?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_454"> &#x201E;Noch nicht", antwortete der alte Jäger, &#x201E;aber seht, da kommt<lb/>
schon der Bote wieder, den wir weggeschickt. Nun Freund", wandte<lb/>
er sich an den Bauer, der eben athemlos bei der Gruppe anlangte.<lb/>
&#x201E;Nun Freund, können wir auf den Zehnender noch rechnen oder nicht?"</p><lb/>
            <p xml:id="ID_455"> &#x201E;Allerdings", scherzte der Bote, &#x201E;der Zehnender hatte noch einige<lb/>
Kleinigkeiten in den herzoglichen Landen zu besorgen, und schob des-<lb/>
halb seine Abreise aus."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_456"> Jetzt wurde wieder Jubel unter den Jägersleuten, und man<lb/>
schickte sogleich auf's Schloß, dein Herzog anzuzeigen, daß Alles ihn<lb/>
erwarte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_457" next="#ID_458"> Eine halbe Stunde später langte die Savalcade der hohen Herren<lb/>
und Damen im Thale an, und ein kräftiges Hurrah der Jägersleute<lb/>
begrüßte ihren fürstlichen Kameraden. Es war ein herrlicher frischer<lb/>
Morgen. Die Tiefe des Thales lag noch in Schatten, denn die Sonne<lb/>
stand noch nicht hoch über dem Horizont, der Erdboden aber dampfte<lb/>
und trocknete das nasse Laub. Dichte Nebelstreifen zogen aus den<lb/>
Gebüschen, verhüllten auf Augenblicke die Wipfel der Eichen und wur¬<lb/>
den verzehrt, sowie der erste Strahl der Sonne sie traf. Eine Schaar<lb/>
Singvogel begrüßte den Zug mit ihrem einfachen, herbstlichen Zwit¬<lb/>
schern. Aufgescheucht flogen sie davon, setzten sich in gemessener Ent¬<lb/>
fernung wieder in die Zweige und warteten so lange, bis das Stam¬<lb/>
pfen der Rosse sie wieder vertrieb, es schien, als könnten sie sich nicht<lb/>
sattsehen an den Herren und Damen in strahlendem Putze. Herzog<lb/>
Michael war ein schöner kräftiger Mann, mit feurigem Auge und einer<lb/>
vollen, Jugendlust verrathenden Stimme. Ihm zur Seite ritt die Gräfin<lb/>
Amalie von Weißenthorn, eine junge Witwe, von junonischem Körper¬<lb/>
bau und geistreichen, kecken Gesichtszügen. Der Herzog war noch un-<lb/>
verheirathet, die Gräfin ihrer Schönheit wegen berühmt und besungen<lb/>
in deutschen Landen, sie war von hohem Adel und dem Fürsten eben-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 22-i-</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0167] „Aber wer sollte es gewesen sein?" fragte Robert weiter. „Ja wer?" erwiderte der vorige Sprecher, „Einige von den Trei¬ bern, die in der Haide übernachtet haben, haben einen Mann in grauem Kittel, die Flinte im Arm, draußen in der Dämmerung herumschleichen sehen, sie hielten ihn für den Geist des Granschützen, des berüchtigten Wilddiebes, schlugen ein Kreuz und ließen ihn vorüber." „Alberne Possen!" rief Robert noch ärgerlicher, als vorher, „ich hätte ihn anrufen, und ein Wort mit ihm reden wollen! Aber sprecht doch, weiß der Herzog schon um das Geschehene? „Noch nicht", antwortete der alte Jäger, „aber seht, da kommt schon der Bote wieder, den wir weggeschickt. Nun Freund", wandte er sich an den Bauer, der eben athemlos bei der Gruppe anlangte. „Nun Freund, können wir auf den Zehnender noch rechnen oder nicht?" „Allerdings", scherzte der Bote, „der Zehnender hatte noch einige Kleinigkeiten in den herzoglichen Landen zu besorgen, und schob des- halb seine Abreise aus." Jetzt wurde wieder Jubel unter den Jägersleuten, und man schickte sogleich auf's Schloß, dein Herzog anzuzeigen, daß Alles ihn erwarte. Eine halbe Stunde später langte die Savalcade der hohen Herren und Damen im Thale an, und ein kräftiges Hurrah der Jägersleute begrüßte ihren fürstlichen Kameraden. Es war ein herrlicher frischer Morgen. Die Tiefe des Thales lag noch in Schatten, denn die Sonne stand noch nicht hoch über dem Horizont, der Erdboden aber dampfte und trocknete das nasse Laub. Dichte Nebelstreifen zogen aus den Gebüschen, verhüllten auf Augenblicke die Wipfel der Eichen und wur¬ den verzehrt, sowie der erste Strahl der Sonne sie traf. Eine Schaar Singvogel begrüßte den Zug mit ihrem einfachen, herbstlichen Zwit¬ schern. Aufgescheucht flogen sie davon, setzten sich in gemessener Ent¬ fernung wieder in die Zweige und warteten so lange, bis das Stam¬ pfen der Rosse sie wieder vertrieb, es schien, als könnten sie sich nicht sattsehen an den Herren und Damen in strahlendem Putze. Herzog Michael war ein schöner kräftiger Mann, mit feurigem Auge und einer vollen, Jugendlust verrathenden Stimme. Ihm zur Seite ritt die Gräfin Amalie von Weißenthorn, eine junge Witwe, von junonischem Körper¬ bau und geistreichen, kecken Gesichtszügen. Der Herzog war noch un- verheirathet, die Gräfin ihrer Schönheit wegen berühmt und besungen in deutschen Landen, sie war von hohem Adel und dem Fürsten eben- 22-i-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/167
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/167>, abgerufen am 26.08.2024.