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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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steiler, und sie muß darauf bestehe", daß ihr Buch von anspruchslosen
Damen beurtheilt werde.

"Sibylle," ein neuer zweibändiger Roman der Gräfin Hahn, ist da ¬
gegen an uns gerichtet. Ihn dürfen und müssen wir näher betrachtein
Obenein werden die Leser und Leserinnen dieser geistreichen Frau immer
schwieriger und unsicherer in ihrem Urtheile, und seit dem vorletzten
Romane, Clelia Conti, der allerdings nicht leicht Jemand befriedigen
konnte, grollt die Unzufriedenheit mit dieser Schriftstellerin so kalte, als
ob sich die Entthronung eines frühern Lieblings in'S Werk setzen wollte.
Sibylle wird deshalb bereits härter angelassen, als recht sein mag;
sie ist um nichts schwächer, als ein früherer Roman; im Gegentheile,
sie ist besser als Clelia Conti und manches andere Buch der Verfasse¬
rin. Das abfällige Urtheil erklärt sich nur daher, daß die Leser jetzt
erst zu der Einsicht kommen, welche dem Kritiker längst vor Augen lag,
zu der Einsicht, daß Form und Inhalt dieser Verfasserin sehr schmal ist
und auf die Länge nicht genügen kann. All' diese Romane sind Va¬
riationen desselbigen einzigen Thema's und Variationen innerhalb der¬
selben Figuren. Je öfter das wiederkehrt, desto ärmer erscheint es.
Auch in Rücksicht auf Gedanken; nicht daß es an Gedanken fehlte --
nein, diese werden immer zahlreicher, aber immer dünner, immer kraft¬
loser, weil sie fortwährend von derselben Wurzel abgeschält werden.
Klänge es nicht zu wunderlich, so könnte man das Bild einer Zwiebel
zur Versinnlichung gebrauchen. Haut um Haut wird abgelöst, bis
man auf Häutchen um Häutchen kommt. Man liest jetzt schon Seiten
lang, ohne irgend einen Eindruck zu erhalten, weil die Folgerungen
und Betrachtungen bis zur Unscheinbarkeit dünn gehäutet sind, und
weil auch die Verfasserin augenscheinlich zu handwerksmäßig täglich
schreibt. Statt mit Sparsamkeit in ihrem ausgeleerten Kreise den etwa
noch übrigen Rest zusammenzudichten, zerstreut sie ihn durch tägliches
Aussperren. Statt auf Composition zu denken und vermittelst der
zwei oder drei Gedanken, um welche sich der Roman bewegt, glücklich
zu täuschen, wird sie immer schlaffer in der anfänglichsten Form, in
der biographischen. Diese chronologisch hinschleppende Form hat ohne¬
dies den Uebelstand, neben der Hauptfigur alle andern Figuren nur in
dürftigem Profil zu zeigen, Alles immerfort nur in der einen Beziehung
darzubieten. ES ist befremdlich, daß eine so kluge Frau in der eigent¬
lichen Kunst so gar nichts lernt, als ob sie in dem einen Punkte durch¬
aus mit Herrn von Sternberg harmoniren müßte. In Betreff der
Sprache selbst hat sie sich übrigens um einen Grad gebessert? der Jargon


steiler, und sie muß darauf bestehe», daß ihr Buch von anspruchslosen
Damen beurtheilt werde.

„Sibylle," ein neuer zweibändiger Roman der Gräfin Hahn, ist da ¬
gegen an uns gerichtet. Ihn dürfen und müssen wir näher betrachtein
Obenein werden die Leser und Leserinnen dieser geistreichen Frau immer
schwieriger und unsicherer in ihrem Urtheile, und seit dem vorletzten
Romane, Clelia Conti, der allerdings nicht leicht Jemand befriedigen
konnte, grollt die Unzufriedenheit mit dieser Schriftstellerin so kalte, als
ob sich die Entthronung eines frühern Lieblings in'S Werk setzen wollte.
Sibylle wird deshalb bereits härter angelassen, als recht sein mag;
sie ist um nichts schwächer, als ein früherer Roman; im Gegentheile,
sie ist besser als Clelia Conti und manches andere Buch der Verfasse¬
rin. Das abfällige Urtheil erklärt sich nur daher, daß die Leser jetzt
erst zu der Einsicht kommen, welche dem Kritiker längst vor Augen lag,
zu der Einsicht, daß Form und Inhalt dieser Verfasserin sehr schmal ist
und auf die Länge nicht genügen kann. All' diese Romane sind Va¬
riationen desselbigen einzigen Thema's und Variationen innerhalb der¬
selben Figuren. Je öfter das wiederkehrt, desto ärmer erscheint es.
Auch in Rücksicht auf Gedanken; nicht daß es an Gedanken fehlte —
nein, diese werden immer zahlreicher, aber immer dünner, immer kraft¬
loser, weil sie fortwährend von derselben Wurzel abgeschält werden.
Klänge es nicht zu wunderlich, so könnte man das Bild einer Zwiebel
zur Versinnlichung gebrauchen. Haut um Haut wird abgelöst, bis
man auf Häutchen um Häutchen kommt. Man liest jetzt schon Seiten
lang, ohne irgend einen Eindruck zu erhalten, weil die Folgerungen
und Betrachtungen bis zur Unscheinbarkeit dünn gehäutet sind, und
weil auch die Verfasserin augenscheinlich zu handwerksmäßig täglich
schreibt. Statt mit Sparsamkeit in ihrem ausgeleerten Kreise den etwa
noch übrigen Rest zusammenzudichten, zerstreut sie ihn durch tägliches
Aussperren. Statt auf Composition zu denken und vermittelst der
zwei oder drei Gedanken, um welche sich der Roman bewegt, glücklich
zu täuschen, wird sie immer schlaffer in der anfänglichsten Form, in
der biographischen. Diese chronologisch hinschleppende Form hat ohne¬
dies den Uebelstand, neben der Hauptfigur alle andern Figuren nur in
dürftigem Profil zu zeigen, Alles immerfort nur in der einen Beziehung
darzubieten. ES ist befremdlich, daß eine so kluge Frau in der eigent¬
lichen Kunst so gar nichts lernt, als ob sie in dem einen Punkte durch¬
aus mit Herrn von Sternberg harmoniren müßte. In Betreff der
Sprache selbst hat sie sich übrigens um einen Grad gebessert? der Jargon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/156>, abgerufen am 26.08.2024.