Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

freundschaftlichsten Verhältnisse trat. Zu Mittage sah ich bei Hum¬
boldt den Herzog von Weimar, den Kanzler Hardenberg, Minister
Stein, General Krusemark, Graf Solms-Laubach ze. :e. Und Abends
machte ich meinen ersten Besuch bei Lord und Lady Castlereagh.

In einer der vorläufigen, ganz vertraulichen Conferenzen, zwischen
Metternich, Castlereagh, Nesselrode, Hardenberg und Humboldt, war
einstimmig beschlossen worden, mir die Führung des Protokolls zu
übertragen. Und am 23. machte mir Graf Nesselrode diesen Beschluß,
den sämmtliche Minister mit gleichem Empressement gefaßt hatten, be¬
kannt.

Ich werde hier zuerst die Hauptdata meiner Theilnahme an den
Verhandlungen des Congresses, bis zu Ende dieses Jahres verzeich¬
nen, und dann nachtragen, was sich auf das Gesellschaftliche und Per¬
sönliche bezieht. Ich habe früher manchmal sehr bedauert, daß mir in
einem namenlosen Drange von Geschäfte,, und Zerstreuungen nicht die
Zeit geblieben war, ein regelmäßiges politisches Journal über diese
wichtige Epoche zu führen. Heute bedaure ich es nicht mehr. Daß
ich jemals im Stande gewesen wäre, aus dem damals gesammelten
Stoff ein zusammenhängendes Werk zu bearbeiten, ist wenigstens sehr
zweifelhaft. Meine Noten aber, so wie sie mir der Augenblick eingab,
liegen zu lassen, und dereinst, wer weiß welchen Händen zu überlie-
'fern, hielt ich nicht allein für unklug und undelicat, sondern in mehr
als einem Betracht für unredlich und gewissenlos; denn ich stand den
Begebenheiten zu nahe, und wär zu lebhaft davon betroffen, um bei
einer Geschichtschreibung stehen zu bleiben, und mir nicht in unzähligen
Fällen Kritik, zuweilen strenge, auch wohl bittere Kritik zu erlauben.
Und da ich mich nie dazu berufen fühlte, gegen große Männer, die ich
persönlich schätzte und liebte, und denen ich maimichfaltigen Dank schul¬
dig war, das Amt eines Censors auszuüben, so habe ich der Idee,
politische Memoiren zu hinterlassen, ein- für allemal entsagt, und nach
und nach meine sämmtlichen Notate vernichtet. Die letzten noch übri¬
gen haben mir dazu gedient, folgende einfache, gedrängte, aber durch¬
aus der Wahrheit gemäße Skizze zu entwerfen.

An den ersten vertraulichen Besprechungen hatten blos die vier
Cabinetsminister von Oesterreich, Rußland, England und Preußen
Theil. Humboldt wurde hauptsächlich wegen der Hartnäckigkeit des
Fürsten Hardenberg zugezogen. Das erste mir übertragene Geschäft
war die Abfassung einer Deklaration im Namen dieser vier Höfe; der
Entwurf wurde am 29. September angenommen.


freundschaftlichsten Verhältnisse trat. Zu Mittage sah ich bei Hum¬
boldt den Herzog von Weimar, den Kanzler Hardenberg, Minister
Stein, General Krusemark, Graf Solms-Laubach ze. :e. Und Abends
machte ich meinen ersten Besuch bei Lord und Lady Castlereagh.

In einer der vorläufigen, ganz vertraulichen Conferenzen, zwischen
Metternich, Castlereagh, Nesselrode, Hardenberg und Humboldt, war
einstimmig beschlossen worden, mir die Führung des Protokolls zu
übertragen. Und am 23. machte mir Graf Nesselrode diesen Beschluß,
den sämmtliche Minister mit gleichem Empressement gefaßt hatten, be¬
kannt.

Ich werde hier zuerst die Hauptdata meiner Theilnahme an den
Verhandlungen des Congresses, bis zu Ende dieses Jahres verzeich¬
nen, und dann nachtragen, was sich auf das Gesellschaftliche und Per¬
sönliche bezieht. Ich habe früher manchmal sehr bedauert, daß mir in
einem namenlosen Drange von Geschäfte,, und Zerstreuungen nicht die
Zeit geblieben war, ein regelmäßiges politisches Journal über diese
wichtige Epoche zu führen. Heute bedaure ich es nicht mehr. Daß
ich jemals im Stande gewesen wäre, aus dem damals gesammelten
Stoff ein zusammenhängendes Werk zu bearbeiten, ist wenigstens sehr
zweifelhaft. Meine Noten aber, so wie sie mir der Augenblick eingab,
liegen zu lassen, und dereinst, wer weiß welchen Händen zu überlie-
'fern, hielt ich nicht allein für unklug und undelicat, sondern in mehr
als einem Betracht für unredlich und gewissenlos; denn ich stand den
Begebenheiten zu nahe, und wär zu lebhaft davon betroffen, um bei
einer Geschichtschreibung stehen zu bleiben, und mir nicht in unzähligen
Fällen Kritik, zuweilen strenge, auch wohl bittere Kritik zu erlauben.
Und da ich mich nie dazu berufen fühlte, gegen große Männer, die ich
persönlich schätzte und liebte, und denen ich maimichfaltigen Dank schul¬
dig war, das Amt eines Censors auszuüben, so habe ich der Idee,
politische Memoiren zu hinterlassen, ein- für allemal entsagt, und nach
und nach meine sämmtlichen Notate vernichtet. Die letzten noch übri¬
gen haben mir dazu gedient, folgende einfache, gedrängte, aber durch¬
aus der Wahrheit gemäße Skizze zu entwerfen.

An den ersten vertraulichen Besprechungen hatten blos die vier
Cabinetsminister von Oesterreich, Rußland, England und Preußen
Theil. Humboldt wurde hauptsächlich wegen der Hartnäckigkeit des
Fürsten Hardenberg zugezogen. Das erste mir übertragene Geschäft
war die Abfassung einer Deklaration im Namen dieser vier Höfe; der
Entwurf wurde am 29. September angenommen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183691"/>
              <p xml:id="ID_299" prev="#ID_298"> freundschaftlichsten Verhältnisse trat. Zu Mittage sah ich bei Hum¬<lb/>
boldt den Herzog von Weimar, den Kanzler Hardenberg, Minister<lb/>
Stein, General Krusemark, Graf Solms-Laubach ze. :e. Und Abends<lb/>
machte ich meinen ersten Besuch bei Lord und Lady Castlereagh.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_300"> In einer der vorläufigen, ganz vertraulichen Conferenzen, zwischen<lb/>
Metternich, Castlereagh, Nesselrode, Hardenberg und Humboldt, war<lb/>
einstimmig beschlossen worden, mir die Führung des Protokolls zu<lb/>
übertragen. Und am 23. machte mir Graf Nesselrode diesen Beschluß,<lb/>
den sämmtliche Minister mit gleichem Empressement gefaßt hatten, be¬<lb/>
kannt.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_301"> Ich werde hier zuerst die Hauptdata meiner Theilnahme an den<lb/>
Verhandlungen des Congresses, bis zu Ende dieses Jahres verzeich¬<lb/>
nen, und dann nachtragen, was sich auf das Gesellschaftliche und Per¬<lb/>
sönliche bezieht. Ich habe früher manchmal sehr bedauert, daß mir in<lb/>
einem namenlosen Drange von Geschäfte,, und Zerstreuungen nicht die<lb/>
Zeit geblieben war, ein regelmäßiges politisches Journal über diese<lb/>
wichtige Epoche zu führen. Heute bedaure ich es nicht mehr. Daß<lb/>
ich jemals im Stande gewesen wäre, aus dem damals gesammelten<lb/>
Stoff ein zusammenhängendes Werk zu bearbeiten, ist wenigstens sehr<lb/>
zweifelhaft. Meine Noten aber, so wie sie mir der Augenblick eingab,<lb/>
liegen zu lassen, und dereinst, wer weiß welchen Händen zu überlie-<lb/>
'fern, hielt ich nicht allein für unklug und undelicat, sondern in mehr<lb/>
als einem Betracht für unredlich und gewissenlos; denn ich stand den<lb/>
Begebenheiten zu nahe, und wär zu lebhaft davon betroffen, um bei<lb/>
einer Geschichtschreibung stehen zu bleiben, und mir nicht in unzähligen<lb/>
Fällen Kritik, zuweilen strenge, auch wohl bittere Kritik zu erlauben.<lb/>
Und da ich mich nie dazu berufen fühlte, gegen große Männer, die ich<lb/>
persönlich schätzte und liebte, und denen ich maimichfaltigen Dank schul¬<lb/>
dig war, das Amt eines Censors auszuüben, so habe ich der Idee,<lb/>
politische Memoiren zu hinterlassen, ein- für allemal entsagt, und nach<lb/>
und nach meine sämmtlichen Notate vernichtet. Die letzten noch übri¬<lb/>
gen haben mir dazu gedient, folgende einfache, gedrängte, aber durch¬<lb/>
aus der Wahrheit gemäße Skizze zu entwerfen.</p><lb/>
              <p xml:id="ID_302"> An den ersten vertraulichen Besprechungen hatten blos die vier<lb/>
Cabinetsminister von Oesterreich, Rußland, England und Preußen<lb/>
Theil. Humboldt wurde hauptsächlich wegen der Hartnäckigkeit des<lb/>
Fürsten Hardenberg zugezogen. Das erste mir übertragene Geschäft<lb/>
war die Abfassung einer Deklaration im Namen dieser vier Höfe; der<lb/>
Entwurf wurde am 29. September angenommen.</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0109] freundschaftlichsten Verhältnisse trat. Zu Mittage sah ich bei Hum¬ boldt den Herzog von Weimar, den Kanzler Hardenberg, Minister Stein, General Krusemark, Graf Solms-Laubach ze. :e. Und Abends machte ich meinen ersten Besuch bei Lord und Lady Castlereagh. In einer der vorläufigen, ganz vertraulichen Conferenzen, zwischen Metternich, Castlereagh, Nesselrode, Hardenberg und Humboldt, war einstimmig beschlossen worden, mir die Führung des Protokolls zu übertragen. Und am 23. machte mir Graf Nesselrode diesen Beschluß, den sämmtliche Minister mit gleichem Empressement gefaßt hatten, be¬ kannt. Ich werde hier zuerst die Hauptdata meiner Theilnahme an den Verhandlungen des Congresses, bis zu Ende dieses Jahres verzeich¬ nen, und dann nachtragen, was sich auf das Gesellschaftliche und Per¬ sönliche bezieht. Ich habe früher manchmal sehr bedauert, daß mir in einem namenlosen Drange von Geschäfte,, und Zerstreuungen nicht die Zeit geblieben war, ein regelmäßiges politisches Journal über diese wichtige Epoche zu führen. Heute bedaure ich es nicht mehr. Daß ich jemals im Stande gewesen wäre, aus dem damals gesammelten Stoff ein zusammenhängendes Werk zu bearbeiten, ist wenigstens sehr zweifelhaft. Meine Noten aber, so wie sie mir der Augenblick eingab, liegen zu lassen, und dereinst, wer weiß welchen Händen zu überlie- 'fern, hielt ich nicht allein für unklug und undelicat, sondern in mehr als einem Betracht für unredlich und gewissenlos; denn ich stand den Begebenheiten zu nahe, und wär zu lebhaft davon betroffen, um bei einer Geschichtschreibung stehen zu bleiben, und mir nicht in unzähligen Fällen Kritik, zuweilen strenge, auch wohl bittere Kritik zu erlauben. Und da ich mich nie dazu berufen fühlte, gegen große Männer, die ich persönlich schätzte und liebte, und denen ich maimichfaltigen Dank schul¬ dig war, das Amt eines Censors auszuüben, so habe ich der Idee, politische Memoiren zu hinterlassen, ein- für allemal entsagt, und nach und nach meine sämmtlichen Notate vernichtet. Die letzten noch übri¬ gen haben mir dazu gedient, folgende einfache, gedrängte, aber durch¬ aus der Wahrheit gemäße Skizze zu entwerfen. An den ersten vertraulichen Besprechungen hatten blos die vier Cabinetsminister von Oesterreich, Rußland, England und Preußen Theil. Humboldt wurde hauptsächlich wegen der Hartnäckigkeit des Fürsten Hardenberg zugezogen. Das erste mir übertragene Geschäft war die Abfassung einer Deklaration im Namen dieser vier Höfe; der Entwurf wurde am 29. September angenommen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/109
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/109>, abgerufen am 23.07.2024.