Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wo eine Nebenliebschaft wohnt, macht die Sprache Männchen --
man erregt anch im Einzelnen Aussehen.

In der pikanten Schreibart macht jeder Satz, ja oft jedes
einzelne Wort für sich einen besondern Anspruch. Die Sprache
unterordnet sich nicht mehr dem einheitlichen Gedanken des Ganzen,
weil dieser nicht da ist. Nie und nirgends ist mehr von "brillan¬
tem Styl" und "eleganter Schreibart" als etwas ganz Besondern:
die Rede, als beim Interessanten und Pikanten, weil es sich dabei
nicht um die Produktion eines Neuen handelt, sondern wesentlich
nur um den virtuosen Vortrag.

Wie verhält sich nun alles dies zur Dichtung für das Volk?

ES gibt keine besondere Aesthetik des Volksthümltchen, die
Zustände und Motive sind hier nur noch einfacher, ursprünglicher.

Das sauersüße Lächeln, das Aufgeregtsein ohne bestimmtes
Wollen und Wünschen durch die Vermittlung des Pikanten kann
und darf hier nicht Raum greifen. Hier herrscht noch das einfache
Lachen und das einfache Weinen.

Das Pikante muß schnell verschlungen werden, der Leser
und Zuschauer darf gar nicht zur Ruhe und Besinnung kom¬
men, der Dämon des Ennüvirens jagt rin geschwungener Geißel
-- im Volke darf man noch einer gewissen behaglichen Ruhe ge¬
wiß sein.

Die raschtaktigen Galoppaden sind auch schon auf dem Lande
heimisch geworden, aber man bewegt sich doch noch vorzugsweise
gerne nach den sanften, behaglichen Schwingungen des Ländlers.

Auf dem Lande klettert man nicht die dürre Turnstange hinan,
und läßt sich wieder herab, Alles blos der Uebung zu Liebe; man
steigt einen lebendigen Baum hinan, um eine Frucht zu pflücken,
ein Nest auszuheben -- die Kunst und die Uebung des Kletterns
ergibt sich schon von selbst.

Das Geistreicheren ist hier nicht am Platze.

Wie man im Volke nicht leicht spazieren geht, blos um sich
Bewegung zu machen, ziellos, so ist auch die geistige Bewegung
nicht bloßes Spazierengehen; man will wohin kommen, oder sich
nach dem Seinigen umschauen, wie es mit der Saat und der Ernte
aussieht und wo man am Werktage zugreifen muß.

Kann das Pikante nur rasch, so kann es auch meist nur ein


11*

wo eine Nebenliebschaft wohnt, macht die Sprache Männchen —
man erregt anch im Einzelnen Aussehen.

In der pikanten Schreibart macht jeder Satz, ja oft jedes
einzelne Wort für sich einen besondern Anspruch. Die Sprache
unterordnet sich nicht mehr dem einheitlichen Gedanken des Ganzen,
weil dieser nicht da ist. Nie und nirgends ist mehr von „brillan¬
tem Styl" und „eleganter Schreibart" als etwas ganz Besondern:
die Rede, als beim Interessanten und Pikanten, weil es sich dabei
nicht um die Produktion eines Neuen handelt, sondern wesentlich
nur um den virtuosen Vortrag.

Wie verhält sich nun alles dies zur Dichtung für das Volk?

ES gibt keine besondere Aesthetik des Volksthümltchen, die
Zustände und Motive sind hier nur noch einfacher, ursprünglicher.

Das sauersüße Lächeln, das Aufgeregtsein ohne bestimmtes
Wollen und Wünschen durch die Vermittlung des Pikanten kann
und darf hier nicht Raum greifen. Hier herrscht noch das einfache
Lachen und das einfache Weinen.

Das Pikante muß schnell verschlungen werden, der Leser
und Zuschauer darf gar nicht zur Ruhe und Besinnung kom¬
men, der Dämon des Ennüvirens jagt rin geschwungener Geißel
— im Volke darf man noch einer gewissen behaglichen Ruhe ge¬
wiß sein.

Die raschtaktigen Galoppaden sind auch schon auf dem Lande
heimisch geworden, aber man bewegt sich doch noch vorzugsweise
gerne nach den sanften, behaglichen Schwingungen des Ländlers.

Auf dem Lande klettert man nicht die dürre Turnstange hinan,
und läßt sich wieder herab, Alles blos der Uebung zu Liebe; man
steigt einen lebendigen Baum hinan, um eine Frucht zu pflücken,
ein Nest auszuheben — die Kunst und die Uebung des Kletterns
ergibt sich schon von selbst.

Das Geistreicheren ist hier nicht am Platze.

Wie man im Volke nicht leicht spazieren geht, blos um sich
Bewegung zu machen, ziellos, so ist auch die geistige Bewegung
nicht bloßes Spazierengehen; man will wohin kommen, oder sich
nach dem Seinigen umschauen, wie es mit der Saat und der Ernte
aussieht und wo man am Werktage zugreifen muß.

Kann das Pikante nur rasch, so kann es auch meist nur ein


11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182518"/>
            <p xml:id="ID_233" prev="#ID_232"> wo eine Nebenliebschaft wohnt, macht die Sprache Männchen &#x2014;<lb/>
man erregt anch im Einzelnen Aussehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_234"> In der pikanten Schreibart macht jeder Satz, ja oft jedes<lb/>
einzelne Wort für sich einen besondern Anspruch. Die Sprache<lb/>
unterordnet sich nicht mehr dem einheitlichen Gedanken des Ganzen,<lb/>
weil dieser nicht da ist. Nie und nirgends ist mehr von &#x201E;brillan¬<lb/>
tem Styl" und &#x201E;eleganter Schreibart" als etwas ganz Besondern:<lb/>
die Rede, als beim Interessanten und Pikanten, weil es sich dabei<lb/>
nicht um die Produktion eines Neuen handelt, sondern wesentlich<lb/>
nur um den virtuosen Vortrag.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_235"> Wie verhält sich nun alles dies zur Dichtung für das Volk?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_236"> ES gibt keine besondere Aesthetik des Volksthümltchen, die<lb/>
Zustände und Motive sind hier nur noch einfacher, ursprünglicher.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_237"> Das sauersüße Lächeln, das Aufgeregtsein ohne bestimmtes<lb/>
Wollen und Wünschen durch die Vermittlung des Pikanten kann<lb/>
und darf hier nicht Raum greifen. Hier herrscht noch das einfache<lb/>
Lachen und das einfache Weinen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_238"> Das Pikante muß schnell verschlungen werden, der Leser<lb/>
und Zuschauer darf gar nicht zur Ruhe und Besinnung kom¬<lb/>
men, der Dämon des Ennüvirens jagt rin geschwungener Geißel<lb/>
&#x2014; im Volke darf man noch einer gewissen behaglichen Ruhe ge¬<lb/>
wiß sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_239"> Die raschtaktigen Galoppaden sind auch schon auf dem Lande<lb/>
heimisch geworden, aber man bewegt sich doch noch vorzugsweise<lb/>
gerne nach den sanften, behaglichen Schwingungen des Ländlers.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_240"> Auf dem Lande klettert man nicht die dürre Turnstange hinan,<lb/>
und läßt sich wieder herab, Alles blos der Uebung zu Liebe; man<lb/>
steigt einen lebendigen Baum hinan, um eine Frucht zu pflücken,<lb/>
ein Nest auszuheben &#x2014; die Kunst und die Uebung des Kletterns<lb/>
ergibt sich schon von selbst.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_241"> Das Geistreicheren ist hier nicht am Platze.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_242"> Wie man im Volke nicht leicht spazieren geht, blos um sich<lb/>
Bewegung zu machen, ziellos, so ist auch die geistige Bewegung<lb/>
nicht bloßes Spazierengehen; man will wohin kommen, oder sich<lb/>
nach dem Seinigen umschauen, wie es mit der Saat und der Ernte<lb/>
aussieht und wo man am Werktage zugreifen muß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_243" next="#ID_244"> Kann das Pikante nur rasch, so kann es auch meist nur ein</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 11*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] wo eine Nebenliebschaft wohnt, macht die Sprache Männchen — man erregt anch im Einzelnen Aussehen. In der pikanten Schreibart macht jeder Satz, ja oft jedes einzelne Wort für sich einen besondern Anspruch. Die Sprache unterordnet sich nicht mehr dem einheitlichen Gedanken des Ganzen, weil dieser nicht da ist. Nie und nirgends ist mehr von „brillan¬ tem Styl" und „eleganter Schreibart" als etwas ganz Besondern: die Rede, als beim Interessanten und Pikanten, weil es sich dabei nicht um die Produktion eines Neuen handelt, sondern wesentlich nur um den virtuosen Vortrag. Wie verhält sich nun alles dies zur Dichtung für das Volk? ES gibt keine besondere Aesthetik des Volksthümltchen, die Zustände und Motive sind hier nur noch einfacher, ursprünglicher. Das sauersüße Lächeln, das Aufgeregtsein ohne bestimmtes Wollen und Wünschen durch die Vermittlung des Pikanten kann und darf hier nicht Raum greifen. Hier herrscht noch das einfache Lachen und das einfache Weinen. Das Pikante muß schnell verschlungen werden, der Leser und Zuschauer darf gar nicht zur Ruhe und Besinnung kom¬ men, der Dämon des Ennüvirens jagt rin geschwungener Geißel — im Volke darf man noch einer gewissen behaglichen Ruhe ge¬ wiß sein. Die raschtaktigen Galoppaden sind auch schon auf dem Lande heimisch geworden, aber man bewegt sich doch noch vorzugsweise gerne nach den sanften, behaglichen Schwingungen des Ländlers. Auf dem Lande klettert man nicht die dürre Turnstange hinan, und läßt sich wieder herab, Alles blos der Uebung zu Liebe; man steigt einen lebendigen Baum hinan, um eine Frucht zu pflücken, ein Nest auszuheben — die Kunst und die Uebung des Kletterns ergibt sich schon von selbst. Das Geistreicheren ist hier nicht am Platze. Wie man im Volke nicht leicht spazieren geht, blos um sich Bewegung zu machen, ziellos, so ist auch die geistige Bewegung nicht bloßes Spazierengehen; man will wohin kommen, oder sich nach dem Seinigen umschauen, wie es mit der Saat und der Ernte aussieht und wo man am Werktage zugreifen muß. Kann das Pikante nur rasch, so kann es auch meist nur ein 11*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/95>, abgerufen am 24.11.2024.