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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Ruck- und Umsicht, in die Zeit- und Tagesfragen. Aber, wie un¬
geschickt nehmen sich Beide dabei aus! -- Die constitutionelle Kam¬
mer-Opposition steht in Paris dem Conservatismus und dem Kö¬
nigthum viel näher, als der socialen Partei. Ja, es gibt dort
eigentlich nur noch zwei lebendige Parteien, die eine heißt: Geld,
die andere heißt Zukunft. In jener fließt die dynastische Liebe
zusammen mit den Emissairen des Hofes, auf der anderen Seite
steht der Proletarier im Bunde mit dem Genie. --

Ich besuchte manchmal einen Gelehrten, der für die rechte Hand
Odilon Barrot's gilt und demselben in national-ökonomischen und
juristischen Fragen bedeutend dienen soll. Eines Tages wurde ich
daselbst einem ehrwürdigen Graukopf vorgestellt, einem Manne von
verblaßter Kleidung, aber dennoch sehr behaglichen Manieren. Es
war Monsieur Vir^art, ein Gewerbsmann, der erst seit wenigen
Jahren im eigenen Atelier Ellen und Maße verfertigt, der damals
in seinen Mußestunden an der kurz darauf erschienenen "Geschichte
der Arbeit" schrieb. Das Gespräch glich einer Unterhaltung. Vir-
",-art gehört zu den Redacteurs der "Union", des Arbeiter-Jour¬
nals, dessen Unternehmer demselben von ihrem täglichen Erwerb
ansehnliche pecuniäre Opfer gebracht haben. Die Unterhaltung
drehte sich um einige neue Maßregeln der Negierung, die neu ein¬
geführten Livrets (Handwerköburschenbücher), und die Conseils des
Prud'hommes. -- Die Negierung hatte eingesehen, daß etwas ge¬
schehen müsse, aber das Ganze gemahnte mich, wie ein maskirter
Rückschritt. Ordnung ohne Freiheit scheint leicht, ist aber in der That
nicht denkbar. Und ist das Zufriedenheit, daß die KlagenderBcdrückten
ungehört und spurlos verhallen? -- Die Controlle der Ävrets gibt
die Untergebenen einer neu aufkommenden Art von Zunftzwang
ihrer Brodherm preis; die Conseils des Prud'hommes, wie ViwMd
sagte: "(ü'ost I'izvM'irvok;, <M "'-rtlresso " zwiir <Z<;s
ren-ikissnemkllts!" Die Streitigkeiten zwischen Meister und Ge¬
sellen werden hier von Collegien entschieden, an deren Wahl die
Gesellen der verschiedenen Gewerke keinen Antheil nehmen, nur
noch die Olivi'lors nittentvs und die ^Kels d'^vlior, welche na¬
türlich auf der Seite der Stärkeren stehen. -- Als ich einmal den
Sitzungen dieser sachverständigen Collegien im Justiz-Palaste bei¬
wohnen wollte, fand ich, daß sie nicht öffentlich sind, mit Ausnah-


Ruck- und Umsicht, in die Zeit- und Tagesfragen. Aber, wie un¬
geschickt nehmen sich Beide dabei aus! — Die constitutionelle Kam¬
mer-Opposition steht in Paris dem Conservatismus und dem Kö¬
nigthum viel näher, als der socialen Partei. Ja, es gibt dort
eigentlich nur noch zwei lebendige Parteien, die eine heißt: Geld,
die andere heißt Zukunft. In jener fließt die dynastische Liebe
zusammen mit den Emissairen des Hofes, auf der anderen Seite
steht der Proletarier im Bunde mit dem Genie. —

Ich besuchte manchmal einen Gelehrten, der für die rechte Hand
Odilon Barrot's gilt und demselben in national-ökonomischen und
juristischen Fragen bedeutend dienen soll. Eines Tages wurde ich
daselbst einem ehrwürdigen Graukopf vorgestellt, einem Manne von
verblaßter Kleidung, aber dennoch sehr behaglichen Manieren. Es
war Monsieur Vir^art, ein Gewerbsmann, der erst seit wenigen
Jahren im eigenen Atelier Ellen und Maße verfertigt, der damals
in seinen Mußestunden an der kurz darauf erschienenen „Geschichte
der Arbeit" schrieb. Das Gespräch glich einer Unterhaltung. Vir-
«,-art gehört zu den Redacteurs der „Union", des Arbeiter-Jour¬
nals, dessen Unternehmer demselben von ihrem täglichen Erwerb
ansehnliche pecuniäre Opfer gebracht haben. Die Unterhaltung
drehte sich um einige neue Maßregeln der Negierung, die neu ein¬
geführten Livrets (Handwerköburschenbücher), und die Conseils des
Prud'hommes. — Die Negierung hatte eingesehen, daß etwas ge¬
schehen müsse, aber das Ganze gemahnte mich, wie ein maskirter
Rückschritt. Ordnung ohne Freiheit scheint leicht, ist aber in der That
nicht denkbar. Und ist das Zufriedenheit, daß die KlagenderBcdrückten
ungehört und spurlos verhallen? — Die Controlle der Ävrets gibt
die Untergebenen einer neu aufkommenden Art von Zunftzwang
ihrer Brodherm preis; die Conseils des Prud'hommes, wie ViwMd
sagte: „(ü'ost I'izvM'irvok;, <M «'-rtlresso » zwiir <Z<;s
ren-ikissnemkllts!" Die Streitigkeiten zwischen Meister und Ge¬
sellen werden hier von Collegien entschieden, an deren Wahl die
Gesellen der verschiedenen Gewerke keinen Antheil nehmen, nur
noch die Olivi'lors nittentvs und die ^Kels d'^vlior, welche na¬
türlich auf der Seite der Stärkeren stehen. — Als ich einmal den
Sitzungen dieser sachverständigen Collegien im Justiz-Palaste bei¬
wohnen wollte, fand ich, daß sie nicht öffentlich sind, mit Ausnah-


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[0064] Ruck- und Umsicht, in die Zeit- und Tagesfragen. Aber, wie un¬ geschickt nehmen sich Beide dabei aus! — Die constitutionelle Kam¬ mer-Opposition steht in Paris dem Conservatismus und dem Kö¬ nigthum viel näher, als der socialen Partei. Ja, es gibt dort eigentlich nur noch zwei lebendige Parteien, die eine heißt: Geld, die andere heißt Zukunft. In jener fließt die dynastische Liebe zusammen mit den Emissairen des Hofes, auf der anderen Seite steht der Proletarier im Bunde mit dem Genie. — Ich besuchte manchmal einen Gelehrten, der für die rechte Hand Odilon Barrot's gilt und demselben in national-ökonomischen und juristischen Fragen bedeutend dienen soll. Eines Tages wurde ich daselbst einem ehrwürdigen Graukopf vorgestellt, einem Manne von verblaßter Kleidung, aber dennoch sehr behaglichen Manieren. Es war Monsieur Vir^art, ein Gewerbsmann, der erst seit wenigen Jahren im eigenen Atelier Ellen und Maße verfertigt, der damals in seinen Mußestunden an der kurz darauf erschienenen „Geschichte der Arbeit" schrieb. Das Gespräch glich einer Unterhaltung. Vir- «,-art gehört zu den Redacteurs der „Union", des Arbeiter-Jour¬ nals, dessen Unternehmer demselben von ihrem täglichen Erwerb ansehnliche pecuniäre Opfer gebracht haben. Die Unterhaltung drehte sich um einige neue Maßregeln der Negierung, die neu ein¬ geführten Livrets (Handwerköburschenbücher), und die Conseils des Prud'hommes. — Die Negierung hatte eingesehen, daß etwas ge¬ schehen müsse, aber das Ganze gemahnte mich, wie ein maskirter Rückschritt. Ordnung ohne Freiheit scheint leicht, ist aber in der That nicht denkbar. Und ist das Zufriedenheit, daß die KlagenderBcdrückten ungehört und spurlos verhallen? — Die Controlle der Ävrets gibt die Untergebenen einer neu aufkommenden Art von Zunftzwang ihrer Brodherm preis; die Conseils des Prud'hommes, wie ViwMd sagte: „(ü'ost I'izvM'irvok;, <M «'-rtlresso » zwiir <Z<;s ren-ikissnemkllts!" Die Streitigkeiten zwischen Meister und Ge¬ sellen werden hier von Collegien entschieden, an deren Wahl die Gesellen der verschiedenen Gewerke keinen Antheil nehmen, nur noch die Olivi'lors nittentvs und die ^Kels d'^vlior, welche na¬ türlich auf der Seite der Stärkeren stehen. — Als ich einmal den Sitzungen dieser sachverständigen Collegien im Justiz-Palaste bei¬ wohnen wollte, fand ich, daß sie nicht öffentlich sind, mit Ausnah-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/64>, abgerufen am 24.11.2024.