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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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bei uns dk mittelalterliche Gemeinde und die conservative Corpo-
rationsfreiheit mit impertinenten Particularismus gestellt hat, ist
der Socialismus eingedrungen. Auch die Aehnlichkeit hat Paris
mit dem Rom der Kaiserzeit, daß das Concubinat die förmliche
Ehe ordentlich überwuchert. Zwar bieten die Besitzer heiratsfä¬
higer Tochter den Jünglingen heut zu Tage stärkere Prämien, als
dazumal die I^ox wappne-,, und ihre Schwestern, die C. L.
Juliae. Aber, was hilft's viel? -- Während mancher Mann
die absolut unauflösliche Ehe scheut, ist das unauflösliche
Concubinat in Paris vielfach zu einer Art von Ehrenpunkt gewor¬
den, gerade wie man solche Schulden, die nicht angeklagt werden
können, für Ehrenschulden erklärt. Und noch eine fernere Aehnlich¬
keit haben Paris und Rom, daß das gemeine Volk, wie dort dem
Messias, so hier den Nadical-Reformen sich vertrauend zuwendet,
während, die Gebildeten und Feinen, das heißt zuletzt, die Be¬
sitzenden, an keine Zukunft glauben und höhnischlächelnd die Achseln
zucken: "Laßt nur die alten Götter, wir haben ja doch nie an sie
geglaubt! Mag der große Pan für das Volk lärmen, Jupiter
weiter donnern, und das Volk gläubig gehorchen!" -- So¬
gar der Deputirtenkammer, die bisher die Seele der öffentlichen
Meinung in Frankreich gewesen, geht es nunmehr, wie den Uni¬
versitäten in Deutschland, die auch ihre Herrschaft verlieren. In
Beiden ist keine wahre Vertretung der Capacitäten, kein wahrer
Sieg des Genies; kleinliche Intrigue und Egoismus haben in Bei¬
den den Ernst des Gedankens verdrängt. -- Sie haben sich über¬
lebt, und wo ein Körper fault, erblickt man leicht die Würmer! --
Beide halfen ein außerordentliches, ultramontanes Dasein und rücken
den nationalen Bedürfnissen nicht recht auf den Leib. Wir werden
unserer Gelehrsamkeit ebenso wenig unser Heil verdanken, als
Frankreich seiner Politik! -- Allerdings ist es ein Zeichen des
Fortschritts, daß bei Beiden dem jungen Zeitgeist, der neuesten Welt¬
anschauung bedeutende Concessionen gemacht werden. ES ist ein Zeichen
des Fortschritts, sage ich, nämlich für diese Weltanschauung, aber nicht
für jene Institute. So wingt die radicale Opposition in Ledru
Rollin auf eine Enquete über die Lage der arbeitenden Klassen,
während sie bisher in der Wahlreform das einzige Arcanum er¬
blickte; so mischen sich unsere Universitätsmänner, freilich mit Vor-,


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bei uns dk mittelalterliche Gemeinde und die conservative Corpo-
rationsfreiheit mit impertinenten Particularismus gestellt hat, ist
der Socialismus eingedrungen. Auch die Aehnlichkeit hat Paris
mit dem Rom der Kaiserzeit, daß das Concubinat die förmliche
Ehe ordentlich überwuchert. Zwar bieten die Besitzer heiratsfä¬
higer Tochter den Jünglingen heut zu Tage stärkere Prämien, als
dazumal die I^ox wappne-,, und ihre Schwestern, die C. L.
Juliae. Aber, was hilft's viel? — Während mancher Mann
die absolut unauflösliche Ehe scheut, ist das unauflösliche
Concubinat in Paris vielfach zu einer Art von Ehrenpunkt gewor¬
den, gerade wie man solche Schulden, die nicht angeklagt werden
können, für Ehrenschulden erklärt. Und noch eine fernere Aehnlich¬
keit haben Paris und Rom, daß das gemeine Volk, wie dort dem
Messias, so hier den Nadical-Reformen sich vertrauend zuwendet,
während, die Gebildeten und Feinen, das heißt zuletzt, die Be¬
sitzenden, an keine Zukunft glauben und höhnischlächelnd die Achseln
zucken: „Laßt nur die alten Götter, wir haben ja doch nie an sie
geglaubt! Mag der große Pan für das Volk lärmen, Jupiter
weiter donnern, und das Volk gläubig gehorchen!" — So¬
gar der Deputirtenkammer, die bisher die Seele der öffentlichen
Meinung in Frankreich gewesen, geht es nunmehr, wie den Uni¬
versitäten in Deutschland, die auch ihre Herrschaft verlieren. In
Beiden ist keine wahre Vertretung der Capacitäten, kein wahrer
Sieg des Genies; kleinliche Intrigue und Egoismus haben in Bei¬
den den Ernst des Gedankens verdrängt. — Sie haben sich über¬
lebt, und wo ein Körper fault, erblickt man leicht die Würmer! —
Beide halfen ein außerordentliches, ultramontanes Dasein und rücken
den nationalen Bedürfnissen nicht recht auf den Leib. Wir werden
unserer Gelehrsamkeit ebenso wenig unser Heil verdanken, als
Frankreich seiner Politik! — Allerdings ist es ein Zeichen des
Fortschritts, daß bei Beiden dem jungen Zeitgeist, der neuesten Welt¬
anschauung bedeutende Concessionen gemacht werden. ES ist ein Zeichen
des Fortschritts, sage ich, nämlich für diese Weltanschauung, aber nicht
für jene Institute. So wingt die radicale Opposition in Ledru
Rollin auf eine Enquete über die Lage der arbeitenden Klassen,
während sie bisher in der Wahlreform das einzige Arcanum er¬
blickte; so mischen sich unsere Universitätsmänner, freilich mit Vor-,


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[0063] bei uns dk mittelalterliche Gemeinde und die conservative Corpo- rationsfreiheit mit impertinenten Particularismus gestellt hat, ist der Socialismus eingedrungen. Auch die Aehnlichkeit hat Paris mit dem Rom der Kaiserzeit, daß das Concubinat die förmliche Ehe ordentlich überwuchert. Zwar bieten die Besitzer heiratsfä¬ higer Tochter den Jünglingen heut zu Tage stärkere Prämien, als dazumal die I^ox wappne-,, und ihre Schwestern, die C. L. Juliae. Aber, was hilft's viel? — Während mancher Mann die absolut unauflösliche Ehe scheut, ist das unauflösliche Concubinat in Paris vielfach zu einer Art von Ehrenpunkt gewor¬ den, gerade wie man solche Schulden, die nicht angeklagt werden können, für Ehrenschulden erklärt. Und noch eine fernere Aehnlich¬ keit haben Paris und Rom, daß das gemeine Volk, wie dort dem Messias, so hier den Nadical-Reformen sich vertrauend zuwendet, während, die Gebildeten und Feinen, das heißt zuletzt, die Be¬ sitzenden, an keine Zukunft glauben und höhnischlächelnd die Achseln zucken: „Laßt nur die alten Götter, wir haben ja doch nie an sie geglaubt! Mag der große Pan für das Volk lärmen, Jupiter weiter donnern, und das Volk gläubig gehorchen!" — So¬ gar der Deputirtenkammer, die bisher die Seele der öffentlichen Meinung in Frankreich gewesen, geht es nunmehr, wie den Uni¬ versitäten in Deutschland, die auch ihre Herrschaft verlieren. In Beiden ist keine wahre Vertretung der Capacitäten, kein wahrer Sieg des Genies; kleinliche Intrigue und Egoismus haben in Bei¬ den den Ernst des Gedankens verdrängt. — Sie haben sich über¬ lebt, und wo ein Körper fault, erblickt man leicht die Würmer! — Beide halfen ein außerordentliches, ultramontanes Dasein und rücken den nationalen Bedürfnissen nicht recht auf den Leib. Wir werden unserer Gelehrsamkeit ebenso wenig unser Heil verdanken, als Frankreich seiner Politik! — Allerdings ist es ein Zeichen des Fortschritts, daß bei Beiden dem jungen Zeitgeist, der neuesten Welt¬ anschauung bedeutende Concessionen gemacht werden. ES ist ein Zeichen des Fortschritts, sage ich, nämlich für diese Weltanschauung, aber nicht für jene Institute. So wingt die radicale Opposition in Ledru Rollin auf eine Enquete über die Lage der arbeitenden Klassen, während sie bisher in der Wahlreform das einzige Arcanum er¬ blickte; so mischen sich unsere Universitätsmänner, freilich mit Vor-, 7 -i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/63>, abgerufen am 29.06.2024.