Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hat Berlin! etwas über 4MM<? Einwohner. Hierunter sind weibliche
und mannlich- in ziemlich gleicher Hälfte. Rechnen wir von den MOMO
männlichen Bewohnern die Hälfte Kinder und Jünglinge, so bleiben
IWMv Männer. Somit zeigt es sich, daß in Berlin der zweihundertste
Mann ein Schriftsteller ist.

-- Den Gegnern der Geschworenen-Gerichte, die kein 'Argument,
und wäre es noch so schwindsüchtig, verschmähen, um gegen die Wünsche
deutscher Nation anzukämpfen, können wir ein neues Einwendungsmittcl
empfehlen. Ein Missethäter, der vor einigen Tagen in Paris zu Kerker¬
strafe verurtheilt wurde, schrie, als er sein Urtheil hörte, plötzlich aus:
Ja, es ist wahr, ich habe gestohlen, aber die Gerechtigkeit ist ungerecht.
Wer sind diejenigen, die mich verurtheilen? Schneider und Handschuh¬
macher, Fabrikanten und Banquiers, Aerzte und Gutsbesitzer. -- Das
sind die Leute, aus denen die Geschworenen zusammengesetzt sind. Leute
aus allen Ständen, nur nicht aus dem meinigen. Leute, die sich vor¬
trefflich auf Hosen und Hosenträger, auf Maschinen und Wechselbriefe,
auf Ackerbau und Wassersucht verstehen. Aber was verstehen diese Leute
vom Diebstahl? Die Charte sagt ausdrücklich, daß ,,jeder Franzose von
seines Gleichen gerichtet werden soll" und die Charte wird nur dann erst
eine Wahrheit werden, wenn die Geschworenen für uns in La Roquette
oder in einem sonstigen Bagno gewählt werden. -- Ist dieses Argument
gegen die Schwurgerichte etwa schlechter als so manches andere? --

-- Im Verlag von Alexander Dunker in Berlin ist ziemlich "
I"roh)08 eine Sammlung: "Lieder aus Rom" von Bernhard von Lepel
erschienen, in der manches Gelungene sich befindet und die namentlich in
diesem Augenblicke, wo der römische Stuhl eine Veränderung in der Per¬
son des Papstes erhalten, viel Leser finden wird. Unter anderm ist uns
"eine römische Volkslegende" aufgefallen, die man dem Geiste der heu¬
tigen Römer kaum zutrauen sollte. Sie lautet folgender Gestalt:


Der Herr mit seiner Jünger Zahl
Lustwandelt' durch ein stilles Thal.
Sie trafen einen Esel an
Und bei dem Esel einen Mann.
Dem Mann eine Thräne vom Auge rollt',
Dieweil sein Esel nicht vorwärts wollt.
Auf dem Rücken lag das störrische Thier
Und streckte gen Himmel alle Bier.
Aervrochen lag rings Korb und Krug,
Und was er sonst an Kram noch trug.
Da siel der Mann auf seine Knie:
"O Himmel auf mich nieder sich!
"Sanct Urban, Sanct Sebastian,
"Sanct Benedict und Sanct Stephan,

hat Berlin! etwas über 4MM<? Einwohner. Hierunter sind weibliche
und mannlich- in ziemlich gleicher Hälfte. Rechnen wir von den MOMO
männlichen Bewohnern die Hälfte Kinder und Jünglinge, so bleiben
IWMv Männer. Somit zeigt es sich, daß in Berlin der zweihundertste
Mann ein Schriftsteller ist.

— Den Gegnern der Geschworenen-Gerichte, die kein 'Argument,
und wäre es noch so schwindsüchtig, verschmähen, um gegen die Wünsche
deutscher Nation anzukämpfen, können wir ein neues Einwendungsmittcl
empfehlen. Ein Missethäter, der vor einigen Tagen in Paris zu Kerker¬
strafe verurtheilt wurde, schrie, als er sein Urtheil hörte, plötzlich aus:
Ja, es ist wahr, ich habe gestohlen, aber die Gerechtigkeit ist ungerecht.
Wer sind diejenigen, die mich verurtheilen? Schneider und Handschuh¬
macher, Fabrikanten und Banquiers, Aerzte und Gutsbesitzer. — Das
sind die Leute, aus denen die Geschworenen zusammengesetzt sind. Leute
aus allen Ständen, nur nicht aus dem meinigen. Leute, die sich vor¬
trefflich auf Hosen und Hosenträger, auf Maschinen und Wechselbriefe,
auf Ackerbau und Wassersucht verstehen. Aber was verstehen diese Leute
vom Diebstahl? Die Charte sagt ausdrücklich, daß ,,jeder Franzose von
seines Gleichen gerichtet werden soll" und die Charte wird nur dann erst
eine Wahrheit werden, wenn die Geschworenen für uns in La Roquette
oder in einem sonstigen Bagno gewählt werden. — Ist dieses Argument
gegen die Schwurgerichte etwa schlechter als so manches andere? —

— Im Verlag von Alexander Dunker in Berlin ist ziemlich »
I»roh)08 eine Sammlung: „Lieder aus Rom" von Bernhard von Lepel
erschienen, in der manches Gelungene sich befindet und die namentlich in
diesem Augenblicke, wo der römische Stuhl eine Veränderung in der Per¬
son des Papstes erhalten, viel Leser finden wird. Unter anderm ist uns
„eine römische Volkslegende" aufgefallen, die man dem Geiste der heu¬
tigen Römer kaum zutrauen sollte. Sie lautet folgender Gestalt:


Der Herr mit seiner Jünger Zahl
Lustwandelt' durch ein stilles Thal.
Sie trafen einen Esel an
Und bei dem Esel einen Mann.
Dem Mann eine Thräne vom Auge rollt',
Dieweil sein Esel nicht vorwärts wollt.
Auf dem Rücken lag das störrische Thier
Und streckte gen Himmel alle Bier.
Aervrochen lag rings Korb und Krug,
Und was er sonst an Kram noch trug.
Da siel der Mann auf seine Knie:
„O Himmel auf mich nieder sich!
„Sanct Urban, Sanct Sebastian,
„Sanct Benedict und Sanct Stephan,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0588" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183011"/>
            <p xml:id="ID_1820" prev="#ID_1819"> hat Berlin! etwas über 4MM&lt;? Einwohner. Hierunter sind weibliche<lb/>
und mannlich- in ziemlich gleicher Hälfte. Rechnen wir von den MOMO<lb/>
männlichen Bewohnern die Hälfte Kinder und Jünglinge, so bleiben<lb/>
IWMv Männer. Somit zeigt es sich, daß in Berlin der zweihundertste<lb/>
Mann ein Schriftsteller ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1821"> &#x2014; Den Gegnern der Geschworenen-Gerichte, die kein 'Argument,<lb/>
und wäre es noch so schwindsüchtig, verschmähen, um gegen die Wünsche<lb/>
deutscher Nation anzukämpfen, können wir ein neues Einwendungsmittcl<lb/>
empfehlen. Ein Missethäter, der vor einigen Tagen in Paris zu Kerker¬<lb/>
strafe verurtheilt wurde, schrie, als er sein Urtheil hörte, plötzlich aus:<lb/>
Ja, es ist wahr, ich habe gestohlen, aber die Gerechtigkeit ist ungerecht.<lb/>
Wer sind diejenigen, die mich verurtheilen? Schneider und Handschuh¬<lb/>
macher, Fabrikanten und Banquiers, Aerzte und Gutsbesitzer. &#x2014; Das<lb/>
sind die Leute, aus denen die Geschworenen zusammengesetzt sind. Leute<lb/>
aus allen Ständen, nur nicht aus dem meinigen. Leute, die sich vor¬<lb/>
trefflich auf Hosen und Hosenträger, auf Maschinen und Wechselbriefe,<lb/>
auf Ackerbau und Wassersucht verstehen. Aber was verstehen diese Leute<lb/>
vom Diebstahl? Die Charte sagt ausdrücklich, daß ,,jeder Franzose von<lb/>
seines Gleichen gerichtet werden soll" und die Charte wird nur dann erst<lb/>
eine Wahrheit werden, wenn die Geschworenen für uns in La Roquette<lb/>
oder in einem sonstigen Bagno gewählt werden. &#x2014; Ist dieses Argument<lb/>
gegen die Schwurgerichte etwa schlechter als so manches andere? &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1822"> &#x2014; Im Verlag von Alexander Dunker in Berlin ist ziemlich »<lb/>
I»roh)08 eine Sammlung: &#x201E;Lieder aus Rom" von Bernhard von Lepel<lb/>
erschienen, in der manches Gelungene sich befindet und die namentlich in<lb/>
diesem Augenblicke, wo der römische Stuhl eine Veränderung in der Per¬<lb/>
son des Papstes erhalten, viel Leser finden wird. Unter anderm ist uns<lb/>
&#x201E;eine römische Volkslegende" aufgefallen, die man dem Geiste der heu¬<lb/>
tigen Römer kaum zutrauen sollte.  Sie lautet folgender Gestalt:</p><lb/>
            <quote>
              <lg xml:id="POEMID_40" type="poem">
                <l> Der Herr mit seiner Jünger Zahl<lb/>
Lustwandelt' durch ein stilles Thal.</l>
                <l> Sie trafen einen Esel an<lb/>
Und bei dem Esel einen Mann.</l>
                <l> Dem Mann eine Thräne vom Auge rollt',<lb/>
Dieweil sein Esel nicht vorwärts wollt.</l>
                <l> Auf dem Rücken lag das störrische Thier<lb/>
Und streckte gen Himmel alle Bier.</l>
                <l> Aervrochen lag rings Korb und Krug,<lb/>
Und was er sonst an Kram noch trug.</l>
                <l> Da siel der Mann auf seine Knie:<lb/>
&#x201E;O Himmel auf mich nieder sich!</l>
                <l> &#x201E;Sanct Urban, Sanct Sebastian,<lb/>
&#x201E;Sanct Benedict und Sanct Stephan,</l>
              </lg>
            </quote><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0588] hat Berlin! etwas über 4MM<? Einwohner. Hierunter sind weibliche und mannlich- in ziemlich gleicher Hälfte. Rechnen wir von den MOMO männlichen Bewohnern die Hälfte Kinder und Jünglinge, so bleiben IWMv Männer. Somit zeigt es sich, daß in Berlin der zweihundertste Mann ein Schriftsteller ist. — Den Gegnern der Geschworenen-Gerichte, die kein 'Argument, und wäre es noch so schwindsüchtig, verschmähen, um gegen die Wünsche deutscher Nation anzukämpfen, können wir ein neues Einwendungsmittcl empfehlen. Ein Missethäter, der vor einigen Tagen in Paris zu Kerker¬ strafe verurtheilt wurde, schrie, als er sein Urtheil hörte, plötzlich aus: Ja, es ist wahr, ich habe gestohlen, aber die Gerechtigkeit ist ungerecht. Wer sind diejenigen, die mich verurtheilen? Schneider und Handschuh¬ macher, Fabrikanten und Banquiers, Aerzte und Gutsbesitzer. — Das sind die Leute, aus denen die Geschworenen zusammengesetzt sind. Leute aus allen Ständen, nur nicht aus dem meinigen. Leute, die sich vor¬ trefflich auf Hosen und Hosenträger, auf Maschinen und Wechselbriefe, auf Ackerbau und Wassersucht verstehen. Aber was verstehen diese Leute vom Diebstahl? Die Charte sagt ausdrücklich, daß ,,jeder Franzose von seines Gleichen gerichtet werden soll" und die Charte wird nur dann erst eine Wahrheit werden, wenn die Geschworenen für uns in La Roquette oder in einem sonstigen Bagno gewählt werden. — Ist dieses Argument gegen die Schwurgerichte etwa schlechter als so manches andere? — — Im Verlag von Alexander Dunker in Berlin ist ziemlich » I»roh)08 eine Sammlung: „Lieder aus Rom" von Bernhard von Lepel erschienen, in der manches Gelungene sich befindet und die namentlich in diesem Augenblicke, wo der römische Stuhl eine Veränderung in der Per¬ son des Papstes erhalten, viel Leser finden wird. Unter anderm ist uns „eine römische Volkslegende" aufgefallen, die man dem Geiste der heu¬ tigen Römer kaum zutrauen sollte. Sie lautet folgender Gestalt: Der Herr mit seiner Jünger Zahl Lustwandelt' durch ein stilles Thal. Sie trafen einen Esel an Und bei dem Esel einen Mann. Dem Mann eine Thräne vom Auge rollt', Dieweil sein Esel nicht vorwärts wollt. Auf dem Rücken lag das störrische Thier Und streckte gen Himmel alle Bier. Aervrochen lag rings Korb und Krug, Und was er sonst an Kram noch trug. Da siel der Mann auf seine Knie: „O Himmel auf mich nieder sich! „Sanct Urban, Sanct Sebastian, „Sanct Benedict und Sanct Stephan,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/588
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/588>, abgerufen am 24.11.2024.