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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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weiter nichts begangen, als einen stechen Kellner geschüttelt hatte. ES
schlug 12 Uhr. Kaum waren die Glockentöne verhallt, so öffnete sich
ein Schieber an der Wand, und man reichte mir ein Stück Brod und
einen Krug Wasser herein.

"He, guter Freund," rief ich meinem Kerkermeister zu, "wißt Ihr
nicht, weshalb man mich hier gefangen hält?"

Der einsylbige Mann schüttelte den Kopf, schloß die Oeffnung
in der Wand und entfernte sich. In dieser Lage, theuerster Carl, habe
ich mich drei Tage befunden, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mich
die Langeweile quälte, und wie ich Alles verwünschte, die Heirathslust,
die Erbschaft, die Maskenbälle und alle "Zoctoi-os und "loetigsimi aus
der Residenz. Endlich am vierten Tage knarrte die schwere eiserne
Thüre und ich erstaunte nicht wenig, meinen Protector, den Herrn
Commilitonen eintreten zu sehen.

"Nun," fragte er mich scherzend, "haben Sie sich in Ihrer neuen
Wohnung eingerichtet?"

Würde man nicht durch Schaden klug, lieber Carl, ich glaube,
ich hätte den geehrten Doctor juris an die eiserne Kerkerthüre gerannt,
so aber begnügte ich mich zu erwiedern:

"Wenn Sie ein Mann von Ehre wären, Herr Doctor, so würden
Sie nicht kommen, einen Unglücklichen zu verspotten, an dessen traurige
Lage Sie die meiste Schuld haben."

"Ich, Herr Doctor?"

"Allerdings; denn hätten Sie mich damals nicht in jenem grünen
Cabinette eingesperrt, so säße ich auch wahrscheinlich jetzt nicht hier."

"Wissen Sie denn," fragte mich der Herr Commilitone, "weshalb
Sie eigentlich hier sitzen? Man hat Sie wegen Mordanfall und Hoch¬
verrath angeklagt. Vielleicht wissen Sie noch gar nicht, wen Sie an
jenem Abend so übel tractirten?"

"Nun, einen erbärmlichen Kellner des Hotels," erwiederte ich,
nicht wenig überrascht von den Übeln Nachrichten. Der Doctor brach
von Neuem in lautes Lachen aus.

"Nein, nein!" rief er lustig, "Sie haben Se. Excellenz den Herrn
Minister der Justiz angefallen. Freilich muß ich Ihren Witz bewun¬
dern, der ihn mit einem jener Kellner vergleicht, aber jetzt will ich mich
wegen Ihrer obigen Beschuldigungen rechtfertigen. Wissen Sie zuerst,
daß Sie nicht in einem Gasthof, sondern im Hause Sr. Ercellenz ge¬
wesen. Ein Zufall führte Sie herein und mir in die Hände. Der
Minister gab zufällig an jenem Abende auch einen Ball, die Diener-


weiter nichts begangen, als einen stechen Kellner geschüttelt hatte. ES
schlug 12 Uhr. Kaum waren die Glockentöne verhallt, so öffnete sich
ein Schieber an der Wand, und man reichte mir ein Stück Brod und
einen Krug Wasser herein.

„He, guter Freund," rief ich meinem Kerkermeister zu, „wißt Ihr
nicht, weshalb man mich hier gefangen hält?"

Der einsylbige Mann schüttelte den Kopf, schloß die Oeffnung
in der Wand und entfernte sich. In dieser Lage, theuerster Carl, habe
ich mich drei Tage befunden, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mich
die Langeweile quälte, und wie ich Alles verwünschte, die Heirathslust,
die Erbschaft, die Maskenbälle und alle «Zoctoi-os und «loetigsimi aus
der Residenz. Endlich am vierten Tage knarrte die schwere eiserne
Thüre und ich erstaunte nicht wenig, meinen Protector, den Herrn
Commilitonen eintreten zu sehen.

„Nun," fragte er mich scherzend, „haben Sie sich in Ihrer neuen
Wohnung eingerichtet?"

Würde man nicht durch Schaden klug, lieber Carl, ich glaube,
ich hätte den geehrten Doctor juris an die eiserne Kerkerthüre gerannt,
so aber begnügte ich mich zu erwiedern:

„Wenn Sie ein Mann von Ehre wären, Herr Doctor, so würden
Sie nicht kommen, einen Unglücklichen zu verspotten, an dessen traurige
Lage Sie die meiste Schuld haben."

„Ich, Herr Doctor?"

„Allerdings; denn hätten Sie mich damals nicht in jenem grünen
Cabinette eingesperrt, so säße ich auch wahrscheinlich jetzt nicht hier."

„Wissen Sie denn," fragte mich der Herr Commilitone, „weshalb
Sie eigentlich hier sitzen? Man hat Sie wegen Mordanfall und Hoch¬
verrath angeklagt. Vielleicht wissen Sie noch gar nicht, wen Sie an
jenem Abend so übel tractirten?"

„Nun, einen erbärmlichen Kellner des Hotels," erwiederte ich,
nicht wenig überrascht von den Übeln Nachrichten. Der Doctor brach
von Neuem in lautes Lachen aus.

„Nein, nein!" rief er lustig, „Sie haben Se. Excellenz den Herrn
Minister der Justiz angefallen. Freilich muß ich Ihren Witz bewun¬
dern, der ihn mit einem jener Kellner vergleicht, aber jetzt will ich mich
wegen Ihrer obigen Beschuldigungen rechtfertigen. Wissen Sie zuerst,
daß Sie nicht in einem Gasthof, sondern im Hause Sr. Ercellenz ge¬
wesen. Ein Zufall führte Sie herein und mir in die Hände. Der
Minister gab zufällig an jenem Abende auch einen Ball, die Diener-


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[0566] weiter nichts begangen, als einen stechen Kellner geschüttelt hatte. ES schlug 12 Uhr. Kaum waren die Glockentöne verhallt, so öffnete sich ein Schieber an der Wand, und man reichte mir ein Stück Brod und einen Krug Wasser herein. „He, guter Freund," rief ich meinem Kerkermeister zu, „wißt Ihr nicht, weshalb man mich hier gefangen hält?" Der einsylbige Mann schüttelte den Kopf, schloß die Oeffnung in der Wand und entfernte sich. In dieser Lage, theuerster Carl, habe ich mich drei Tage befunden, Du kannst Dir nicht vorstellen, wie mich die Langeweile quälte, und wie ich Alles verwünschte, die Heirathslust, die Erbschaft, die Maskenbälle und alle «Zoctoi-os und «loetigsimi aus der Residenz. Endlich am vierten Tage knarrte die schwere eiserne Thüre und ich erstaunte nicht wenig, meinen Protector, den Herrn Commilitonen eintreten zu sehen. „Nun," fragte er mich scherzend, „haben Sie sich in Ihrer neuen Wohnung eingerichtet?" Würde man nicht durch Schaden klug, lieber Carl, ich glaube, ich hätte den geehrten Doctor juris an die eiserne Kerkerthüre gerannt, so aber begnügte ich mich zu erwiedern: „Wenn Sie ein Mann von Ehre wären, Herr Doctor, so würden Sie nicht kommen, einen Unglücklichen zu verspotten, an dessen traurige Lage Sie die meiste Schuld haben." „Ich, Herr Doctor?" „Allerdings; denn hätten Sie mich damals nicht in jenem grünen Cabinette eingesperrt, so säße ich auch wahrscheinlich jetzt nicht hier." „Wissen Sie denn," fragte mich der Herr Commilitone, „weshalb Sie eigentlich hier sitzen? Man hat Sie wegen Mordanfall und Hoch¬ verrath angeklagt. Vielleicht wissen Sie noch gar nicht, wen Sie an jenem Abend so übel tractirten?" „Nun, einen erbärmlichen Kellner des Hotels," erwiederte ich, nicht wenig überrascht von den Übeln Nachrichten. Der Doctor brach von Neuem in lautes Lachen aus. „Nein, nein!" rief er lustig, „Sie haben Se. Excellenz den Herrn Minister der Justiz angefallen. Freilich muß ich Ihren Witz bewun¬ dern, der ihn mit einem jener Kellner vergleicht, aber jetzt will ich mich wegen Ihrer obigen Beschuldigungen rechtfertigen. Wissen Sie zuerst, daß Sie nicht in einem Gasthof, sondern im Hause Sr. Ercellenz ge¬ wesen. Ein Zufall führte Sie herein und mir in die Hände. Der Minister gab zufällig an jenem Abende auch einen Ball, die Diener-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/566>, abgerufen am 24.11.2024.