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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Dich lehren, daß man ein Weib achten muß und daß es eine Büberei
war, die Ohnmächtige küssen zu wollen!"

Von Neuem faßte ich meinen Mann beim Kragen und schüttelte
ihn mit der ganzen Kraft eines Trunkenen. Indeß füllte sich die Stube
mit Herren, die aus dem Ballsaal kamen, man eilte dem Angegriffenen
zu Hilfe, riß mir den Degen, dessen Klinge an der Scheide aber fest¬
genagelt war, von der Seite, warf mich zu Boden, knebelte mich mit
Taschentüchern und zog mir die Maske vom Gesicht. Unter den An¬
wesenden bemerkte ich auch meinen guten Freund, den Dr. juris, er
wollte sich bald todtlachen, während die Andern mich mit ihren Blicken
durchbohrten, oder sich um den Gemißhandelten drängten und ihn mit
der Frage, was geschehen sei, bestürmten.

"Wie heißt denn der Mensch?" frug man sich überall. Keiner
antwortete. Endlich hatte sich der überraschte Liebhaber soweit von
seinem Schrecken erholt, daß er das Räthsel lösen konnte.

"Ich bin angefallen worden!" rief er. "Man hat mich erwürgen
wollen, es ist irgend ein Fanatiker hier eingedrungen, seiner Wuth
sollte ich zum Opfer fallen. Hildemann," fuhr er fort, sich an einen
der Kellner oder Dienstboten wendend, die mich gepackt hielten, "Hilde-
mann, schafft den Menschen fort."

Ich glaubte, mein Beschützer, der Doctor aus der Residenz, würde
ein aufklärendes Wort für mich sprechen, da er es doch eigentlich ge¬
wesen, der mir die ganze Suppe eingebrockt, aber sein Lachkrampf
währte noch immer fort und er ließ es ruhig geschehen, daß man mich
den Weg, den ich gekommen, zurückschleppte, eine kleine Holztreppe
die ich vorher nicht bemerkt hatte, hinunterführte und in einen Wagen
steigen ließ. Hier verließen mich meine Sinne, ich fiel in einen todten-
ähnlichen Schlaf, und was sie weiter mit mir angefangen, weiß ich
nicht.

Als ich erwachte, stand die Sonne schon im Mittag. Ich befand
mich in einem engen Raume auf einer harten Streu. Das Gemach
war kaum so groß, daß ich drei Schritte gehen konnte und enthielt
nichts als besagte Streu, vier kahle Wände und einen einzigen Holz-
schemmel. Eine schwere, eiserne Thüre verschloß den Eingang, dicke
rostige Eisenstangen das einzige Fenster, ich saß also gefangen. Ich
glaubte geträumt zu haben oder noch zu träumen, nur mein schwarzer
Maskenanzug erDnerte mich noch an das Vergangene. Als ich all-
mälig mir meine Abenteuer wieder vergegenwärtigt hatte, fragte ich
mich selbst, warum man mich denn eigentlich einschlösse, da ich doch


Dich lehren, daß man ein Weib achten muß und daß es eine Büberei
war, die Ohnmächtige küssen zu wollen!"

Von Neuem faßte ich meinen Mann beim Kragen und schüttelte
ihn mit der ganzen Kraft eines Trunkenen. Indeß füllte sich die Stube
mit Herren, die aus dem Ballsaal kamen, man eilte dem Angegriffenen
zu Hilfe, riß mir den Degen, dessen Klinge an der Scheide aber fest¬
genagelt war, von der Seite, warf mich zu Boden, knebelte mich mit
Taschentüchern und zog mir die Maske vom Gesicht. Unter den An¬
wesenden bemerkte ich auch meinen guten Freund, den Dr. juris, er
wollte sich bald todtlachen, während die Andern mich mit ihren Blicken
durchbohrten, oder sich um den Gemißhandelten drängten und ihn mit
der Frage, was geschehen sei, bestürmten.

„Wie heißt denn der Mensch?" frug man sich überall. Keiner
antwortete. Endlich hatte sich der überraschte Liebhaber soweit von
seinem Schrecken erholt, daß er das Räthsel lösen konnte.

„Ich bin angefallen worden!" rief er. „Man hat mich erwürgen
wollen, es ist irgend ein Fanatiker hier eingedrungen, seiner Wuth
sollte ich zum Opfer fallen. Hildemann," fuhr er fort, sich an einen
der Kellner oder Dienstboten wendend, die mich gepackt hielten, „Hilde-
mann, schafft den Menschen fort."

Ich glaubte, mein Beschützer, der Doctor aus der Residenz, würde
ein aufklärendes Wort für mich sprechen, da er es doch eigentlich ge¬
wesen, der mir die ganze Suppe eingebrockt, aber sein Lachkrampf
währte noch immer fort und er ließ es ruhig geschehen, daß man mich
den Weg, den ich gekommen, zurückschleppte, eine kleine Holztreppe
die ich vorher nicht bemerkt hatte, hinunterführte und in einen Wagen
steigen ließ. Hier verließen mich meine Sinne, ich fiel in einen todten-
ähnlichen Schlaf, und was sie weiter mit mir angefangen, weiß ich
nicht.

Als ich erwachte, stand die Sonne schon im Mittag. Ich befand
mich in einem engen Raume auf einer harten Streu. Das Gemach
war kaum so groß, daß ich drei Schritte gehen konnte und enthielt
nichts als besagte Streu, vier kahle Wände und einen einzigen Holz-
schemmel. Eine schwere, eiserne Thüre verschloß den Eingang, dicke
rostige Eisenstangen das einzige Fenster, ich saß also gefangen. Ich
glaubte geträumt zu haben oder noch zu träumen, nur mein schwarzer
Maskenanzug erDnerte mich noch an das Vergangene. Als ich all-
mälig mir meine Abenteuer wieder vergegenwärtigt hatte, fragte ich
mich selbst, warum man mich denn eigentlich einschlösse, da ich doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/565>, abgerufen am 24.11.2024.