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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Verbrechen die wirklichen Raubmorde überhaupt bei uns die selten-
sten sind, selten oder nie, aber vollends ist wohl glücklicherweise die
bloße Armuth, und nur sie allein, der Beweggrund zu einem Raub¬
morde geworden. Ganz andre Wurzeln, als Noth und Elend, hat
ferner namentlich auch der feige, heimtückische Giftmord, und die Brin-
villierö, Ursinus, Zwanziger, Gehabe Gottfried, Lafarge, ein Castaing,
ein v. Essen u. A. lebten in guten, großentheils sogar glänzenden
Verhältnissen. Auch der Kindermord, bei dem wohl schon häufiger
das materielle Elend der verlassenen Mutter in einem Lande, das öf¬
fentliche Findelhäuser nicht kennt, mitwirkendes Motiv sein mag, wird
ohne Zweifel vorzugsweise aus andern Beweggründen, die ungetrübte
Zurechiiungsfähigkeit der Thäterin vorausgesetzt, verübt. Ganz das
Gleiche gilt von den Selbstmorden. Und daß die Verbrechen aus
Sinnlichkeit mehr von abgestumpften, wohlhabenden Wüstlingen, und
selbst Seitens des weiblichen Theils nicht selten eher aus Sinnenlust,
Liebe zum Lurus, Arbeitsscheu u. s. w. begangen werden, als aus
Noth und Elend, lehrt die tägliche Erfahrung.

Andrerseits drängt sich wieder der Erwägung auf, daß, wenn
Wohlstand im Allgemeinen die Civilisation, die Gesittung, die Cultur
befördert und mittelst dieser die Leidenschaften mehr zügeln lehrt, der¬
selbe allerdings bis auf einen gewissen Grad den Verbrechen aus Lei¬
denschaft mehr wehren dürfte, und daß umgekehrt unter den hier be¬
trachteten Verbrechen doch auch mehrere mitbegriffen sind, bei denen
Armuth und Elend doch oft die ursprünglichen Veranlassungen sind,
so daß allerdings der materiellen Noth oder dem Wohlstande wohl
einiger Antheil an Mehrung oder Minderung selbst der schwerern Ver¬
brechen zuzuschreiben sein dürfte. Diese Verhältnisse sollten nur hier her¬
vorgehoben werden, um zu zeigen, daß auch bei dieser wichtigen Frage
ein allgemeines, oberflächliches Urtheil nicht zur Lösung ausreicht,
sondern daß auch hier eS eingehender Untersuchungen bedarf.

Die Schwierigkeit derselben beruht aber in der Vorfrage, welche
Bevölkerung man unter Mehrern vergleichungsweise als die wohlha¬
bendere, welche als die ärmere anzusehen habe? Ich muß es Sachken¬
nern überlassen, zu entscheiden, ob und in wie weit hierin die Steuer¬
summe des einzelnen Kopfes als maßgebend zu betrachten sei, und
bedauere jedenfalls, daß mir keine Materialien zu Gebote stehen, um
nach den gezählten Steuern die Wohlhabenheit in den einzelnen Pro¬
vinzen des preußischen Staates zu ermessen. Es fehlt aber nicht an
andern Grundlagen hierzu. Sehr treffend scheint es, wenn ein so


Verbrechen die wirklichen Raubmorde überhaupt bei uns die selten-
sten sind, selten oder nie, aber vollends ist wohl glücklicherweise die
bloße Armuth, und nur sie allein, der Beweggrund zu einem Raub¬
morde geworden. Ganz andre Wurzeln, als Noth und Elend, hat
ferner namentlich auch der feige, heimtückische Giftmord, und die Brin-
villierö, Ursinus, Zwanziger, Gehabe Gottfried, Lafarge, ein Castaing,
ein v. Essen u. A. lebten in guten, großentheils sogar glänzenden
Verhältnissen. Auch der Kindermord, bei dem wohl schon häufiger
das materielle Elend der verlassenen Mutter in einem Lande, das öf¬
fentliche Findelhäuser nicht kennt, mitwirkendes Motiv sein mag, wird
ohne Zweifel vorzugsweise aus andern Beweggründen, die ungetrübte
Zurechiiungsfähigkeit der Thäterin vorausgesetzt, verübt. Ganz das
Gleiche gilt von den Selbstmorden. Und daß die Verbrechen aus
Sinnlichkeit mehr von abgestumpften, wohlhabenden Wüstlingen, und
selbst Seitens des weiblichen Theils nicht selten eher aus Sinnenlust,
Liebe zum Lurus, Arbeitsscheu u. s. w. begangen werden, als aus
Noth und Elend, lehrt die tägliche Erfahrung.

Andrerseits drängt sich wieder der Erwägung auf, daß, wenn
Wohlstand im Allgemeinen die Civilisation, die Gesittung, die Cultur
befördert und mittelst dieser die Leidenschaften mehr zügeln lehrt, der¬
selbe allerdings bis auf einen gewissen Grad den Verbrechen aus Lei¬
denschaft mehr wehren dürfte, und daß umgekehrt unter den hier be¬
trachteten Verbrechen doch auch mehrere mitbegriffen sind, bei denen
Armuth und Elend doch oft die ursprünglichen Veranlassungen sind,
so daß allerdings der materiellen Noth oder dem Wohlstande wohl
einiger Antheil an Mehrung oder Minderung selbst der schwerern Ver¬
brechen zuzuschreiben sein dürfte. Diese Verhältnisse sollten nur hier her¬
vorgehoben werden, um zu zeigen, daß auch bei dieser wichtigen Frage
ein allgemeines, oberflächliches Urtheil nicht zur Lösung ausreicht,
sondern daß auch hier eS eingehender Untersuchungen bedarf.

Die Schwierigkeit derselben beruht aber in der Vorfrage, welche
Bevölkerung man unter Mehrern vergleichungsweise als die wohlha¬
bendere, welche als die ärmere anzusehen habe? Ich muß es Sachken¬
nern überlassen, zu entscheiden, ob und in wie weit hierin die Steuer¬
summe des einzelnen Kopfes als maßgebend zu betrachten sei, und
bedauere jedenfalls, daß mir keine Materialien zu Gebote stehen, um
nach den gezählten Steuern die Wohlhabenheit in den einzelnen Pro¬
vinzen des preußischen Staates zu ermessen. Es fehlt aber nicht an
andern Grundlagen hierzu. Sehr treffend scheint es, wenn ein so


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[0474] Verbrechen die wirklichen Raubmorde überhaupt bei uns die selten- sten sind, selten oder nie, aber vollends ist wohl glücklicherweise die bloße Armuth, und nur sie allein, der Beweggrund zu einem Raub¬ morde geworden. Ganz andre Wurzeln, als Noth und Elend, hat ferner namentlich auch der feige, heimtückische Giftmord, und die Brin- villierö, Ursinus, Zwanziger, Gehabe Gottfried, Lafarge, ein Castaing, ein v. Essen u. A. lebten in guten, großentheils sogar glänzenden Verhältnissen. Auch der Kindermord, bei dem wohl schon häufiger das materielle Elend der verlassenen Mutter in einem Lande, das öf¬ fentliche Findelhäuser nicht kennt, mitwirkendes Motiv sein mag, wird ohne Zweifel vorzugsweise aus andern Beweggründen, die ungetrübte Zurechiiungsfähigkeit der Thäterin vorausgesetzt, verübt. Ganz das Gleiche gilt von den Selbstmorden. Und daß die Verbrechen aus Sinnlichkeit mehr von abgestumpften, wohlhabenden Wüstlingen, und selbst Seitens des weiblichen Theils nicht selten eher aus Sinnenlust, Liebe zum Lurus, Arbeitsscheu u. s. w. begangen werden, als aus Noth und Elend, lehrt die tägliche Erfahrung. Andrerseits drängt sich wieder der Erwägung auf, daß, wenn Wohlstand im Allgemeinen die Civilisation, die Gesittung, die Cultur befördert und mittelst dieser die Leidenschaften mehr zügeln lehrt, der¬ selbe allerdings bis auf einen gewissen Grad den Verbrechen aus Lei¬ denschaft mehr wehren dürfte, und daß umgekehrt unter den hier be¬ trachteten Verbrechen doch auch mehrere mitbegriffen sind, bei denen Armuth und Elend doch oft die ursprünglichen Veranlassungen sind, so daß allerdings der materiellen Noth oder dem Wohlstande wohl einiger Antheil an Mehrung oder Minderung selbst der schwerern Ver¬ brechen zuzuschreiben sein dürfte. Diese Verhältnisse sollten nur hier her¬ vorgehoben werden, um zu zeigen, daß auch bei dieser wichtigen Frage ein allgemeines, oberflächliches Urtheil nicht zur Lösung ausreicht, sondern daß auch hier eS eingehender Untersuchungen bedarf. Die Schwierigkeit derselben beruht aber in der Vorfrage, welche Bevölkerung man unter Mehrern vergleichungsweise als die wohlha¬ bendere, welche als die ärmere anzusehen habe? Ich muß es Sachken¬ nern überlassen, zu entscheiden, ob und in wie weit hierin die Steuer¬ summe des einzelnen Kopfes als maßgebend zu betrachten sei, und bedauere jedenfalls, daß mir keine Materialien zu Gebote stehen, um nach den gezählten Steuern die Wohlhabenheit in den einzelnen Pro¬ vinzen des preußischen Staates zu ermessen. Es fehlt aber nicht an andern Grundlagen hierzu. Sehr treffend scheint es, wenn ein so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/474>, abgerufen am 27.11.2024.