Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.es sehe", meine Theure, und er soll Deine Tochter die erste Commu- Sechster Brief. Der Pater Bukowizka an den Pater Professor im Seminarium Mein verehrter Lehrer! Diesmal ist's der Pfarrer von Sanct 59*
es sehe», meine Theure, und er soll Deine Tochter die erste Commu- Sechster Brief. Der Pater Bukowizka an den Pater Professor im Seminarium Mein verehrter Lehrer! Diesmal ist's der Pfarrer von Sanct 59*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182894"/> <p xml:id="ID_1377" prev="#ID_1376"> es sehe», meine Theure, und er soll Deine Tochter die erste Commu-<lb/> nion ablegen lassen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Sechster Brief.<lb/> Der Pater Bukowizka an den Pater Professor im Seminarium</head><lb/> <p xml:id="ID_1378" next="#ID_1379"> Mein verehrter Lehrer! Diesmal ist's der Pfarrer von Sanct<lb/> Stephan, der Ihnen schreibt, nicht mehr der bescheidene Kaplan von<lb/> Etvöos. Ich habe meine Sümpfe verlassen und bin nun Städter; ich<lb/> habe eine schöne Pfarre in der größten Straße von N., in einer großen,<lb/> wohlgebauten und reich ausgestatteten Kirche. Als ich das erste Mal hier<lb/> die Messe las vor einem marmornen Altar, der über und über von Ver¬<lb/> goldungen glänzt, fragte ich mich, ob ich es denn sei. Worauf ich mich<lb/> ganz besonders freue, ist der Gedanke, daß Sie in den nächsten Ferien<lb/> mir einen Besuch machen werden, daß ich ein gutes Zimmer und ein<lb/> gutes Bett für Sie haben werde, eines gewissen Tokayerweins nicht<lb/> zu gedenken, den ich meinen Tokayer von Etvöos nenne und der gewiß<lb/> Ihrer würdig ist. Aber, werden Sie mich fragen, wie so von Etvöos<lb/> nach Sanct Stephan in N. ? Sie haben mich am Eingang eines<lb/> Kirchleins gelassen; Sie finden mich auf einem stolzen Glockenthurm<lb/> wieder. Mein verehrter Lehrer! die Vorsehung hat nach Etvöos eine<lb/> vornehme Dame aus Wien geführt, welche durch Unglücksfälle, wie<lb/> sie uns nie begegnen, genöthigt ist, augenblicklich mit zehntausend<lb/> Gulden jährlich auszukommen. Es ist eine liebenswürdige und gute<lb/> Person, leider nur etwas verdorben durch frivole Lectüre und durch<lb/> den Umgang mit den Gecken in der Hauptstadt. Da sie sich mit einem<lb/> Manne, mit dem sie nicht sehr glücklich ist, zu Tode langweilt, so hat<lb/> sie mir die Ehre erwiesen, mir ihre Gunst zu schenken. Es gab Ge¬<lb/> schenke ohne Ende, beständige Einladungen, jeden Tag irgend ein neues<lb/> Project, wo ich nothwendig war. - Herr Pater, ich will Latein ter^<lb/> nen! Herr Kaplan, ich will Ungarisch lernen! Herr Pater, ich will<lb/> Botanik lernen! Ja, zuletzt verlangte sie gar, ich sollte sie in der<lb/> Theologie unterrichten. Zum Glück waren ihre Einfälle nicht von<lb/> langer Dauer, und selten ward der Unterricht über die dritte Stunde<lb/> hinaus fortgesetzt. Als ich ihr gesagt, daß auf Lateinisch ross, soviel<lb/> heißt als Rose, rief sie: „Pater, Sie sind ein Brunnen von Gelehr-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 59*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
es sehe», meine Theure, und er soll Deine Tochter die erste Commu-
nion ablegen lassen.
Sechster Brief.
Der Pater Bukowizka an den Pater Professor im Seminarium
Mein verehrter Lehrer! Diesmal ist's der Pfarrer von Sanct
Stephan, der Ihnen schreibt, nicht mehr der bescheidene Kaplan von
Etvöos. Ich habe meine Sümpfe verlassen und bin nun Städter; ich
habe eine schöne Pfarre in der größten Straße von N., in einer großen,
wohlgebauten und reich ausgestatteten Kirche. Als ich das erste Mal hier
die Messe las vor einem marmornen Altar, der über und über von Ver¬
goldungen glänzt, fragte ich mich, ob ich es denn sei. Worauf ich mich
ganz besonders freue, ist der Gedanke, daß Sie in den nächsten Ferien
mir einen Besuch machen werden, daß ich ein gutes Zimmer und ein
gutes Bett für Sie haben werde, eines gewissen Tokayerweins nicht
zu gedenken, den ich meinen Tokayer von Etvöos nenne und der gewiß
Ihrer würdig ist. Aber, werden Sie mich fragen, wie so von Etvöos
nach Sanct Stephan in N. ? Sie haben mich am Eingang eines
Kirchleins gelassen; Sie finden mich auf einem stolzen Glockenthurm
wieder. Mein verehrter Lehrer! die Vorsehung hat nach Etvöos eine
vornehme Dame aus Wien geführt, welche durch Unglücksfälle, wie
sie uns nie begegnen, genöthigt ist, augenblicklich mit zehntausend
Gulden jährlich auszukommen. Es ist eine liebenswürdige und gute
Person, leider nur etwas verdorben durch frivole Lectüre und durch
den Umgang mit den Gecken in der Hauptstadt. Da sie sich mit einem
Manne, mit dem sie nicht sehr glücklich ist, zu Tode langweilt, so hat
sie mir die Ehre erwiesen, mir ihre Gunst zu schenken. Es gab Ge¬
schenke ohne Ende, beständige Einladungen, jeden Tag irgend ein neues
Project, wo ich nothwendig war. - Herr Pater, ich will Latein ter^
nen! Herr Kaplan, ich will Ungarisch lernen! Herr Pater, ich will
Botanik lernen! Ja, zuletzt verlangte sie gar, ich sollte sie in der
Theologie unterrichten. Zum Glück waren ihre Einfälle nicht von
langer Dauer, und selten ward der Unterricht über die dritte Stunde
hinaus fortgesetzt. Als ich ihr gesagt, daß auf Lateinisch ross, soviel
heißt als Rose, rief sie: „Pater, Sie sind ein Brunnen von Gelehr-
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