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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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als möglich schicken.


Dritter Brief.
Dieselbe an Dieselbe.

Ich langweile mich in Etvöos durchaus nicht. Ueberdies habe
ich eine Beschäftigung gefunden, eine interessante Beschäftigung, die
ich meinem Pater verdanke. Mein Pater weiß Alles, und außerdem
noch Botanik. Ich hatte Gelegenheit, dies zu bemerken, als ich ihn eine
schlechte Tulpe, die ich statt etwas Bessern auf den Tisch stellte, la¬
teinisch benennen hörte. "Sie verstehen also Botanik? -- Sehr we¬
nig, antwortete er. Doch genug, um den Bewohnern dieser Gegend
die einfachen Heilmittel, die ihnen nützlich sein können, anzuzeigen, je¬
denfalls genug, um meinen einsamen Spaziergängen einiges Interesse
zu geben." Ich begriff sofort, daß es sehr amüsant sein würde, schöne
Blumen auf meinen Ausflügen zu sammeln, sie trocknen zu lassen und
ein Herbarium anzulegen. "Lehren Sie mich Botanik," sagte ich zu
ihm. Er wollte bis zum Frühling warten, da es in dieser Jahreszeit
keine Blumen gebe. "Aber Sie haben ja getrocknete Blumen," sagte ich
ihm. "Ich habe sie bei Ihnen gesehen." Ich glaube Dir von einem
allen kostbar verwahrten Sträußchen erzählt zu haben. Da hättest Du
sein Gesicht sehen sollen!... Armer Unglücklicher! Ich bereute schnell
meine unbesonnene Anspielung. Um ihn zu zerstreuen, sagte ich, daß
wir durchaus eine Sammlung getrockneter Pflanzen anlegen müßten,
und bereits am andern Morgen brachte er mir in einem Päckchen
grauen Papiers eine Menge niedlicher Pflanzen, jede mit ihrer Auf¬
schrift. Der botanische Cursus hat begonnen, ich habe sogleich er¬
staunliche Fortschritte gemacht. Wovon ich aber keine Ahnung hatte,
das ist die Unsittlichkeit dieser Botanik, und die Schwierigkeit der er¬
sten Erklärungen, besonders für einen Pater. Du mußt wissen, meine
Liebe, daß die Pflanzen sich vermählen so gut wie wir, aber die mei¬
sten haben viele Männer. Mail nennt die einen Phanerogamen,
d, h. so viel wie öffentlich vermählt. Ihnen gegenüber stehen die
Kryptogamen, die heimlichen Ehen. Die Schwämme, die Du
ißt, vermählen sich heimlich. Alles dies ist sehr skandalös; aber er
weiß sich gut herauszuziehen, besser als ich, die ich so albern war,


Salon stände». Du wirft mir einen aussuchen und nur 'ihn so schnell
als möglich schicken.


Dritter Brief.
Dieselbe an Dieselbe.

Ich langweile mich in Etvöos durchaus nicht. Ueberdies habe
ich eine Beschäftigung gefunden, eine interessante Beschäftigung, die
ich meinem Pater verdanke. Mein Pater weiß Alles, und außerdem
noch Botanik. Ich hatte Gelegenheit, dies zu bemerken, als ich ihn eine
schlechte Tulpe, die ich statt etwas Bessern auf den Tisch stellte, la¬
teinisch benennen hörte. „Sie verstehen also Botanik? — Sehr we¬
nig, antwortete er. Doch genug, um den Bewohnern dieser Gegend
die einfachen Heilmittel, die ihnen nützlich sein können, anzuzeigen, je¬
denfalls genug, um meinen einsamen Spaziergängen einiges Interesse
zu geben." Ich begriff sofort, daß es sehr amüsant sein würde, schöne
Blumen auf meinen Ausflügen zu sammeln, sie trocknen zu lassen und
ein Herbarium anzulegen. „Lehren Sie mich Botanik," sagte ich zu
ihm. Er wollte bis zum Frühling warten, da es in dieser Jahreszeit
keine Blumen gebe. „Aber Sie haben ja getrocknete Blumen," sagte ich
ihm. „Ich habe sie bei Ihnen gesehen." Ich glaube Dir von einem
allen kostbar verwahrten Sträußchen erzählt zu haben. Da hättest Du
sein Gesicht sehen sollen!... Armer Unglücklicher! Ich bereute schnell
meine unbesonnene Anspielung. Um ihn zu zerstreuen, sagte ich, daß
wir durchaus eine Sammlung getrockneter Pflanzen anlegen müßten,
und bereits am andern Morgen brachte er mir in einem Päckchen
grauen Papiers eine Menge niedlicher Pflanzen, jede mit ihrer Auf¬
schrift. Der botanische Cursus hat begonnen, ich habe sogleich er¬
staunliche Fortschritte gemacht. Wovon ich aber keine Ahnung hatte,
das ist die Unsittlichkeit dieser Botanik, und die Schwierigkeit der er¬
sten Erklärungen, besonders für einen Pater. Du mußt wissen, meine
Liebe, daß die Pflanzen sich vermählen so gut wie wir, aber die mei¬
sten haben viele Männer. Mail nennt die einen Phanerogamen,
d, h. so viel wie öffentlich vermählt. Ihnen gegenüber stehen die
Kryptogamen, die heimlichen Ehen. Die Schwämme, die Du
ißt, vermählen sich heimlich. Alles dies ist sehr skandalös; aber er
weiß sich gut herauszuziehen, besser als ich, die ich so albern war,


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[0465] Salon stände». Du wirft mir einen aussuchen und nur 'ihn so schnell als möglich schicken. Dritter Brief. Dieselbe an Dieselbe. Ich langweile mich in Etvöos durchaus nicht. Ueberdies habe ich eine Beschäftigung gefunden, eine interessante Beschäftigung, die ich meinem Pater verdanke. Mein Pater weiß Alles, und außerdem noch Botanik. Ich hatte Gelegenheit, dies zu bemerken, als ich ihn eine schlechte Tulpe, die ich statt etwas Bessern auf den Tisch stellte, la¬ teinisch benennen hörte. „Sie verstehen also Botanik? — Sehr we¬ nig, antwortete er. Doch genug, um den Bewohnern dieser Gegend die einfachen Heilmittel, die ihnen nützlich sein können, anzuzeigen, je¬ denfalls genug, um meinen einsamen Spaziergängen einiges Interesse zu geben." Ich begriff sofort, daß es sehr amüsant sein würde, schöne Blumen auf meinen Ausflügen zu sammeln, sie trocknen zu lassen und ein Herbarium anzulegen. „Lehren Sie mich Botanik," sagte ich zu ihm. Er wollte bis zum Frühling warten, da es in dieser Jahreszeit keine Blumen gebe. „Aber Sie haben ja getrocknete Blumen," sagte ich ihm. „Ich habe sie bei Ihnen gesehen." Ich glaube Dir von einem allen kostbar verwahrten Sträußchen erzählt zu haben. Da hättest Du sein Gesicht sehen sollen!... Armer Unglücklicher! Ich bereute schnell meine unbesonnene Anspielung. Um ihn zu zerstreuen, sagte ich, daß wir durchaus eine Sammlung getrockneter Pflanzen anlegen müßten, und bereits am andern Morgen brachte er mir in einem Päckchen grauen Papiers eine Menge niedlicher Pflanzen, jede mit ihrer Auf¬ schrift. Der botanische Cursus hat begonnen, ich habe sogleich er¬ staunliche Fortschritte gemacht. Wovon ich aber keine Ahnung hatte, das ist die Unsittlichkeit dieser Botanik, und die Schwierigkeit der er¬ sten Erklärungen, besonders für einen Pater. Du mußt wissen, meine Liebe, daß die Pflanzen sich vermählen so gut wie wir, aber die mei¬ sten haben viele Männer. Mail nennt die einen Phanerogamen, d, h. so viel wie öffentlich vermählt. Ihnen gegenüber stehen die Kryptogamen, die heimlichen Ehen. Die Schwämme, die Du ißt, vermählen sich heimlich. Alles dies ist sehr skandalös; aber er weiß sich gut herauszuziehen, besser als ich, die ich so albern war,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/465>, abgerufen am 24.11.2024.