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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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aus gewichtigen Ursachen, sehr unzufrieden ist, daß jedoch die Königin
unaufhörlich bittet, man möchte sie nicht fortjagen. Noch von dem
Attentat Lecomte's erschreckt, fürchtet sie stets, daß solch ein aus dem
Dienst gejagter Taugenichts da anfängt, wo Lecomte aufgehört hat.
Welch ein Glück ist es doch, bisweilen nicht König von Frankreich zu
sein. Ich jage meinen Stiefelputzer zum Teufel, wenn er mir die Klei¬
der nicht gut ausbürstet und gehe noch an demselben Tage, ohne alle
Militärbegleitung, gemächlich spazieren.
'

-- Lecomtes Prozeß, Louis Napoleons glückliche Flucht, hat wieder
die Schadenfreude gegen den greisen Franzosenkönig entfesselt. Dem ge-
flüchteten napoleoniden darf man, trotz seines Geckenthums, die gewon¬
nene Freiheit von Herzen gönnen. Aber das Behagen an Lecomte's Pro¬
zeß hat etwas Gräuliches. Es ist ein eigenes Schicksal, das Louis Phi¬
lipp hat. Nicht eine seiner Handlungen wird von der Presse ohne
Mißdeutung gelassen. Jedermann, der sich ihr entgegen stellt, kann sicher
sein in Frankreich und sogar in Deutschland eine gewisse Popularität zu
erhalten. Jedermann, der "angeklagt" wird -- nicht sein Feind zusein,
bemüht sich eiligst sich zu reinigen. Man wagt zwar nicht, die Elenden
öffentlich zu beloben, die ihn zu ermorden versuchten, aber man gefällt
sich drin von ihrer Festigkeit zu sprechen, man übertreibt sogar und er¬
findet allerlei. Ich glaube kaum, daß Nero, Caligula oder Tiberius jemals
-- wenigstens dem äußern Anschein nach -- einen so heftigen und un¬
auslöschlichen Haß erweckt haben, wie Louis Philipp. Wenn man dies
aus der Ferne betrachtet, so dürfte es unbegreiflich bleiben, wie ein Volk
so feig sein kann, einen so abscheulichen Tyrannen nur zwei Tage lang
zu dulden und obendrein ein Volk, das zwei Revolutionen gemacht hat.
Aber in der Nahe besehen, wird man unter der ganzen Liste von Misse¬
thaten, welche die Geschichte jenen drei Cäsaren vorwirft, nicht eine finden,
die man Louis Philipp zuschieben könnte. Dagegen würde Caligula,
wenn man ihn mit all' den Verbrechen belastete, die man Louis Philipp
vorwirft, doch als ein ziemlich ehrlicher Mann erscheinen. Um so merk¬
würdiger ist es, so viele Tacitusse, gegenüber einem so kleinen Bischen
Nero, zu sehen, so viele Brutusse, gegenüber einem so Bischen Cäsar!
--

Bei dem kaiserlichen Hoftheater in Se. Petersburg ist es Statut,
baß ein Schauspieler, der 10 Jahre dort im Engagement stand, Anspruch
auf volle Pension hat, welche er sodann überall, wo er will, verzehren
sick"s ^ nothwendiger Lockvogel für deutsche Künstler, weil
!," wenige verstehen würden, ihren Kopf in den gefährlichen Rachen
i^""se°de zu legen. Ein deutscher Schauspieler, Namens Busse,
R'g," lebt, war bereits neun Jahre Mitglied des kaiserl.
n.^' . traf ihn die Ungnade des Intendanten und er ward ohne
. "^""geschickt. Ein glücklicher Zufall läßt jedoch den tiefbekum-
merten Mann mit einem der Generaladjutantcn des Kaisers zusammen¬
treffen. Er schildert diesem seine Lage und stehe, ihm wird das von
-Mllwnen vergeblich ersehnte Glück, eine Audienz beim Kaiser. Die Be¬
schwerde des Schauspielers wird von dem Czaren gerecht gefunden und
^ schreibt augenblicklich mit Bleistift am Rande eines Papiers, daß dem


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aus gewichtigen Ursachen, sehr unzufrieden ist, daß jedoch die Königin
unaufhörlich bittet, man möchte sie nicht fortjagen. Noch von dem
Attentat Lecomte's erschreckt, fürchtet sie stets, daß solch ein aus dem
Dienst gejagter Taugenichts da anfängt, wo Lecomte aufgehört hat.
Welch ein Glück ist es doch, bisweilen nicht König von Frankreich zu
sein. Ich jage meinen Stiefelputzer zum Teufel, wenn er mir die Klei¬
der nicht gut ausbürstet und gehe noch an demselben Tage, ohne alle
Militärbegleitung, gemächlich spazieren.
'

— Lecomtes Prozeß, Louis Napoleons glückliche Flucht, hat wieder
die Schadenfreude gegen den greisen Franzosenkönig entfesselt. Dem ge-
flüchteten napoleoniden darf man, trotz seines Geckenthums, die gewon¬
nene Freiheit von Herzen gönnen. Aber das Behagen an Lecomte's Pro¬
zeß hat etwas Gräuliches. Es ist ein eigenes Schicksal, das Louis Phi¬
lipp hat. Nicht eine seiner Handlungen wird von der Presse ohne
Mißdeutung gelassen. Jedermann, der sich ihr entgegen stellt, kann sicher
sein in Frankreich und sogar in Deutschland eine gewisse Popularität zu
erhalten. Jedermann, der „angeklagt" wird — nicht sein Feind zusein,
bemüht sich eiligst sich zu reinigen. Man wagt zwar nicht, die Elenden
öffentlich zu beloben, die ihn zu ermorden versuchten, aber man gefällt
sich drin von ihrer Festigkeit zu sprechen, man übertreibt sogar und er¬
findet allerlei. Ich glaube kaum, daß Nero, Caligula oder Tiberius jemals
— wenigstens dem äußern Anschein nach — einen so heftigen und un¬
auslöschlichen Haß erweckt haben, wie Louis Philipp. Wenn man dies
aus der Ferne betrachtet, so dürfte es unbegreiflich bleiben, wie ein Volk
so feig sein kann, einen so abscheulichen Tyrannen nur zwei Tage lang
zu dulden und obendrein ein Volk, das zwei Revolutionen gemacht hat.
Aber in der Nahe besehen, wird man unter der ganzen Liste von Misse¬
thaten, welche die Geschichte jenen drei Cäsaren vorwirft, nicht eine finden,
die man Louis Philipp zuschieben könnte. Dagegen würde Caligula,
wenn man ihn mit all' den Verbrechen belastete, die man Louis Philipp
vorwirft, doch als ein ziemlich ehrlicher Mann erscheinen. Um so merk¬
würdiger ist es, so viele Tacitusse, gegenüber einem so kleinen Bischen
Nero, zu sehen, so viele Brutusse, gegenüber einem so Bischen Cäsar!

Bei dem kaiserlichen Hoftheater in Se. Petersburg ist es Statut,
baß ein Schauspieler, der 10 Jahre dort im Engagement stand, Anspruch
auf volle Pension hat, welche er sodann überall, wo er will, verzehren
sick"s ^ nothwendiger Lockvogel für deutsche Künstler, weil
!,„ wenige verstehen würden, ihren Kopf in den gefährlichen Rachen
i^""se°de zu legen. Ein deutscher Schauspieler, Namens Busse,
R'g," lebt, war bereits neun Jahre Mitglied des kaiserl.
n.^' . traf ihn die Ungnade des Intendanten und er ward ohne
. «^""geschickt. Ein glücklicher Zufall läßt jedoch den tiefbekum-
merten Mann mit einem der Generaladjutantcn des Kaisers zusammen¬
treffen. Er schildert diesem seine Lage und stehe, ihm wird das von
-Mllwnen vergeblich ersehnte Glück, eine Audienz beim Kaiser. Die Be¬
schwerde des Schauspielers wird von dem Czaren gerecht gefunden und
^ schreibt augenblicklich mit Bleistift am Rande eines Papiers, daß dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/459>, abgerufen am 24.11.2024.