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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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starr und bewegungslos auf der andern Seite, die Augen ununter¬
brochen auf mich gerichtet. Man wird mir zugestehen, daß die Lage
keine der angenehmsten war und man wird es mir nicht übel auslegen,
daß ich anfing, etwas bedenklich zu werden und an meine allenfalls
nöthige Vertheidigung zu denken. Ja, ich gestehe sogar, eine,: Augen¬
blick an die Polizei gedacht zu haben, die ich zur Vertrauten meiner
kritischen Lage machen wollte. Es war ja ein Meuchelmord, gegen
den ich mich vertheidigen wollte und meine einzige Waffe war ein
Degenstock, in welchem der Degen fehlte, denn ich hatte ihn in Pom¬
peji beim Graben nach Alterthümern zerbrochen, und so war auch die
leere Hülle zur Vertheidigung zu leicht geworden. Aber pfui doch,
wer wird gleich beim ersten italienischen Abenteuer, bei einem Liebes¬
handel die Polizei, die prosaische Polizei zu Hilfe rufen und wenn
hunderttausend Dolche drohten!? -- Ich wollte es männlich bestehen.

Unglückseliger Weise riefen die leicht begeisterten Italiener den
Compositeur Verdi an jenem Abende volle sechöunddrchng, sage sechö-
unddreißtg Male und die Vorstellung zog sich so sehr in die Länge,
daß es zwei Uhr nach Mitternacht wurde, bevor sie zu Ende kam.
Noch unglücklicher war der Zufall, daß ich beim Herausgehen einem
alten Bekannten begegnete, der mich durch lästiges Geschwätz im Cor-
ridor des Theaters so lange zurückhielt, daß, als ich hinaustrat, die
Gassen stumm und öde waren. Jenseits des Caffv della Scala war
es stockdunkle Nacht. Nicht eine Laterne brannte in den Gassen, die
ich passiren mußte. ES war mir sehr außerordentlich zu Muthe, als
ich jenem schicksalsvollen Dunkel zuschritt. Weder rechts noch links,
weder vor noch hinter mir, war ein menschlicher Tritt zu hören. Es
war stille, wie in" Grabe. Jeden Augenblick erwartete ich, daß aus
irgend einem Nebengäßchen, aus irgend einer Vertiefung in den Häu¬
sern Gaetano auf mich herausspringe und ich hielt meine schwache
Waffe, den ehemaligen Degenstock, krampfhaft umfaßt. Um die un¬
heimliche Stille zu unterbrechen, sang ich mir ein deutsches Lied. --
Aber du mußt deinem Gegner nicht selbst ein Zeichen geben, du mußt
nicht zu viel des Muthes haben, sagte ich mir und hörte auf zu singen.
-- Da mit einem Male, als ich um eine engere Gasse einbog, höre
ich Schritte hinter mir. Er ist es, rief es in meinem Herzen und das
Blut stieg mir zu Kopfe. Er war es auch wirklich! -- Mit Schritten,
denen man es anhörte, daß sie Leidenschaft beflügelte, näherte er sich
mir. Ich sah meinen Gegner nicht, das war das Schreckliche. Erst
als er mir so nahe war, daß ich seinen schnaubenden Athem hörte


starr und bewegungslos auf der andern Seite, die Augen ununter¬
brochen auf mich gerichtet. Man wird mir zugestehen, daß die Lage
keine der angenehmsten war und man wird es mir nicht übel auslegen,
daß ich anfing, etwas bedenklich zu werden und an meine allenfalls
nöthige Vertheidigung zu denken. Ja, ich gestehe sogar, eine,: Augen¬
blick an die Polizei gedacht zu haben, die ich zur Vertrauten meiner
kritischen Lage machen wollte. Es war ja ein Meuchelmord, gegen
den ich mich vertheidigen wollte und meine einzige Waffe war ein
Degenstock, in welchem der Degen fehlte, denn ich hatte ihn in Pom¬
peji beim Graben nach Alterthümern zerbrochen, und so war auch die
leere Hülle zur Vertheidigung zu leicht geworden. Aber pfui doch,
wer wird gleich beim ersten italienischen Abenteuer, bei einem Liebes¬
handel die Polizei, die prosaische Polizei zu Hilfe rufen und wenn
hunderttausend Dolche drohten!? — Ich wollte es männlich bestehen.

Unglückseliger Weise riefen die leicht begeisterten Italiener den
Compositeur Verdi an jenem Abende volle sechöunddrchng, sage sechö-
unddreißtg Male und die Vorstellung zog sich so sehr in die Länge,
daß es zwei Uhr nach Mitternacht wurde, bevor sie zu Ende kam.
Noch unglücklicher war der Zufall, daß ich beim Herausgehen einem
alten Bekannten begegnete, der mich durch lästiges Geschwätz im Cor-
ridor des Theaters so lange zurückhielt, daß, als ich hinaustrat, die
Gassen stumm und öde waren. Jenseits des Caffv della Scala war
es stockdunkle Nacht. Nicht eine Laterne brannte in den Gassen, die
ich passiren mußte. ES war mir sehr außerordentlich zu Muthe, als
ich jenem schicksalsvollen Dunkel zuschritt. Weder rechts noch links,
weder vor noch hinter mir, war ein menschlicher Tritt zu hören. Es
war stille, wie in» Grabe. Jeden Augenblick erwartete ich, daß aus
irgend einem Nebengäßchen, aus irgend einer Vertiefung in den Häu¬
sern Gaetano auf mich herausspringe und ich hielt meine schwache
Waffe, den ehemaligen Degenstock, krampfhaft umfaßt. Um die un¬
heimliche Stille zu unterbrechen, sang ich mir ein deutsches Lied. —
Aber du mußt deinem Gegner nicht selbst ein Zeichen geben, du mußt
nicht zu viel des Muthes haben, sagte ich mir und hörte auf zu singen.
— Da mit einem Male, als ich um eine engere Gasse einbog, höre
ich Schritte hinter mir. Er ist es, rief es in meinem Herzen und das
Blut stieg mir zu Kopfe. Er war es auch wirklich! — Mit Schritten,
denen man es anhörte, daß sie Leidenschaft beflügelte, näherte er sich
mir. Ich sah meinen Gegner nicht, das war das Schreckliche. Erst
als er mir so nahe war, daß ich seinen schnaubenden Athem hörte


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[0447] starr und bewegungslos auf der andern Seite, die Augen ununter¬ brochen auf mich gerichtet. Man wird mir zugestehen, daß die Lage keine der angenehmsten war und man wird es mir nicht übel auslegen, daß ich anfing, etwas bedenklich zu werden und an meine allenfalls nöthige Vertheidigung zu denken. Ja, ich gestehe sogar, eine,: Augen¬ blick an die Polizei gedacht zu haben, die ich zur Vertrauten meiner kritischen Lage machen wollte. Es war ja ein Meuchelmord, gegen den ich mich vertheidigen wollte und meine einzige Waffe war ein Degenstock, in welchem der Degen fehlte, denn ich hatte ihn in Pom¬ peji beim Graben nach Alterthümern zerbrochen, und so war auch die leere Hülle zur Vertheidigung zu leicht geworden. Aber pfui doch, wer wird gleich beim ersten italienischen Abenteuer, bei einem Liebes¬ handel die Polizei, die prosaische Polizei zu Hilfe rufen und wenn hunderttausend Dolche drohten!? — Ich wollte es männlich bestehen. Unglückseliger Weise riefen die leicht begeisterten Italiener den Compositeur Verdi an jenem Abende volle sechöunddrchng, sage sechö- unddreißtg Male und die Vorstellung zog sich so sehr in die Länge, daß es zwei Uhr nach Mitternacht wurde, bevor sie zu Ende kam. Noch unglücklicher war der Zufall, daß ich beim Herausgehen einem alten Bekannten begegnete, der mich durch lästiges Geschwätz im Cor- ridor des Theaters so lange zurückhielt, daß, als ich hinaustrat, die Gassen stumm und öde waren. Jenseits des Caffv della Scala war es stockdunkle Nacht. Nicht eine Laterne brannte in den Gassen, die ich passiren mußte. ES war mir sehr außerordentlich zu Muthe, als ich jenem schicksalsvollen Dunkel zuschritt. Weder rechts noch links, weder vor noch hinter mir, war ein menschlicher Tritt zu hören. Es war stille, wie in» Grabe. Jeden Augenblick erwartete ich, daß aus irgend einem Nebengäßchen, aus irgend einer Vertiefung in den Häu¬ sern Gaetano auf mich herausspringe und ich hielt meine schwache Waffe, den ehemaligen Degenstock, krampfhaft umfaßt. Um die un¬ heimliche Stille zu unterbrechen, sang ich mir ein deutsches Lied. — Aber du mußt deinem Gegner nicht selbst ein Zeichen geben, du mußt nicht zu viel des Muthes haben, sagte ich mir und hörte auf zu singen. — Da mit einem Male, als ich um eine engere Gasse einbog, höre ich Schritte hinter mir. Er ist es, rief es in meinem Herzen und das Blut stieg mir zu Kopfe. Er war es auch wirklich! — Mit Schritten, denen man es anhörte, daß sie Leidenschaft beflügelte, näherte er sich mir. Ich sah meinen Gegner nicht, das war das Schreckliche. Erst als er mir so nahe war, daß ich seinen schnaubenden Athem hörte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/447>, abgerufen am 24.11.2024.