Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.mir "och ein Mal den Antrag, ihr nach Neapel zu folgen und da ich Tano war ganz schwarz und höchst elegant gekleidet. Er hatte mir »och ein Mal den Antrag, ihr nach Neapel zu folgen und da ich Tano war ganz schwarz und höchst elegant gekleidet. Er hatte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0445" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182868"/> <p xml:id="ID_1290" prev="#ID_1289"> mir »och ein Mal den Antrag, ihr nach Neapel zu folgen und da ich<lb/> ihn mit Kopfschütteln ablehnte, sprang sie mir noch ein Mal an den<lb/> Hals, küßte mich und drängte mich zur Thüre hinaus. Alls echt deutsche<lb/> sentimentale Weise bat ich sie noch um ein Andenken. Sie sah sich<lb/> sinnend im Zimmer um, dann schnell entschlossen faßte sie eine Scheere<lb/> und schnitt sich die schönste, reichste Locke ab und warf sie mir lachend<lb/> zu. „Da hast Du etwas, Du Narr!" Das war unser Abschied! —<lb/> Wahrend sie lachte, war ich abscheulich weich und sonderbar bewegt.<lb/> Um meine Sentimentalität zu verbergen, deren ich mich vor Zerina<lb/> schämen mußte, eilte ich so schnell als möglich fort. Ein abscheuliches,<lb/> häßliches Bild, das mir vor der Seele schwebte, wollte mich trotz aller<lb/> Anstrengung nicht verlassen. Ich muß es meinem Leser gestehe», ich sah<lb/> Zerina — ich sah sie hänge»!! — am Galgen hängen!! — Ich that<lb/> alles Mögliche, um mich zu zerstreuen; dieser teuflische Gedanke wollte<lb/> nicht von mir lassen. Endlich lief ich voll Verzweiflung in die Scala,<lb/> die eben mit Verdis Nebucadonosor und einem großen Ballet eröff¬<lb/> net wurde. Das Ballet stellte Scenen aus dem Ränvcrleben in den<lb/> Apenninen dar. Schöne Weiber, die nach dem Tode ihrer Männer<lb/> aus den Gebüschen auf päpstliche Soldaten schießen, endlich doch um-<lb/> rungen, gefangen und getödtet werden, waren die Heldinnen. Das<lb/> paßte so fürchterlich gut zu meinem Kummer, als ob es bestellt wor¬<lb/> den wäre. Ich konnte nicht länger zusehen und ließ meine Blicke über<lb/> das Parterre schweifen. Siehe, da stand Tano kaum zehn Schritte<lb/> weit von mir. Auch er sah dem Ballete sehr aufmerksam und sehr<lb/> düster zu; er mochte wohl auch Gedanken gehabt haben, die den mei<lb/> nen verwandt waren. Himmel was ist alle Moral, was sind alle<lb/> Gesetze! dachte ich - die südliche oder nördliche Sonne, das heiße<lb/> oder das kalte Blut — sie sind unser Schicksal. Unglückselige Zerina<lb/> daß du das Opfer dieser Despotie der Natur werden mußt! —</p><lb/> <p xml:id="ID_1291" next="#ID_1292"> Tano war ganz schwarz und höchst elegant gekleidet. Er hatte<lb/> auch weiße Handschuhe und hielt einen schönen pariser Operngucker<lb/> in Händen. Niemand hätte den Pferdehändler oder Schmuggler in<lb/> lym erkannt. Er s«h >^ einer jener schönen Mißvergnügten aus, die<lb/> s ^ V".?"^^ Jahren stammen und die man noch heute in Mai¬<lb/> land ,o häufig antrifft. Wurde ihm der Anblick des Balletes eben so<lb/> drückend wie mir? — oder fühlte er meine Blicke, die unaufhörlich<lb/> auf ihm ruhten? — auch er wandte sich plötzlich von der Bühne ab<lb/> und seine Augen fielen — auf mich. Ein Zug von Wuth entstellte<lb/> sein schönes Gesicht und mit einer krampfhaften Bewegung der Hand</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0445]
mir »och ein Mal den Antrag, ihr nach Neapel zu folgen und da ich
ihn mit Kopfschütteln ablehnte, sprang sie mir noch ein Mal an den
Hals, küßte mich und drängte mich zur Thüre hinaus. Alls echt deutsche
sentimentale Weise bat ich sie noch um ein Andenken. Sie sah sich
sinnend im Zimmer um, dann schnell entschlossen faßte sie eine Scheere
und schnitt sich die schönste, reichste Locke ab und warf sie mir lachend
zu. „Da hast Du etwas, Du Narr!" Das war unser Abschied! —
Wahrend sie lachte, war ich abscheulich weich und sonderbar bewegt.
Um meine Sentimentalität zu verbergen, deren ich mich vor Zerina
schämen mußte, eilte ich so schnell als möglich fort. Ein abscheuliches,
häßliches Bild, das mir vor der Seele schwebte, wollte mich trotz aller
Anstrengung nicht verlassen. Ich muß es meinem Leser gestehe», ich sah
Zerina — ich sah sie hänge»!! — am Galgen hängen!! — Ich that
alles Mögliche, um mich zu zerstreuen; dieser teuflische Gedanke wollte
nicht von mir lassen. Endlich lief ich voll Verzweiflung in die Scala,
die eben mit Verdis Nebucadonosor und einem großen Ballet eröff¬
net wurde. Das Ballet stellte Scenen aus dem Ränvcrleben in den
Apenninen dar. Schöne Weiber, die nach dem Tode ihrer Männer
aus den Gebüschen auf päpstliche Soldaten schießen, endlich doch um-
rungen, gefangen und getödtet werden, waren die Heldinnen. Das
paßte so fürchterlich gut zu meinem Kummer, als ob es bestellt wor¬
den wäre. Ich konnte nicht länger zusehen und ließ meine Blicke über
das Parterre schweifen. Siehe, da stand Tano kaum zehn Schritte
weit von mir. Auch er sah dem Ballete sehr aufmerksam und sehr
düster zu; er mochte wohl auch Gedanken gehabt haben, die den mei
nen verwandt waren. Himmel was ist alle Moral, was sind alle
Gesetze! dachte ich - die südliche oder nördliche Sonne, das heiße
oder das kalte Blut — sie sind unser Schicksal. Unglückselige Zerina
daß du das Opfer dieser Despotie der Natur werden mußt! —
Tano war ganz schwarz und höchst elegant gekleidet. Er hatte
auch weiße Handschuhe und hielt einen schönen pariser Operngucker
in Händen. Niemand hätte den Pferdehändler oder Schmuggler in
lym erkannt. Er s«h >^ einer jener schönen Mißvergnügten aus, die
s ^ V".?"^^ Jahren stammen und die man noch heute in Mai¬
land ,o häufig antrifft. Wurde ihm der Anblick des Balletes eben so
drückend wie mir? — oder fühlte er meine Blicke, die unaufhörlich
auf ihm ruhten? — auch er wandte sich plötzlich von der Bühne ab
und seine Augen fielen — auf mich. Ein Zug von Wuth entstellte
sein schönes Gesicht und mit einer krampfhaften Bewegung der Hand
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