Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

merkte ich, daß ein Abschiednehmen beginne und mein verlangendes
Herz schöpfte neue Hoffnung. Ich blieb einige Schritte zurück und
wirklich verschwand die Blondine bald hinter einer schwarzen eisernen
Thüre. Ich sah mich in der Gasse um; sie war öde und ich allein
mit meiner wilden Italienerin. Schnell eilte ich mit flehender Ge¬
berde auf sie zu, aber noch bevor ich ein Wort sprechen konnte, hatte
sie mich am Arm gefaßt, führte mich an die andere Häuserreihe, zeigte
mit aufgehobener Hand auf einen herüberragenden Kirchthurm und
sagte kurz und kalt: Morgen früh um halb acht Uhr. -- Aber kaum
hatte sie diese Worte gesprochen, als sie wieder schnell von mir weg¬
sprang, an einer Klingel riß und im Innern eines alten Hauses ver¬
schwand. -- Da stand ich in der einsamen, menschenleeren Gasse wie
ein Träumender. So schnelle Erfüllung meiner Wünsche hatte ich
nicht gehofft. "Morgen um halb acht Uhr!" rief ich freudig, sah mir den
Kirchthurm noch genau an und eilte davon. Ich wußte ja, d.ifi in
Italien die Kirchen Tempel der Liebe sind.


II.

Es ist und war von jeher mein Grundsatz, bei dergleichen Be¬
stellungen niemals zu früh, immer lieber etwas später, zu erscheinen.
Solche affectirte Kälte und Gleichgültigkeit hat stets ihren Nutzen;
das weiß ich aus Erfahrung. Aber an jenem Tage stand ich schon
lange vor sieben Uhr hinter einer Säule der Kirche icklo Viu/ü", den
Rücken dem Altare, das Gesicht der Thüre zugekehrt. Wirkliche Sehn¬
sucht nach den schwarzen Augen bestimmte mich, dieses Mal meinem
Grundsatze treulos zu werden. Ich wartete lange vergebens. Alte,
zerlumpte Weiber, junge, verschleierte Mädchen, Kinder mit nackten
Füßen, kamen in großer Menge, aber sie, die ich mit Zittern erwar¬
tete, kam nicht. Sollte sie dich gefoppt, dich zum Narren gehabt ha¬
ben? fragte ich mich -- das wäre dumm, das wäre gar nicht ita¬
lienisch. Zum Glück hatte ich mir ihr Haus gemerkt und in meinem
Zorne beschloß ich, sie im schlimmsten Falle unter irgend einem Vor-
wände in ihrer eigenen Wohnung aufzusuchen. Aber da öffnete sich
dle Thüre -- sie trat herein. Ich erkannte sie, obwohl der schwarze
Schleier ihr ganzes Gesicht dicht verhüllte, denn die unvergleichlichen
Augen brachen mit sieghaften Strahlen mitten durch, obwohl sie ganz
anders gekleidet war als gestern. Sie trug einen ganz kurzen schwar¬
zen Rock, an den sich ein dunkelrothes Sammtleibchen, in Gestalt eines
Mieders, mit breiten abfallenden Aermeln anschloß, und das um den


merkte ich, daß ein Abschiednehmen beginne und mein verlangendes
Herz schöpfte neue Hoffnung. Ich blieb einige Schritte zurück und
wirklich verschwand die Blondine bald hinter einer schwarzen eisernen
Thüre. Ich sah mich in der Gasse um; sie war öde und ich allein
mit meiner wilden Italienerin. Schnell eilte ich mit flehender Ge¬
berde auf sie zu, aber noch bevor ich ein Wort sprechen konnte, hatte
sie mich am Arm gefaßt, führte mich an die andere Häuserreihe, zeigte
mit aufgehobener Hand auf einen herüberragenden Kirchthurm und
sagte kurz und kalt: Morgen früh um halb acht Uhr. — Aber kaum
hatte sie diese Worte gesprochen, als sie wieder schnell von mir weg¬
sprang, an einer Klingel riß und im Innern eines alten Hauses ver¬
schwand. — Da stand ich in der einsamen, menschenleeren Gasse wie
ein Träumender. So schnelle Erfüllung meiner Wünsche hatte ich
nicht gehofft. „Morgen um halb acht Uhr!" rief ich freudig, sah mir den
Kirchthurm noch genau an und eilte davon. Ich wußte ja, d.ifi in
Italien die Kirchen Tempel der Liebe sind.


II.

Es ist und war von jeher mein Grundsatz, bei dergleichen Be¬
stellungen niemals zu früh, immer lieber etwas später, zu erscheinen.
Solche affectirte Kälte und Gleichgültigkeit hat stets ihren Nutzen;
das weiß ich aus Erfahrung. Aber an jenem Tage stand ich schon
lange vor sieben Uhr hinter einer Säule der Kirche icklo Viu/ü», den
Rücken dem Altare, das Gesicht der Thüre zugekehrt. Wirkliche Sehn¬
sucht nach den schwarzen Augen bestimmte mich, dieses Mal meinem
Grundsatze treulos zu werden. Ich wartete lange vergebens. Alte,
zerlumpte Weiber, junge, verschleierte Mädchen, Kinder mit nackten
Füßen, kamen in großer Menge, aber sie, die ich mit Zittern erwar¬
tete, kam nicht. Sollte sie dich gefoppt, dich zum Narren gehabt ha¬
ben? fragte ich mich — das wäre dumm, das wäre gar nicht ita¬
lienisch. Zum Glück hatte ich mir ihr Haus gemerkt und in meinem
Zorne beschloß ich, sie im schlimmsten Falle unter irgend einem Vor-
wände in ihrer eigenen Wohnung aufzusuchen. Aber da öffnete sich
dle Thüre — sie trat herein. Ich erkannte sie, obwohl der schwarze
Schleier ihr ganzes Gesicht dicht verhüllte, denn die unvergleichlichen
Augen brachen mit sieghaften Strahlen mitten durch, obwohl sie ganz
anders gekleidet war als gestern. Sie trug einen ganz kurzen schwar¬
zen Rock, an den sich ein dunkelrothes Sammtleibchen, in Gestalt eines
Mieders, mit breiten abfallenden Aermeln anschloß, und das um den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182860"/>
            <p xml:id="ID_1247" prev="#ID_1246"> merkte ich, daß ein Abschiednehmen beginne und mein verlangendes<lb/>
Herz schöpfte neue Hoffnung. Ich blieb einige Schritte zurück und<lb/>
wirklich verschwand die Blondine bald hinter einer schwarzen eisernen<lb/>
Thüre. Ich sah mich in der Gasse um; sie war öde und ich allein<lb/>
mit meiner wilden Italienerin. Schnell eilte ich mit flehender Ge¬<lb/>
berde auf sie zu, aber noch bevor ich ein Wort sprechen konnte, hatte<lb/>
sie mich am Arm gefaßt, führte mich an die andere Häuserreihe, zeigte<lb/>
mit aufgehobener Hand auf einen herüberragenden Kirchthurm und<lb/>
sagte kurz und kalt: Morgen früh um halb acht Uhr. &#x2014; Aber kaum<lb/>
hatte sie diese Worte gesprochen, als sie wieder schnell von mir weg¬<lb/>
sprang, an einer Klingel riß und im Innern eines alten Hauses ver¬<lb/>
schwand. &#x2014; Da stand ich in der einsamen, menschenleeren Gasse wie<lb/>
ein Träumender. So schnelle Erfüllung meiner Wünsche hatte ich<lb/>
nicht gehofft. &#x201E;Morgen um halb acht Uhr!" rief ich freudig, sah mir den<lb/>
Kirchthurm noch genau an und eilte davon. Ich wußte ja, d.ifi in<lb/>
Italien die Kirchen Tempel der Liebe sind.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> II.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1248" next="#ID_1249"> Es ist und war von jeher mein Grundsatz, bei dergleichen Be¬<lb/>
stellungen niemals zu früh, immer lieber etwas später, zu erscheinen.<lb/>
Solche affectirte Kälte und Gleichgültigkeit hat stets ihren Nutzen;<lb/>
das weiß ich aus Erfahrung. Aber an jenem Tage stand ich schon<lb/>
lange vor sieben Uhr hinter einer Säule der Kirche icklo Viu/ü», den<lb/>
Rücken dem Altare, das Gesicht der Thüre zugekehrt. Wirkliche Sehn¬<lb/>
sucht nach den schwarzen Augen bestimmte mich, dieses Mal meinem<lb/>
Grundsatze treulos zu werden. Ich wartete lange vergebens. Alte,<lb/>
zerlumpte Weiber, junge, verschleierte Mädchen, Kinder mit nackten<lb/>
Füßen, kamen in großer Menge, aber sie, die ich mit Zittern erwar¬<lb/>
tete, kam nicht. Sollte sie dich gefoppt, dich zum Narren gehabt ha¬<lb/>
ben? fragte ich mich &#x2014; das wäre dumm, das wäre gar nicht ita¬<lb/>
lienisch. Zum Glück hatte ich mir ihr Haus gemerkt und in meinem<lb/>
Zorne beschloß ich, sie im schlimmsten Falle unter irgend einem Vor-<lb/>
wände in ihrer eigenen Wohnung aufzusuchen. Aber da öffnete sich<lb/>
dle Thüre &#x2014; sie trat herein. Ich erkannte sie, obwohl der schwarze<lb/>
Schleier ihr ganzes Gesicht dicht verhüllte, denn die unvergleichlichen<lb/>
Augen brachen mit sieghaften Strahlen mitten durch, obwohl sie ganz<lb/>
anders gekleidet war als gestern. Sie trug einen ganz kurzen schwar¬<lb/>
zen Rock, an den sich ein dunkelrothes Sammtleibchen, in Gestalt eines<lb/>
Mieders, mit breiten abfallenden Aermeln anschloß, und das um den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] merkte ich, daß ein Abschiednehmen beginne und mein verlangendes Herz schöpfte neue Hoffnung. Ich blieb einige Schritte zurück und wirklich verschwand die Blondine bald hinter einer schwarzen eisernen Thüre. Ich sah mich in der Gasse um; sie war öde und ich allein mit meiner wilden Italienerin. Schnell eilte ich mit flehender Ge¬ berde auf sie zu, aber noch bevor ich ein Wort sprechen konnte, hatte sie mich am Arm gefaßt, führte mich an die andere Häuserreihe, zeigte mit aufgehobener Hand auf einen herüberragenden Kirchthurm und sagte kurz und kalt: Morgen früh um halb acht Uhr. — Aber kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als sie wieder schnell von mir weg¬ sprang, an einer Klingel riß und im Innern eines alten Hauses ver¬ schwand. — Da stand ich in der einsamen, menschenleeren Gasse wie ein Träumender. So schnelle Erfüllung meiner Wünsche hatte ich nicht gehofft. „Morgen um halb acht Uhr!" rief ich freudig, sah mir den Kirchthurm noch genau an und eilte davon. Ich wußte ja, d.ifi in Italien die Kirchen Tempel der Liebe sind. II. Es ist und war von jeher mein Grundsatz, bei dergleichen Be¬ stellungen niemals zu früh, immer lieber etwas später, zu erscheinen. Solche affectirte Kälte und Gleichgültigkeit hat stets ihren Nutzen; das weiß ich aus Erfahrung. Aber an jenem Tage stand ich schon lange vor sieben Uhr hinter einer Säule der Kirche icklo Viu/ü», den Rücken dem Altare, das Gesicht der Thüre zugekehrt. Wirkliche Sehn¬ sucht nach den schwarzen Augen bestimmte mich, dieses Mal meinem Grundsatze treulos zu werden. Ich wartete lange vergebens. Alte, zerlumpte Weiber, junge, verschleierte Mädchen, Kinder mit nackten Füßen, kamen in großer Menge, aber sie, die ich mit Zittern erwar¬ tete, kam nicht. Sollte sie dich gefoppt, dich zum Narren gehabt ha¬ ben? fragte ich mich — das wäre dumm, das wäre gar nicht ita¬ lienisch. Zum Glück hatte ich mir ihr Haus gemerkt und in meinem Zorne beschloß ich, sie im schlimmsten Falle unter irgend einem Vor- wände in ihrer eigenen Wohnung aufzusuchen. Aber da öffnete sich dle Thüre — sie trat herein. Ich erkannte sie, obwohl der schwarze Schleier ihr ganzes Gesicht dicht verhüllte, denn die unvergleichlichen Augen brachen mit sieghaften Strahlen mitten durch, obwohl sie ganz anders gekleidet war als gestern. Sie trug einen ganz kurzen schwar¬ zen Rock, an den sich ein dunkelrothes Sammtleibchen, in Gestalt eines Mieders, mit breiten abfallenden Aermeln anschloß, und das um den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/437>, abgerufen am 27.11.2024.