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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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men, nicht eine Scene unanständigen Betragens hab' ich erblickt, nicht
einen Ton rohen, wilden Jubels hab' ich gehört.

Gedenken wir noch mit einem Worte eines andern Strahlenkran¬
zes, der dies Fest beleuchtete und dem Fremden ein schönes Licht über
den schweizerischen Volksgeist verbreitete. Die hier erwähnten Redner
sind aber Männer, deren Geist nicht in Treibhäusern gebildet ist, keine
sophistische Disciplin hat ihn dressirt, sie hätten, ihrem Stande nach,
zum Theil nicht nöthig, gedankenreich, ja geistreich zu sein, und bilden
sich gewiß nicht ein, daß sie's sind, und doch, wer wagte zu behaup¬
ten, daß sie's nicht waren? -- Und jeder Gute gibt sich von selbst
die Antwort, daß die beste Volkslehrerin die Freiheit sei.

Der Ordner des Festes dankte zuletzt den Bewohnern des Städt¬
chens Hergen und seinem Gesangvereine für seine gastliche Ausnahme,
und mit herzlichem Abschiedsrufen wurden wir von dem glücklichen,
edlen Volke auf das Dampfboot entlassen. Still lauschte die ambro¬
sische Nacht den Nachzüglern der Freude, welche melodisch, vom Dampf¬
boot herab, über den See tönten, und der klare Wasserspiegel wagte
es nicht, horchend, Wellen zu schlagen.

Die Schweiz ist durch den Sieg der Liberalen im Canton Zürich
nicht blos von der Gefahr, daß das reactionäre Element noch weiter
um sich greife, gesichert, sondern hat vielleicht einen großen Schritt zur
Ausbildung wahrer Volksfreiheit gethan. Denn der Canton Zürich
behauptet unter allen Cantonen der Schweiz einen hervorragenden, wenn
nicht den größten Einfluß auf die übrigen Cantone. Es werden ohne
Zweifel, wie es zum Theil schon jetzt geschieht, nach und nach die
schwankenden Cantone dem Beispiele Zürichs folgen und durch Ein¬
setzung volksfreundlicher Regierungen zugleich ihrem socialen Ruin
und ihrer moralischen Verderbniß ausweichen. Wahrlich, es ist empö¬
rend, wenn man, dies herrliche Land durchreisend, das Glück eines so
braven Volkes durch den Einfluß der Cabinette untergraben sieht,
welche dies enge Plätzchen im weiten wüsten Europa, wo die Freiheit
noch ein gesichertes Asyl haben könnte, durch ihre Politik bedrücken
und beeinträchtigen. Schwer hat Napoleons Geißel über die Schweiz
geschaltet, die Geschichte hat ihm auch hierfür ihre Verwünschungen,
und mit Recht, nachgerufen, aber so böse hat er's wahrlich nicht mit
der Schweiz gemeint, als das jetzige Cabinet und namentlich das fran¬
zösische. Denn er ertheilte nach der Schlacht bet Marengo der Schweiz den
weisesten und damals angemessensten Rath, er wollte oder konnte vielleicht
nicht die vollendete Ausbildung ihrer Verfassung bewirken, aber er rieth,


men, nicht eine Scene unanständigen Betragens hab' ich erblickt, nicht
einen Ton rohen, wilden Jubels hab' ich gehört.

Gedenken wir noch mit einem Worte eines andern Strahlenkran¬
zes, der dies Fest beleuchtete und dem Fremden ein schönes Licht über
den schweizerischen Volksgeist verbreitete. Die hier erwähnten Redner
sind aber Männer, deren Geist nicht in Treibhäusern gebildet ist, keine
sophistische Disciplin hat ihn dressirt, sie hätten, ihrem Stande nach,
zum Theil nicht nöthig, gedankenreich, ja geistreich zu sein, und bilden
sich gewiß nicht ein, daß sie's sind, und doch, wer wagte zu behaup¬
ten, daß sie's nicht waren? — Und jeder Gute gibt sich von selbst
die Antwort, daß die beste Volkslehrerin die Freiheit sei.

Der Ordner des Festes dankte zuletzt den Bewohnern des Städt¬
chens Hergen und seinem Gesangvereine für seine gastliche Ausnahme,
und mit herzlichem Abschiedsrufen wurden wir von dem glücklichen,
edlen Volke auf das Dampfboot entlassen. Still lauschte die ambro¬
sische Nacht den Nachzüglern der Freude, welche melodisch, vom Dampf¬
boot herab, über den See tönten, und der klare Wasserspiegel wagte
es nicht, horchend, Wellen zu schlagen.

Die Schweiz ist durch den Sieg der Liberalen im Canton Zürich
nicht blos von der Gefahr, daß das reactionäre Element noch weiter
um sich greife, gesichert, sondern hat vielleicht einen großen Schritt zur
Ausbildung wahrer Volksfreiheit gethan. Denn der Canton Zürich
behauptet unter allen Cantonen der Schweiz einen hervorragenden, wenn
nicht den größten Einfluß auf die übrigen Cantone. Es werden ohne
Zweifel, wie es zum Theil schon jetzt geschieht, nach und nach die
schwankenden Cantone dem Beispiele Zürichs folgen und durch Ein¬
setzung volksfreundlicher Regierungen zugleich ihrem socialen Ruin
und ihrer moralischen Verderbniß ausweichen. Wahrlich, es ist empö¬
rend, wenn man, dies herrliche Land durchreisend, das Glück eines so
braven Volkes durch den Einfluß der Cabinette untergraben sieht,
welche dies enge Plätzchen im weiten wüsten Europa, wo die Freiheit
noch ein gesichertes Asyl haben könnte, durch ihre Politik bedrücken
und beeinträchtigen. Schwer hat Napoleons Geißel über die Schweiz
geschaltet, die Geschichte hat ihm auch hierfür ihre Verwünschungen,
und mit Recht, nachgerufen, aber so böse hat er's wahrlich nicht mit
der Schweiz gemeint, als das jetzige Cabinet und namentlich das fran¬
zösische. Denn er ertheilte nach der Schlacht bet Marengo der Schweiz den
weisesten und damals angemessensten Rath, er wollte oder konnte vielleicht
nicht die vollendete Ausbildung ihrer Verfassung bewirken, aber er rieth,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/399>, abgerufen am 23.07.2024.